FFP2-Masken-Beschaffung während Corona: Anwendung des Preisrechts trotz Open-House-Verfahren
Jahrzehntelang führte das öffentliche Preisrecht der VO (PR) 30/53 (Verordnung PR Nr 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen oder Preisverordnung, im Folgenden: PreisV) ein Schattendasein. Dies galt jedenfalls außerhalb von Aufträgen der Bundeswehr und außerhalb der Zuwendungskostenprüfung. Dies mag verwundern: Denn die Preisverordnung ist seit über 70 Jahren in Kraft. Ihr Anwendungsbereich ist denkbar weit: Mit Ausnahme von Aufträgen über Bauleistungen gilt sie nämlich für alle Aufträge des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände und der sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts (vgl. § 2 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 PreisV). Das OLG Köln (Urteil vom 15.05.2025 – 18 U 97/23 (noch nicht rechtskräftig)) demonstriert dies nun für eine FFP2-Masken-Beschaffung des Bundes.
Hintergrund war der Beginn der Corona-Pandemie 2020. Alles musste schnell gehen. So kam es, dass der Bund viel zu viele Masken bei viel zu vielen Unternehmen für viel zu viel Geld beschaffte. Ursache war auch ein misslungenes Open-House-Verfahren. Das OLG Köln zieht nun die Preisverordnung heran, um den Schadensersatzanspruch eines Maskenlieferanten deutlich zu reduzieren. Das Gericht spricht dem Kläger für 4 Millionen FFP2-Masken einen entgangenen Gewinn von nur EUR 258.000,- netto zu. Grundlage ist ein kalkulatorischer Gewinn in Höhe von 5 % auf die im Prozess ermittelten Selbstkosten. Diese ermittelt das OLG nach Maßgabe der Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten (kurz: LSP), dem Anhang der PreisV.
Das Urteil des OLG Köln vom 15.05.2025 ist aus mehreren Gründen spannend.
Zum einen ist es Teil der gesamtgesellschaftlichen Pandemiefolgenaufarbeitung. Denn der Sachverhalt spielt im Zeitraum März bis April 2020, also auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle. Das Bundesgesundheitsministerium unter Minister Spahn sah sich gezwungen, schnell einen riesigen Bedarf an FFP2- und anderen medizinischen Schutzmasken zu beschaffen. Es entschied sich für ein sog. Open-House-Verfahren. Wie viele pandemiebedingte Maßnahmen steht auch diese staatliche Entscheidung im Jahr 2025 auf dem Prüfstand.
Zum anderen ist das Urteil wegen genau dieses Open-House-Verfahrens interessant. Denn das, was ein renommierter Verwaltungsrechtler mal als Marketing-Gag bezeichnete, wabert seit der Entscheidung des EuGH in der Sache Dr. Falk Pharma (Urteil vom 02.06.2016 C-410/14) 2016 durch den Äther. Der EuGH hatte darin entschieden, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch oberschwellige öffentliche Aufträge nicht dem EU-Vergaberecht unterfallen. Entscheidend war das Merkmal der Auswahl: Zulassungsverfahren ohne Auswahl nach Angeboten gelten seitdem als vergaberechtsfrei. Das Problem: Jeder geeignete Bieter wird Vertragspartner. Sind es viele Bieter mit einem großen Angebot, beschafft der öffentliche Auftraggeber zu viel. So geschah es auch hier. Rechtssicher entschiedene Open-house-Modelle, bei denen auf zweiter Stufe doch eine Auswahl stattfindet, gibt es bisher nur für Drei-Personen-Konstellationen: So kann der öffentliche Auftraggeber etwa Berater vergaberechtsfrei zu einem Pool zulassen. Ohnehin nicht dem Vergaberecht unterfallende Dritte können dann daraus auswählen (so entschieden für einen Beraterpool für finnische Landwirte; s. EuGH, Urteil vom 01.03.2018 – C-9/17 (Maria Tirkkonen ./. Finnland)).
