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Vorsicht bei Ausschluss wegen Schlechtleistung! (VK Berlin, Beschl. v. 19.07.2024 – VK B 1-19/23)

EntscheidungBei dem Ausschluss eines Bieters wegen vorheriger Schlechtleistung muss der Auftraggeber darauf achten, die Entscheidung eingehend zu begründen und dokumentieren.

Der Ausschluss wegen vorheriger Schlechtleistungen eines Bieters ist ein Dauerbrenner. Jedem Beschaffer fallen sicherlich auf Anhieb mehrere Unternehmen ein, mit denen eine weitere Zusammenarbeit aufgrund schlechter Erfahrungen nach Möglichkeit ausgeschlossen werden soll. Die vergaberechtlichen Hürden für einen solchen Ausschluss liegen indes hoch. So muss der Auftraggeber nicht nur die Schlechtleistung begründen und dokumentieren und im Zweifel gerichtsfest zur Überzeugung einer Vergabekammer darstellen, er muss darüber hinaus aus der Schlechtleistung auch Konsequenzen in Form von einer Kündigung, Schadensersatz oder ähnlichem gezogen haben. Selbst wenn alle Voraussetzungen gegeben sind, muss der Auftraggeber darauf achten, die erforderliche Prognoseentscheidung ermessensfehlerfrei zutreffen. Aus diesem Grunde muss der Auftraggeber vor einem Ausschluss wegen Schlechtleistung in den betroffenen Bieter vorab anhören. Unterbleibt eine solche Anhörung, ist der Ausschluss unzulässig. Die zu besprechende Entscheidung stellt mustergültig dar, wie Auftraggeber nicht vorgehen sollten, falls sie einen Bieter wegen Schlechtleistungen ausschließen wollen.

§ 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB

Sachverhalt

Der Auftraggeber machte schreibt Reinigungsleistungen in sieben Losen europaweit aus. Gegenstand des Auftrags war die Grund-, Unterhalts-, und Tagesreinigung an verschiedenen Schulstandorten. Die Bieterin gab fristgemäß ein Angebot für ein Los ab. Der Auftraggeber sagte dem Bieter ab, da ein wirtschaftlicheres Angebot vorläge. Dies rügte die Bieterin, welche der Auftraggeber zurückwies und ihr zugleich ohne vorherige Anhörung der Bieterin mitteilte, dass sie mangels Eignung und gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werde. Es sei bei früheren Reinigungsaufträgen zu erheblichen Problemen mit der Bieterin gekommen, weshalb auch Abmahnungen und Rechnungskürzungen stattgefunden hätten. Hiergegen wandte sich die Bieterin mit einem Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer. Dort trug sie vor, dass keine andauernden Schlechtleistungen vorgelegen hätten. Insbesondere wurde keine Kündigung, Schadensersatzforderung oder vergleichbare Rechtsfolge ausgesprochen.

Die Entscheidung

Die VK Berlin gibt der Bieterin recht. Der Ausschluss der Bieterin gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB war rechtswidrig, da dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen. Der Auftraggeber habe nicht dargelegt und ausreichend dokumentiert, welche Mängel wesentlich, fortdauernd oder erheblich gewesen seien und welcher Mangel schließlich zu welcher konkreten Rechtsfolge geführt haben soll. Aus der unzutreffenden Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ergäbe sich deshalb auf Seiten des Auftraggebers ein Beurteilungsfehler. Des Weiteren habe der Auftraggeber sein Ermessen bei der Vergabeentscheidung nicht pflichtgemäß ausgeübt. Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit ergebe sich die Pflicht, den Betroffenen Bieter vorher anzuhören und ihm so rechtliches Gehör zu verschaffen. Die Anhörung sei hier aufgrund der erforderlichen Prognoseentscheidung für die Eignungsprüfung von erheblicher Bedeutung. Zudem war der Ausschluss der Bieterin ermessensfehlerhaft, weil sich der Auftraggeber mit den vorgetragenen, relevanten Ausführungen der Bieterin nicht auseinandergesetzt hat.

Rechtliche Würdigung

Die VK Berlin prüft mustergültig die tatbestandlichen Voraussetzungen und die Rechtsfolgen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB. Dabei benennt sie klar den ihr zustehenden Prüfungsmaßstab und die Fehlerhaftigkeit des vom Auftraggeber durchgeführten Vergabeverfahrens.

Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB stellte die VK Berlin zunächst fest, dass dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB zusteht. Aus diesem Grund konnte die VK nur eine eingeschränkte Kontrolle auf Beurteilungsfehler vornehmen. Die Ausschlussentscheidung des Auftraggebers war aus mehreren Gründen rechtswidrig.

Damit ein Ausschluss auf § 124 Abs. Nr. 7 GWB gestützt werden kann, muss eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt worden sein. Zudem muss diese Mangelhaftigkeit zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt haben. Zu beachten ist, dass diese qualifizierte Rechtsfolge auch zu Recht gezogen worden sein muss. Die soeben dargestellte Rechtsprüfung muss vom Auftraggeber im nächsten Schritt umfassend dokumentiert werden. Dazu gehört die rechtliche Würdigung als auch der zutreffend erkannte und zu Grunde gelegte Sachverhalt. Im vorliegenden Fall hat der Auftraggeber in der Vergabeakte keinerlei Dokumentation vorgenommen. Zudem hat der Auftraggeber die konkreten Schlechtleistungen und die daraufhin ausgesprochenen Rechtsfolgen nicht nachvollziehbar benennen können. Aus diesem Grund war für die VK Berlin nicht ersichtlich, welche Reinigungsmängel aus Sicht des Auftraggebers wesentlich, fortdauernd oder erheblich gewesen sein sollen und welche zu Rechnungskürzungen geführt hätten.

Wesentlicher Punkt für die VK ist hier demnach die fehlende Dokumentation des Auftraggebers. Dieser hätte die Mängel aufzeigen und rechtlich in ihrer Schwere würdigen müssen. Zudem hätte aufgrund der Mangelhaftigkeit die vorzeitige Beendigung, Schadensersatz oder eine vergleichbare Rechtsfolge eintreten müssen, § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB. Diese gesamte Rechtsprüfung muss durch den Auftraggeber umfassend dokumentiert werden. Denn die VK darf keine undokumentierten Erwägungen des Auftraggebers durch eigene Erwägungen ersetzen und damit vorhandene Lücken eigenhändig schließen. Aus den genannten Gründen war die Ausschlussentscheidung des Auftraggebers bereits beurteilungsfehlerhaft und damit vergaberechtswidrig.

Im Anschluss stellte die VK klar, dass ein Ausschluss eines Bieters bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Schlechtleistung eine pflichtgemäße Ermessensausübung gem. § 124 Abs. 1 GWB erfordert, welche unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit getroffen werden muss. Hieraus ergibt sich ­­- vor dem Ausschluss eines Bieters – die Pflicht für den Auftraggeber, den Bieter anzuhören. Dadurch soll das Unternehmen die Möglichkeit erhalten, die Vorwürfe zu widerlegen oder Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB darzulegen. Bereits aus der unterlassenen Anhörung folgt die Rechtswidrigkeit der Ausschlussentscheidung, da die Anhörung nicht entbehrlich war.

Von großer Bedeutung ist die Anhörung für die erforderliche Prognoseentscheidung des Auftraggebers. Bei der Prognoseentscheidung muss nämlich das Ergebnis der Anhörung mit einbezogen und auch dokumentiert werden. Hierbei geht es um die Frage, ob von dem Bieter unter Berücksichtigung der früheren Mangelhaftigkeit seiner Leistung zukünftig erwartet werden kann, dass er den zu vergebenden Auftrag gesetzestreu, ordnungsgemäß und sorgfältig ausführen wird.

