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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 17/05/2021 Nr. 47004

Marktzutrittsbeschränkungen für Newcomer durch Eignungsanforderungen? (OLG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 10.12.2020 – 54 Verg 4/20)

EntscheidungUnter welchen Voraussetzungen dürfen Auftraggeber bestimmte Erfahrungen der Bieter als Mindestanforderungen festlegen? Derartige Marktzutrittsbeschränkungen, wie etwa die Forderung einer Mindestzahl von vergleichbaren Referenzprojekten, oder eine Mindestdauer der Geschäftstätigkeit, sind regelmäßig Gegenstand von Nachprüfungsverfahren. Das OLG Schleswig hat sich kürzlich vertieft mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt.

GWB § 99 Nr. 4; VOB/A 2019 § 6a EU, § 16b EU Abs. 1, 5

Leitsatz

  1. Für die Beurteilung der Eignung der Bieter am Maßstab von auftraggeberseitig gestellten Mindestanforderungen sind allein die in der Auftragsbekanntmachung bzw. in der Aufforderung zur Interessenbestätigung festgelegten Eignungskriterien maßgeblich.
  2. Wird ein Formblatt in der Auftragsbekanntmachung direkt verlinkt, kann sein Inhalt für die konkretisierende Auslegung der Eignungsanforderungen der Auftragsbekanntmachung herangezogen werden.
  3. Der Auftraggeber darf für die wirtschaftliche/finanzielle und die technische/berufliche Leistungsfähigkeit eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit der Bieter und der von ihnen eingesetzten anderen Unternehmen bei der zu vergebenden Leistung vergleichbaren Leistungen im Zeitpunkt der Abgabe des Angebots als Mindesteignungskriterium verlangen, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist.
  4. Von den Bietern kann bei einem komplexen Großbauvorhaben und hohe Anforderungen an die Ausführung und Koordinierung erfordernden Gewerk eine dreijährige Geschäftstätigkeit als Mindesteignungsvoraussetzung verlangt werden.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb im Jahr 2020 im Zusammenhang mit einem Labor-Neubau einen Bauauftrag zur Installation von Gasanlagen zur Druckluft- und Laborgasversorgung aus.

In der EU-Auftragsbekanntmachung gab er als Mindestanforderung für die Auftragserteilung vor, dass die Bieter zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe eine mindestens drei Jahre bestehende Geschäftstätigkeit aufweisen mussten. Zudem verlinkte der Auftraggeber in der Bekanntmachung ein Formblatt, in welchem die Bieter die Umsätze der letzten drei Jahre eintragen mussten.

Die spätere Antragstellerin trug in diesem Formblatt für die Jahre 2017 und 2018 einen Umsatz von null Euro ein. Der Auftraggeber schloss das Angebot daraufhin wegen des Nichterfüllens der Mindestanforderung an die Dauer der Geschäftstätigkeit von der Wertung aus.

Nach erfolgloser Rüge griff die Antragstellerin den Angebotsausschluss vor der Vergabekammer Schleswig-Holstein an. Zur Begründung trug sie unter anderem vor, dass das Unternehmen zwar erst im Jahr 2019 gegründet worden sei, jedoch über qualifiziertes Fachpersonal verfüge und insgesamt hinreichend geeignet sei.

Die Vergabekammer Schleswig-Holstein wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde beim Vergabesenat des OLG Schleswig ein.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat bestätigte die Entscheidung der Vergabekammer und wies die sofortige Beschwerde als unbegründet zurück.

Der Auftraggeber durfte das Angebot der Antragstellerin nach Ansicht des Vergabesenats wegen mangelnder Eignung von der Wertung ausschließen.

Demnach durfte der Auftraggeber eine mindestens drei Jahre bestehende Geschäftstätigkeit der Bieter zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe als Mindestanforderung an die Eignung fordern.

Zwar handelte es sich hierbei um eine Marktzutrittsbeschränkung, die einer Rechtfertigung bedarf.

Diese Mindestanforderung war aus Sicht des Vergabesenats jedoch durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, da die zu vergebende Leistung eine besondere Erfahrung des Auftragnehmers erfordere.