Drittens bringt das OLG umfassend das Preisrecht der Preisverordnung zur Anwendung. Viele Entscheidungen zum öffentlichen Preisrecht finden sich in den einschlägigen Datenbanken nicht. Typischerweise geht es um Bundeswehr-Beschaffungen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 13.04.2016 8 C 2.15). 2020 hatte aber bereits das OLG Hamm (Urteil vom 28.05.2020 18 U 119/17 (noch nicht rechtskräftig)) das öffentliche Preisrecht auf den Gewerberaummietvertrag einer gesetzlichen Krankenversicherung in Form einer Körperschaft öffentlichen Rechts angewandt. 2021 folgte das BVerwG (Urteil vom 23.03.2021 9 C .20) mit der Anwendung des öffentlichen Preisrechts auf einen Pacht- und Dienstleistungsvertrag eines kommunalen Eigenbetriebs. Nun also eine FFP2-Maskenlieferung für das Bundesgesundheitsministerium.
§§ 1 III, 2, 4, 5 I Nr. 1, Nr. 2, 8 und Anhang PreisV a.F., §§ 1 I, 4 II, III, 12 II und Anhang PreisV n.F., §§ 814, 433, 311 II, 291, 288 I, 254, 249, 255, 251, 250, 242, 241 II, 162 I, 157, 134, 133, 130 BGB, §§ 711, 708 Nr. 10, 543 II, 533, 529, 525, 287, 264 Nr. 2, 263, 97, 92 I ZPO, Art. 3 GG
Sachverhalt
Dem Urteil liegen Lieferverträge über mehrere Millionen FFP2-Masken zugrunde. Die Beklagte, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesgesundheitsministerium, schrieb zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 ein Open-House-Verfahren aus. Darin war vorgesehen, dass jedes den Vorgaben der Vergabeunterlagen entsprechende Angebot bezuschlagt werden würde. Zu diesen Vorgaben gehörte, dass die Beklagte den Bietern einen Stückpreis i. H. v. EUR 4,50 pro FFP2-Maske versprach.
Der Kläger, ein bislang im Maskenhandel unerfahrenes Unternehmen, gab mehrere Angebote ab und erhielt mehrere Zuschläge. Bei einem weiteren Angebot über die Lieferung von 4 Millionen FFP2-Masken verweigerte die Beklagte den Zuschlag. Dieses Angebot sei nicht zuschlagsfähig gewesen. Der Kläger gab im Prozess an, dass er die Masken selbst für EUR 1,29 pro Stück bei einem Zulieferer hätte beschaffen und direkt zur Beklagten liefern lassen können.
Als die Beklagte weiterhin die Vertragserfüllung ablehnte, erhob der Kläger Klage beim Landgericht Bonn. Sein Antrag richtete sich auf Vertragserfüllung, hilfsweise Schadensersatz. Das OLG Köln gibt ihm in zweiter Instanz teilweise Recht.
Die Entscheidung
Das OLG hält die Klage teilweise für begründet.
Der Hauptantrag auf Vertragserfüllung sei unbegründet, weil zwischen Kläger und Beklagter kein wirksamer Vertrag zustande gekommen sei. Hintergrund war die besondere Gestaltung des Open-House-Modells der Beklagten. Diese hatte zwar in der Auftragsbekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen versprochen, jedem Angebot, das die Mindestanforderungen erfüllte, den Zuschlag zu erteilen. Allerdings habe ein objektiver Empfänger i. S. v. §§ 133, 157 BGB den Vertragsschluss nicht als Automatismus verstehen können. Denn der Zuschlag habe erkennbar noch unter dem Prüfvorbehalt der Beklagten gestanden. Die Auftragsbekanntmachung der Beklagten sei „invitatio ad offerendum“ und noch keine „offerta ad incertas personas“ gewesen. Das Angebot des Klägers über die Lieferung von 4 Mio. weiteren Masken gegen Kaufpreiszahlung i. H. v. EUR 4,50 pro Stück sei also nie durch die Beklagte angenommen worden.