Die durch den Wortlaut des § 124 Abs. 1 GWB (kann) gewährte Ermessensentscheidung des Auftraggebers darf von den Nachprüfungsinstanzen nur auf Ermessensfehler überprüft werden. Zunächst wird der auf Tatbestandsseite nicht beurteilungsfehlerfrei zugrunde gelegte Sachverhalt bedeutsam (s.o.), denn es dürfen im Rahmen der Ermessensausübung nur die rechtsrelevanten Schlechtleistungen, die zu erheblichen Rechtsfolgen geführt haben, in die Abwägung eingestellt werden. Der Auftraggeber muss sich hierbei mit relevanten, d.h. auch gerade vom Bieter vorgetragenen, Aspekten auseinandersetzen. Das erfolgte im vorliegenden Fall durch den Auftraggeber nicht. Im Gegensatz dazu legte der Auftraggeber selbst eine Tabelle vor, aus der sich ergab, dass die Bieterin seit 2022 an 15 Schulstandorten Reinigungstätigkeiten leistete, wobei die Rechnungen überwiegend nicht gekürzt wurden. Daraus schlussfolgerte die VK einen Ermessensfehler in Form des Ermessensfehlgebrauchs. Der Ausschluss war damit rechtswidrig.

Darüber hinaus stellte die VK weitere Vergaberechtsverstöße fest: Der Auftraggeber hatte in den Vergabeunterlagen vorgesehen, dass es zum zwingenden Ausschluss des Bieters vom Vergabeverfahren führt, wenn einer der vom Bieter benannten Referenzgeber die Leistung des Bieters als nicht zufriedenstellend beurteilt. Nach der zutreffenden Auffassung der Vergabekammer verstößt eine solche Regelung gegen die abschließenden Regelungen der §§ 122 ff. GWB zur Eignungsprüfung. Denn diese Verfahrensweise stellt eine Abschwächung gegenüber der zwingenden Norm des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB dar. Diese Vorschrift verlangt auf Tatbestandsseite für einen Ausschluss eines Unternehmens, dass eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt wird. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB darf folglich nicht durch eigene Regelungen unterlaufen werden und die Hürde für einen Ausschluss wegen vorheriger Schlechtleistung absenken.

Ein weiterer von der Vergabekammer festgestellter Vergaberechtsverstoß betraf die Bewertung der Angebote. Die Kriterien für die Bewertung müssen sich für die Bieter zwingend im Vorhinein aus den Vergabeunterlagen ergeben. Den Bietern müssen alle Kriterien und deren relative Bedeutung im Zeitpunkt der Vorbereitung der Angebote bekannt sein. Der Auftraggeber darf keine Unterkriterien oder Gewichtungsregeln anwenden, die er den interessierten Unternehmen vorher nicht preisgegeben hat. Vorliegend bewertete der Auftraggeber die Bieter aber anhand nicht bekanntgemachter Unter-Unterkriterien. So hat er etwa Punkte dafür vergeben, ob die Bieter Mikrofaser-Reinigungstücher verwenden. Dabei war auffallend, dass entweder die Maximalpunktzahl oder null Punkte vergeben wurden; eine Vergabe von Zwischenpunkten erfolgte nicht.

Praxistipp

Die VK Berlin zeigt mit ihrer Entscheidung auf, dass es für einen rechtmäßigen Ausschluss eines Unternehmens gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vor allem darauf ankommt, die rechtliche Prüfung der Vorschrift genau vorzunehmen und die Prüfung eingehend zu dokumentieren. Hierbei ist entscheidend, dass auch frühere Mängel und deren Schwere bzw. Dauer festgehalten werden. Zudem muss die ausgesprochene Rechtsfolge gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gerade aufgrund der Mangelhaftigkeit erfolgt sein. Bei der Prüfung ist der ausdrücklich erwähnte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, aus welchem vor, dass der Bieter vor Ausschluss zwingend anzuhören ist. Ferner darf der Auftraggeber die Regelung des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB nicht durch die Einführung eigener Verfahrensregeln oder auf andere Weise unterlaufen, da § 124 GWB zwingendes Recht darstellt.

Öffentliche Auftraggeber sind daher gut beraten, den Tatbestand und das Ermessen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sorgfältig zu prüfen und zu dokumentieren.

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Über Dr. Oskar Maria Geitel

Dr. Oskar Maria Geitel ist Partner, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Rechtanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB in Berlin. Er berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit stellt die rechtliche Begleitung von Bauvorhaben bezüglich aller Fragen des Baurechts dar, welche sich unmittelbar an die Begleitung des Vergabeverfahrens anschließt. Herr Geitel ist Kommentarautor, Lehrbeauftragter für Vergaberecht und Dozent bei diversen Bildungseinrichtungen.

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