Die Leistung sei im Rahmen eines großen und komplexen Bauvorhabens – des Neubaus eines zu Forschungszwecken genutzten Laborgebäudes – zu erbringen, was besondere Sicherheitsanforderungen, sowie fachlich hohe Anforderungen voraussetze. Zudem erfordere die Leistungserbringung die Koordination einer Vielzahl von Schnittstellen mit anderen Gewerken des Bauvorhabens über einen längeren Zeitraum. Darüber hinaus würden bei der Leistungserbringung verhältnismäßig hohe Kosten für die Beschaffung von Material anfallen, die von dem Auftragnehmer vorzufinanzieren seien.

Unternehmen, die bereits seit mindestens drei Jahren geschäftstätig seien, böten eine höhere Gewähr dafür, dass sie die verfahrensgegenständliche Leistung ordnungsgemäß erbringen werden.

Zudem sei keine erhebliche wettbewerbsbeschränkende Wirkung dieser Mindestanforderung ersichtlich, da genügend der auf diesem Markt tätigen Unternehmen diese Mindestanforderung erfüllen könnten.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung reiht sich überzeugend in die ständige Rechtsprechung zu Marktzutrittshürden für sog. Newcomer ein (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.11.2011- Verg 60/11). Hiernach ist es rechtlich zulässig, bei den Eignungsanforderungen besondere Erfahrungen voraussetzen, wenn der Auftragsgegenstand dies rechtfertigt. Die hierdurch errichteten Marktzutrittsbeschränkungen werden dann durch das Interesse des Auftraggebers an der ordnungsgemäßen Auftragsausführung überwogen. Dies ist etwa bei komplexen Bauvorhaben anerkannt (vgl. auch VK Nordbayern, Beschl. v. 11.05.2015 – 21.VK-3194-10/15).

Hieran anknüpfend war die Mindestanforderung an die Dauer der Geschäftstätigkeit im vorliegenden Fall durch die Komplexität des Bauvorhabens gerechtfertigt.

Zu beachten ist in diesem Kontext, dass die bloße Forderung, dass die Umsätze der letzten drei Geschäftsjahre benannt werden sollen, keine wirksame Mindestanforderung begründet, dass eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit vorliegen muss. Die geforderte Dauer der Geschäftstätigkeit muss vielmehr ausdrücklich in der Bekanntmachung als Mindestanforderung aufgeführt werden. Dass Mindestanforderungen in diesem Kontext nicht wirksam bekannt gemacht worden sind, war bereits mehrfach Gegenstand von Nachprüfungsverfahren (vgl. hierzu aktuell: OLG Dresden, Beschl. v. 05.02.2021, Verg 4/20).

Praxistipp

Mindestanforderungen, die Markteintrittshürden begründen, sollten unter Berücksichtigung des konkreten Leistungsgegenstands und der Gegebenheiten des jeweiligen Marktes stets sorgfältig begründet und dokumentiert werden.

Dies gilt gerade auch, soweit es sich um relativ neue Märkte handelt. So hat beispielsweise die Vergabekammer Lüneburg in einer ebenfalls aktuellen Entscheidung Marktzutrittsbeschränkungen für den Bereich des Breitbandausbaus als grundsätzlich kritisch eingestuft (Vergabekammer Lüneburg, Beschl. v. 18.05.2020, VGK 06-20).

Zudem ist darauf zu achten, dass die Mindestanforderungen wirksam aufgestellt werden. Hierfür müssen die Mindestanforderungen ausdrücklich in der EU-Bekanntmachung benannt werden. Auch die dazugehörigen Nachweise sollten in der EU-Bekanntmachung aufgeführt werden. Alternativ können die dazugehörigen Nachweise wie auch im vorliegenden Fall durch eine direkte Verlinkung zu dem jeweiligen Formblatt gefordert werden.

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Lars Lange, LL.M. (Kopenhagen)

Der Autor Lars Lange ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht bei der Morgenstern Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg. Er berät Auftraggeber und Bieter zu sämtlichen Aspekten des Vergaberechts

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