Hingegen gesteht das OLG dem Kläger einen Schadensersatzanspruch zu. Der Kläger könne von der Beklagten Ersatz des entgangenen Gewinns aus dem nicht erteilten Zuschlag nebst Zinsen verlangen. Das Gericht stützt den Schadensersatzanspruch auf ein vorvertragliches Schuldverhältnis (sog. „culpa in contrahendo“- oder „c.i.c.“-Anspruch). Die Beklagte habe schuldhaft ihre Pflicht verletzt, den Zuschlag auf das annahmefähige Angebot des Klägers zu erteilen. Gegenstand des Angebots war die Lieferung von weiteren 4 Mio. FFP2-Masken. Da der Kläger den Zuschlag sicher erhalten hätte, gesteht ihm das Gericht den entgangenen Gewinn aus dem Auftrag zu (sog. „positives Interesse“). Dies entspricht ständiger Rechtsprechung: Bei Pflichtverletzungen öffentlicher Auftraggeber in der Vertragsanbahnung kann einem Bieter ausnahmsweise ein c.i.c.-Schadensersatzanspruch auf den entgangenen Gewinn zustehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08.09.1998 X ZR 48/97). Häufiger beschränkt sich der Schadensersatzanspruch allerdings auf die Angebotserstellungskosten (sog. „negatives Interesse“).
Spannend sind die Ausführungen des OLG zur Anspruchshöhe. Zivilrechtlich stützt sich deren Berechnung auf die §§ 249 ff. BGB. Ausgangspunkt ist die sog. „Differenzhypothese“, welche die herrschende Meinung aus § 249 Abs. 1 BGB ableitet: Danach muss der Schädiger den Geschädigten vermögensmäßig so stellen, wie dieser ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte. Die Beklagte muss den Kläger also so stellen, wie er gestanden hätte, hätte die Beklagte pflichtgemäß den Zuschlag erteilt. Wie aber hätte der Kläger vermögensmäßig dagestanden? Und zu welchem Preis hätte die Beklagte bei pflichtgemäßem Alternativverhalten den Zuschlag erteilt? Hier nun führt das OLG das öffentliche Preisrecht in den Rechtsstreit ein.
Grundsätze des öffentlichen Preisrechts
Das öffentliche Preisrecht der PreisV legt Höchstpreise für öffentliche Aufträge fest. Das Delta, um das Angebots- und Vertragspreise die zulässigen Höchstpreise überschreiten, ist nach § 134 BGB nichtig. Der Anwendungsbereich der PreisV umfasst die öffentlichen Aufträge von Bund, Ländern, Kommunen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit Ausnahme von solchen über Bauleistungen. Der preisrechtliche Auftragsbegriff ist dabei weiter als der vergaberechtliche: Anders als der vergaberechtliche Begriff aus § 103 Abs. 1 GWB setzt § 2 Abs. 1 PreisV u. a. keinen Beschaffungsvorgang voraus. Auch Veräußerungen unterliegen dem Preisrecht. Durchgesetzt wird die PreisV durch die sog. Preisbildungs- und -überwachungsbehörden (vgl. § 9 PreisV), die sog. PÜ.
Die PreisV beruht auf dem Preisgesetz (PreisG) von 1948. Historischer Zweck war es, den Preisstand zu wahren. Gemeint ist vor allem der Schutz vor Inflation, im Falle der PreisV getrieben durch staatliche Nachfrage. Das ergab Sinn: In der Kriegswirtschaft dominiert die Staatsnachfrage. Sie beeinflusst das gesamtwirtschaftliche Preisgefüge maßgeblich. Eine zu hohe Inflation ist dabei Gift für das wirtschaftliche und soziale Gleichgewicht einer Volkswirtschaft. Deswegen deckelt die PreisV die Preise öffentlicher Aufträge auf die Selbstkosten der Vertragspartner des Fiskus. Die PreisV zwingt die Auftragnehmer zu Transparenz: Zum Nachweis der Selbstkostenpreise müssen die Unternehmen ihre Kalkulationsgrundlagen offenlegen (sog. „Open Book“). In der Nachkriegszeit rückte die marktwirtschaftliche Idee wettbewerblicher Preisbildung in den Vordergrund. Dies erklärt den Marktpreisvorrang der PreisV. Denn die marktwirtschaftliche Theorie geht davon aus, dass Wettbewerb Effizienz und damit das Allgemeinwohl fördert. Idealtypisch bedeutet Effizienz, dass Leistung und Gegenleistung im ökonomisch optimalen, d.h. richtigen Verhältnis stehen.
