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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 27/01/2025 Nr. 69484

Die ganzheitlichen VOB/B in den VOB/A EU – nicht immer sinnvoll, nicht immer verpflichtend

Die VOB/B müssen und sollten nicht in jede Bauausschreibung. Doch für die Vergabe von Bauleistungen ab Erreichen des Schwellenwerts schreibt § 8a EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A grundsätzlich vor, dass in den Vergabeunterlagen die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden (dazu 1). Demgegenüber lässt § 8a EU Abs. 2 VOB/A ausdrücklich Ergänzungen und bestimmte Abweichungen von den VOB/B zu (dazu 2.). Doch was gilt, wenn projektspezifische weitergehende Abweichungen erforderlich sind? Sind diese begründungspflichtig und wenn ja, welche Möglichkeiten zur Begründung bestehen und welcher Maßstab ist anzulegen (dazu 3.)?Fehlt es an einer hinreichenden Begründung, welche Folgen haben Verstöße gegen § 8a EU VOB/A (dazu 4.)? Im Ergebnis sind projektspezifische Abweichungen von den VOB/B in Einklang mit § 8a EU VOB/A rechtssicher möglich (dazu 5.).

1. VOB/B als Ganzes grundsätzlich verpflichtend und projektabhängig sinnvoll

Die Vereinbarung der VOB/B als Ganzes ist grundsätzlich verpflichtend und im Einzelfall auch sinnvoll. Die Vereinbarung der unveränderten VOB/B in Bauverträgen, die europaweit nach der VOB/A EU ausgeschrieben werden, ist nach § 8a EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A grundsätzlich verbindlich.

Ziel des § 8a EU VOB/A ist eine sichere Kalkulationsgrundlage für die Bieter zu schaffen. Die VOB/B werden vom Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA), einem von den Interessengruppen der öffentlichen Auftraggeber und der Auftragnehmer paritätisch besetzten Gremium, erarbeitet und fortgeschrieben und gelten als bewährte und für beiden Seiten angemessene Regelungen. Sie unterliegen gemäß § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB. § 8a EU VOB/A soll Bauunternehmen in Vergabeverfahren von der juristischen und kalkulatorischen Bewertung von individuellen Vertragsgestaltungen entlasten. Die Norm dient somit insbesondere der gewerkeweisen Vergabe von Bauleistungen mit kleinen und mittleren Volumen auf Grundlage einer abgeschlossenen Planung, bei denen eine wirtschaftliche Auftragsausführung nur bei geringen Akquisekosten möglich ist. Individuell erstellte Bauverträge müssten, auch wenn sie dem Leitbild des BGB-Bauvertragsrecht entsprechen und vollständig vertragsrechtlich wirksam sind, von den Bietern im Einzelfall geprüft und individuell kalkulatorisch bewertet werden. Die Vorschrift des § 8a VOB/A/EU ist somit eine gesondert normierte Ausprägung des Verbots in § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, dem Bieter ungewöhnliche Wagnisse aufzuerlegen (VK Südbayern, Beschluss vom 14.02.2022 – 3194.Z3-3_01-21-44 = ZfBR 2022, 408). Die Regelung des § 8a EU VOB/A ist insoweit auch Ausdruck des Transparenzgebots gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB und § 2 EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A (Rechten, Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, § 8a VOB/A-EU, Rn. 8).

2. Die VOB/A EU lässt Ergänzungen und Abweichungen ausdrücklich zu

Neben den Konstellationen, in denen die unveränderten VOB/B eine sinnvolle Vertragsgrundlage bilden, gibt es auch Projekte, bei denen Abweichungen von den VOB/B erforderlich und zulässig sind. Abweichungen können einerseits gesetzlich vorgesehene Ergänzungen in Form von zusätzlichen Vertragsbedingungen sein, die im Einklang mit den VOB/B stehen (dazu 2.1). Daneben gibt es auch Projekte, die anhand der Erfordernisse des Einzelfalls besondere Vertragsbedingungen erfordern. (dazu 2.2).