Heute gilt, nach hier vertretener Auffassung: In Zeiten weitgehend harmonisierter EU-Beschaffungsmärkte und unter der Ägide des EU-Beihilferechts reduziert sich der Hauptzweck der PreisV darauf, für wirtschaftliches Verwaltungshandeln zu sorgen. In Ergänzung des EU-Vergabe- und Beihilferechts kommt der PreisV dabei die Aufgabe zu, eine Begünstigung privater Wirtschaftsteilnehmer dort zu verhindern, wo ein dem Vergabe- oder EU-Beihilferecht genügender Wettbewerb nicht zustande kommt. Letztlich geht es darum, die Steuerzahler davor zu bewahren, Monopol- und Oligopolrenten von Unternehmen zu finanzieren. Im Kontext des öffentlichen Preisrecht sind damit Gewinnmargen gemeint, die die Vertragspartner der öffentlichen Auftraggeber so weder im Wettbewerb, noch über eine Selbstkostenabrechnung erzielen könnten.
Ihre Zwecke erreicht die PreisV vor allem durch die sog. „Preistreppe“. Diese hierarchisiert die Preisarten, nach denen die Bieter, Auftragnehmer und Auftraggeber den jeweils preisrechtlich zulässigen Höchstpreis ermitteln müssen. Dabei gehen u.a. Marktpreise i. S. v. § 4 PreisV Selbstkostenpreisen i. S. d. §§ 5 ff. PreisV und Festpreise Erstattungspreisen vor. Im Einzelnen gilt folgende Hierarchie: Gibt es einen objektiven Marktpreis, bildet dieser die Preisobergrenze. Gibt es ihn nicht, kommt es auf den sog. betriebssubjektiven Marktpreis an. Mangels am sog. allgemeinen Markt gebildetem objektivem oder betriebssubjektivem Marktpreis, wird geprüft, ob sich im besonderen Markt des Vergabeverfahrens ein Marktpreis gebildet hat: Stellt der öffentliche Auftraggeber nach Ablauf der Angebotsfrist eines Vergabewettbewerbs fest, dass mindestens zwei zuschlagsfähige Angebote vorliegen, gilt der jeweilige Angebotspreis als zulässiger Marktpreis. Schließlich kann ein Marktpreis u.U. noch aus vergleichbaren Leistungen abgeleitet werden.
Der zweite Teil der Preistreppe besteht aus den sog. Selbstkostenpreisen. Diese sind gerade bei Bundeswehr-Aufträgen die häufigste Preisart. Denn den Markt für Rüstungsgüter kennzeichnet häufig mangelnder Wettbewerb. Anders als für Marktpreise regelt die PreisV für Selbstkostenpreise, wie diese im Einzelnen zu ermitteln sind. Maßgeblich ist der Anhang der PreisV. Dieser enthält die LSP. Auch bei den Selbstkostenpreisen gibt es eine Hierarchie. Auch diesen Teil der Preistreppe müssen Bieter, Auftragnehmer und Auftraggeber penibel abklopfen, um den jeweils zulässigen Höchstpreis zu ermitteln: Soweit wie möglich sind die Selbstkostenpreise vorab als Festpreise zu ermitteln. Soweit dies nicht möglich ist, dürfen vorläufige Festpreise, sog. (Selbstkosten-)Richtpreise vereinbart werden, die noch vor Vertragsende in (endgültige) Festpreise umgewandelt werden sollen. Ganz unten auf der Preistreppe stehen schließlich die (Selbstkosten-)Erstattungspreise: D.h. eine nachträgliche Preiskalkulation ist nur erlaubt, soweit die Parteien nicht einmal Selbstkostenrichtpreise vorab festlegen können.
Anwendung des Preisrechts durch das OLG Köln
Das OLG Köln prüft die §§ 1 ff. der PreisV im Rahmen der Ermittlung der Schadenshöhe nach den §§ 249 ff. BGB.
Die PreisV finde Anwendung. Ausgangsbasis sei nicht der von der Beklagten vorgegebene Preis von EUR 4,50 pro FFP2-Maske. Vielmehr beschränke sich der klägerische Anspruch auf den kalkulatorischen Gewinn. Dieser entspreche 5% der vorgetragenen Selbstkosten.
Im Einzelnen:
Preisrecht gilt auch für Open-House-Verfahren
Im ersten Schritt stellt das OLG Köln fest, dass der dem Kläger entgangene Vertrag ein öffentlicher Auftrag i. S. v. § 2 Abs. 1 PreisV sei. Beim Anwendungsbereich problematisiert das Gericht das Open-House-Verfahren. Das OLG stellt klar: Anders als das EU-Vergaberecht sei das nationale Preisrecht nicht auf solche Verträge beschränkt, bei denen der öffentliche Auftraggeber eine Auswahl zwischen Angeboten trifft, denn:
„Öffentliche Aufträge im Sinne der PreisV 30/53 sind alle Aufträge des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände und der sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die sich auf ein Austauschverhältnis beziehen, wie etwa bei einem Kaufvertrag.“
OLG Köln, Urteil vom 15.05.2025 – 18 U 97/23.
Die Open-House-Rechtsprechung des EuGH komme nicht zum Tragen: Anders als der vergaberechtliche umfasse der preisrechtliche Auftragsbegriff auch solche Beschaffungsverträge, welche der öffentliche Auftraggeber in einem Open-House-Verfahren vergibt. Ob der Auftraggeber zwischen Angeboten auswählt oder nicht, sei für die Geltung des öffentlichen Preisrechts also unerheblich.
Marktpreis liegt nicht vor
Im zweiten Schritt widmet sich das OLG der Frage der Preisart. Das Gericht prüft, welche Preisart die Parteien hätten vereinbaren müssen, hätte die Beklagte pflichtgemäß den Zuschlag erteilt. Entsprechend der preisrechtlichen Preistreppe prüft es zunächst, ob die Parteien im Zeitpunkt des Zuschlags einen Marktpreis hätten vereinbaren können:
„Vorrangig maßgeblich ist grundsätzlich der verkehrsübliche Preis für marktgängige Leistungen im Sinne des § 4 PreisV 30/53 a.F.“
OLG Köln, Urteil vom 15.05.2025 – 18 U 97/23.
Im Ergebnis verneint das OLG Köln alle Arten von Marktpreisen:
Einen einheitlichen objektiven Marktpreis hätten die Parteien nicht vereinbaren können. Ein solcher war nicht feststellbar, weil das Preisrecht einen objektiven Marktpreis nur bei Börsen und ähnlichen nahezu vollkommenen Märkten annimmt.
Aber auch einen betriebssubjektiven Marktpreis verneint das OLG für den Kläger, der am Open-House-Verfahren der Beklagten als Newcomer teilnahm:
„Demgemäß setzt die Ermittlung eines betriebssubjektiven Preises voraus, dass der Anbieter zu eben diesem Preis eine Mehrzahl von Umsatzakten unter Wettbewerbsbedingungen getätigt hat […]. War ein Unternehmen wie hier bislang auf dem relevanten Markt noch nicht tätig, fehlt es an mehreren Umsatzakten, sodass ein betriebssubjektiver Preis nicht festgestellt werden kann.“
OLG Köln, Urteil vom 15.05.2025 – 18 U 97/23.
Schließlich lehnt das OLG auch einen abgeleiteten Marktpreis nach § 4 Abs. 5 PreisV n. F. ab: Da FFP2-Masken auch 2020 schon marktgängig gewesen seien, sei für einen Preis für mit marktgängigen Leistungen vergleichbaren Leistungen kein Raum.
Parteien hätten Selbstkostenfestpreis vereinbart
Mangels Marktpreis hätte die Beklagte, hätte sie sich pflichtgemäß verhalten, einen Selbstkostenpreis nach den §§ 5 ff. i. V. m. der Anlage der PreisV vereinbaren müssen:
„Da der Vertrag aus den vorgenannten Gründen mangels Feststellbarkeit eines betriebssubjektiven Preises gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 PreisV 30/53 a.F. zwingend zu dem Selbstkostenpreis des Klägers hätte geschlossen werden müssen, der Vertrag also hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Kaufpreises gemäß § 1 Abs. 3 PreisV 30/53 a.F. teilnichtig gewesen wäre, sind die Selbstkosten des Klägers Ausgangspunkt für die Berechnung seines entgangenen Gewinns.“
OLG Köln, Urteil vom 15.05.2025 – 18 U 97/23.
Grundlage, um den entgangenen Gewinn i. S. v. §§ 252 i. V. m. 249 BGB zu berechnen, sind also nach § 8 PreisV die LSP. Jeder darüber hinausgehende Preis wäre von Gesetzes wegen gem. § 134 BGB teilnichtig.
Entgangener Gewinn ergibt sich aus den LSP
Das OLG prüft nun, welche Selbstkosten sich aus dem klägerischen Vortrag ergäben. Es lässt dabei im Ergebnis lediglich die Anschaffungskosten von EUR 1,29 pro Maske gelten:
„Der Kläger trägt selbst vor, dass er die für die Belieferung der Beklagten erforderlichen 4 Mio. FFP2-Masken für netto 1,29 € pro Maske bei der T. AG lieferkosten- und zollfrei hätte beziehen können. Denn vor dem Hintergrund des klägerischen Vortrags ist nicht ansatzweise ersichtlich […], warum dem Kläger […] Personalkosten in Höhe von 61.500 € entstanden wären. […] Mangels substantiiertem und nachvollziehbarem Klägervortrag ist auch nicht plausibel, warum der Kläger im Falle der pflichtgemäßen Zuschlagserteilung durch die Beklagte Mehrkosten in Höhe von 500.000 € durch die Zahlung einer Vermittlungsgebühr an einen Handelsvermittler und in Höhe von 250.000 € für zusätzliche Beratungskosten hätte haben sollen. […]“
OLG Köln, Urteil vom 15.05.2025 – 18 U 97/23.
Nach Ziff. 52 Abs. 1 der LSP (a. F. und n. F.) wird der kalkulatorische Gewinn als Prozentsatz der zuvor festgestellten Einzel- und Gemeinkosten festgestellt. Mit der Begründung der Dritten Änderungsverordnung vom 25.11.2021 geht das OLG von einem ansatzfähigen Gewinn i. H. v. 5 % aus. Dieser müsse sich auf die allein plausibel vorgetragenen Selbstkosten i. H. v. EUR 1,29 pro Maske beziehen:
„Vor diesem Hintergrund folgt der Senat dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten, wonach der kalkulatorische Gewinnanteil regelmäßig pauschal mit 5% der Netto-Selbstkosten angesetzt wird und geht gemäß § 287 ZPO davon aus, dass der Gewinnkostenanteil des Klägers mit 5% des Netto-Selbstkosten zutreffend und adäquat erfasst ist und bei Bemessung des festen Betrags im Sinne der Nr. 52 Abs. 1 PreisLS a.F. für den kalkulatorischen Gewinnanteil so zugrunde gelegt werden kann.“
OLG Köln, Urteil vom 15.05.2025 18 U 97/23.
Bei pflichtgemäßem Handeln hätte die Beklagte den Zuschlag auf das streitgegenständliche Angebot der Klägerin erteilt. Dabei hätte sie nicht einen Preis i. H. v. EUR 4,50 pro FFP2-Maske vorgegeben, sondern den preisrechtlich zulässigen Höchstpreis i. H. v. rund EUR 1,35 (= EUR 1,29 + 5% * EUR 1,29).
Das OLG Köln kommt also zu dem Ergebnis, dass die Beklagte der Klägerin nach §§ 249 ff., 252 BGB einen entgangenen Gewinn i. H v. EUR 1,29 * 4 Mio. * 5% = EUR 258.000,- netto schuldet.
Kein widersprüchliches Verhalten
Interessant sind schließlich die Ausführungen zu § 242 BGB. Das OLG hält die nachträgliche Preiskorrektur nicht für entgegen § 242 BGB treuwidrig: Zwar war es die Beklagte selbst, die allen Bietern einen Preis von EUR 4,50 vorgeschrieben hatte. Allerdings gelte das Preisrecht unabhängig vom Parteiwillen und diene in letzter Konsequenz dem Steuerzahler. Außerdem sei der Beklagten gar nicht bewusst gewesen, dass sie die PreisV in ihrem Open-House-Verfahren beachten musste:
„Der Beklagten ist es auch nicht gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf die preisrechtlichen Vorschriften und die Teilnichtigkeit des Vertrages nach § 1 Abs. 3 PreisV 30/53 a.F., wäre er denn durch pflichtgemäße Zuschlagserteilung zustande gekommen, zu berufen. Dies ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Beklagte den Preis von netto 4,50 € pro Maske selbst vorgegeben und ursprünglich auch für angemessen gehalten hat […]. Denn § 1 Abs. 3 PreisV 30/53 a.F. richtet sich ausdrücklich auch an denjenigen, der den die Höchstpreisgrenze überschreitenden Preis verspricht. Der Schutzzweck des § 1 Abs. 3 PreisV 30/53 a.F., nämlich der Schutz des Fiskus vor zu hohen Preisen, gebietet es dementsprechend, grundsätzlich an der (Teil-)Nichtigkeit der unzulässigen Preisabrede festzuhalten. Eine Treuwidrigkeit der Partei, die sich auf § 134 BGB beruft, kann allenfalls ganz ausnahmsweise mit besonderen Umständen begründet werden, welche vom Zweck des Verbotsgesetzes nicht erfasst werden. […] Ein solcher besonderer Ausnahmefall kann hier nicht angenommen werden. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Beklagte sich hier durch die Geltendmachung der Nichtigkeit zu ihrem früheren Verhalten in Widerspruch setzen würde (venire contra factum proprium). Denn offenbar war beiden Parteien bis vor Kurzem nicht bewusst, dass die preisrechtlichen Vorschriften hier relevant sind und zu einer Teilnichtigkeit der im Open-House-Verfahren vorgesehen Preise führen.“
Revision zugelassen
Das OLG Köln hat die Revision zugelassen. Eine Entscheidung des BGH sei u.a. deswegen geboten, um hinsichtlich der Anwendung des öffentlichen Preisrechts bei Open-House-Verfahren eine einheitliche Rechtsprechung zu wahren.
Rechtliche Würdigung
Es ist zu begrüßen, wenn die Rechtsprechung bestätigt, dass die Preisverordnung nicht nur den Fiskus in Gestalt der Bundeswehr vor dem schützt, was die Ökonomen Monopol- oder Oligopolrenten nennen. Gerade in Krisenzeiten und Zeiten, in denen Bund, Länder und Kommunen Milliarden Euros für Verteidigung und Investitionen in Infrastruktur in die Hand nehmen, kann die Preisverordnung Staat und Steuerzahler vor Verschwendung schützen. Außerdem ist es rechtsstaatlich wünschenswert, dass Rechtslage und Rechtwirklichkeit übereinstimmen. Gefahr droht allerdings durch noch mehr Bürokratie. Das Preisrecht darf nie Selbstzweck werden. Seine faktische Ausweitung darf nicht dazu führen, dass die PÜ dringende Beschaffungsvorhaben kaum noch bewältigen können. Deutschland hat schätzungsweise nur 100-150 PÜ, darunter diejenigen der Bundeswehr. Spätestens seit der Zeitenwende arbeiten diese am Limit. Es darf zudem für Unternehmen nicht noch unattraktiver werden, sich um öffentliche Aufträge zu bewerben. Insgesamt darf nicht noch mehr Bürokratie aufgebaut werden. Wie lassen sich Fehlentwicklungen verhindern?
Kurzfristig empfiehlt sich eine marktpreisfreundliche Auslegung der PreisV. Literatur und Rechtsprechung sollten die PreisV insbesondere so auslegen, dass Bietern, Auftragnehmern und Unterauftragnehmern ein Marktpreisnachweis möglichst einfach gelingen kann. Bereits heute könnten Bund und Länder auch die PÜ besser steuern. Sie könnten dafür sorgen, dass diese ihre knappen Ressourcen wirtschaftlich zweckmäßiger allokieren: Preisprüfungen bei immer denselben und etablierten Rüstungsunternehmen sollten reduziert werden. Denn diese haben PreisV und deren LSP längst in mit den PÜ abgestimmten Kostenrechnungen, etablierten Preislisten und eingeübten Prozessen usw. abgebildet. In der Zeitenwende hat zudem der Faktor Zeit oberste Priorität. Hingegen sollten die PÜ mehr Ressourcen auf Newcomer und auf Preisprüfungen bei Aufträgen von Ländern und Kommunen verwenden, die aufgrund ihrer Größe finanziell und/oder politisch bedeutsam sind. Ähnliches gilt für die Änderung oder Erweiterung von Bestandsverträgen, bei denen öffentliche Auftraggeber häufig „mit dem Rücken zur Wand stehen“. Zumindest stichprobenhaft sollten die PÜ der Länder heute schon kommunale Immobilienverträge (vgl. etwa OLG Hamm, Urteil vom 28.05.2020 18 U 119/17) oder großvolumige Beschaffungsvorhaben in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie, den wiederkehrenden Flüchtlingskrise(n) und klimabedingten Katastrophen wie der Ahrtal-Flut auf ihre preisrechtliche Zulässigkeit prüfen. Unterstützung für Start-ups und andere Newcomer belebt Wettbewerb und Innovation. Ein kritischer Blick der PÜ auf Beschaffungen während Krisen kann Verschwendung und politischen Skandalen vorbeugen helfen. Die PÜ könnten auch Ländern und Kommunen helfen, im Nachhinein krisenbedingte Monopol- und Oligopolrenten abzuschöpfen.
Mittel- bis langfristig bedarf es mehr Stellen bei den PÜ, einer einheitlichen Ausbildung der PÜ, transparenter Prüfstandards sowie, nach hiesiger Auffassung, einer Reform der PreisV selbst. Die Anwendungsbereiche und ökonomische Logik von Vergabe-, öffentlichem Preisrecht und EU-Beihilferecht sollten besser verzahnt werden. Die Idee eines objektiven einheitlichen Marktpreises und der betriebssubjektive Marktpreis dürfen nicht das Maß aller Dinge sein. Ersterer ist realitätsfern, letzterer diskriminiert u.a. Start-ups und andere Newcomer. Es sollte zulässig sein, Marktpreise über Konkurrenzpreise und solche an nicht vollkommenen Märkten nachzuweisen. Schief ist auch, wenn über die PreisV die Gestaltungsmacht öffentlicher Auftraggeber bei Preisblättern und sonstigen angebotsrelevanten Vergabeunterlagen unterlaufen und öffentliche Aufträge aufgrund der Nichtnachweisbarkeit von Marktpreisen künstlich verteuert werden.
Allgemeiner und besonderer Markt sollten als gleichrangig behandelt werden. Letzterer sollte nicht auf Vergabeverfahren mit mindestens zwei wertungsfähigen Angebot beschränkt sein: Jeder Angebotspreis, der sich im Rahmen eines Vergabeverfahrens mit Ex-ante-Aufruf zum Wettbewerb (offenes/nicht offenes Verfahren, Öffentliche Ausschreibung, Beschränkte Ausschreibung und Verhandlungsverfahren/Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb) oder in einem anderen Vergabeverfahren gebildet hat, bei dem ein sachkundiger objektiver Bieter analog §§ 133, 157 BGB ex ante davon ausgehen musste, nicht der einzige zu sein, muss als Marktpreis i. S. v. § 4 durchgehen. In all diesen Konstellationen sollte die Marktpreisvermutung im Hauptauftrag auch für alle Unteraufträge gelten. Denn ein Bieter, der sich im Wettbewerb wähnt, wird auch von seinen Nachunternehmen Wettbewerbspreise verlangen. Der Marktpreisnachweis über den besonderen Markt sollte zudem nicht auf Beschaffungswettbewerbe beschränkt sein. Beispiel: Eine Kommune veräußert eine Immobilie in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren, um eine beihilferechtswidrige Begünstigung i. S. v. Art. 107 Abs. 1 AEUV auszuschließen. Auch hier muss das Preisrecht de lege ferenda eine Marktpreisvermutung aussprechen.
Die aktuelle Verordnung ist unzureichend mit dem Vergabe- und EU-Beihilferecht verzahnt, widerspricht der (mikro-)ökonomischen Vernunft und der gelebten Praxis bei vielen Beschaffungs- und Veräußerungsvorgängen der öffentlichen Hand. Eine Reform der PreisV sollte zeitnah avisiert werden.
Praxistipp
Das Preisrecht der PreisV verdient mehr Aufmerksamkeit. Wie das Vergaberecht (und das Zuwendungsrecht) dient es dem zweckmäßigen und wirtschaftlichen Einsatz von Steuergeldern für die Bewältigung öffentlicher Aufgaben. Wie das EU-Beihilferecht möchte es die Preisbildung im marktwirtschaftlichen Wettbewerb absichern. Richtig eingesetzt, fördert das Preisrecht Effizienz und Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung. Falsch eingesetzt sorgt es für unnötige Bürokratie und droht es die dringend erforderliche Zeitenwende in Deutschlands Verwaltung weiter auszubremsen.
Im konkreten Fall bleibt abzuwarten, ob und wie der BGH sich zur Entscheidung aus Köln verhalten wird.