2.1. Ergänzungen durch Zusätzliche Vertragsbedingungen nicht immer ausreichend

Ergänzungen zur VOB/B durch zusätzliche Vertragsbedingungen, gemeint sind „lediglich Ergänzungen“, sind im Rahmen von § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 VOB/A zulässig. § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/A formuliert zwar, dass die Bestimmungen der VOB/B nur „grundsätzlich“ unverändert bleiben müssen. Die damit implizierten Ausnahmen beziehen sich jedoch, wie § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VOB/A verdeutlicht, auf Ergänzungen zu den VOB/B. Diese Ergänzungen dürfen aber nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 VOB/A den Regelungen der VOB/B nicht widersprechen. Das betrifft vor allem konventionell geplante Bauleistungen, bei denen neben den VOB/B noch zusätzliche vertragliche Bestimmungen (z.B. zur Preisgleitung oder zur Rechnungslegung) vereinbart werden.

2.2. Besondere Vertragsbedingungen: Öffnungsklauseln erlauben Abweichungen im Einzelfall

Für die Erfordernisse des Einzelfalles sind nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A die Allgemeinen Vertragsbedingungen und etwaige Zusätzliche Vertragsbedingungen durch Besondere Vertragsbedingungen zu ergänzen (§ 8a EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/A) oder abweichend zu regelnd ((§ 8a EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VOB/A). Doch auch Abweichungen von den VOB/B sollen sich auf die Fälle beschränken, bei den Ausnahmen in den VOB/B ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Die Ergänzungen nach Nr. 2 sollen somit auf die Fälle beschränkt werden, bei denen die VOB/B eine Öffnungsklausel vorsieht und bei denen Besondere Vertragsbedingungen aufgrund der Eigenart der Leistung und ihrer Ausführung erforderlich sind. Öffnungsklauseln finden sich etwa in § 17 Abs. 2 oder § 18 Abs. 1 VOB/B („Wenn im Vertrag nichts anderes vereinbart ist“). Überall dort, wo keine Öffnung vorgesehen ist, etwa hinsichtlich der Planungsverantwortung der Bauunternehmen, führen die Ergänzungsmöglichkeiten nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 VOB/A mit dem intendierten Ermessen („sollen“) zu keiner sachgerechten Lösung.

Die VOB/B und die vorgesehenen Ergänzungsmöglichkeiten können vor allem bei Großprojekten nicht sachgerecht sein. Denn die VOB/B gehen von einer konventionellen Projektkonzeption aus. Danach werden die Bauleistungen auf Grundlage einer vollständigen konstruktiven Planung erbracht. Etwa sind die für die Ausführung nötigen Unterlagen dem Auftragnehmer unentgeltlich und rechtzeitig vom Auftraggeber zu übergeben (§ 3 Abs. 1 VOB/B). Das passt nicht für Projektgestaltungen, bei denen Bauunternehmen Verantwortung für die Planung übernehmen und etwa die Ausführungsplanung erbringen sollen. Auch lassen sich etwa die Durchführung von Rahmenvereinbarungen beim abschnittsweisen Bauen oder Sanieren sowie von Mehrparteienverträgen bei der integrierten Projektabwicklung (IPA) nicht mit den unveränderten VOB/B vereinbarten. Der Endbericht der Reformkommission Großprojekte des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr formuliert daher: „Um den daraus entstehenden Risiken für die Vertragsabwicklung entgegenzuwirken, sollten Verträge – ggf. basierend auf Musterverträgen – individuell gestaltet werden.“ (BMDV, Endbericht Reformkommission Bau von Großprojekten, S. 50). Auch eine aktuelle Entscheidung der VK Südbayern vom 14.02.2022, welche einen Vergabeverstoß wegen Verletzung von § 8a EU VOB/A annimmt, hat zu dem Echo in der Literatur geführt, dass inhaltliche Abweichungen von den VOB/B projektspezifisch und ohne Verstoß gegen die VOB/A EU möglich sein müssen (Trautner, NZBau 2023, 88, 89, Opitz, NZBau 2024, 249, 250). Allerdings kennen die VOB/B für die skizzierten Konstellationen (etwa in § 3 VOB/B) keine Öffnungsklauseln im Sinne von § 8a EU Abs. 2 Satz 2 VOB/A.

3. Abweichungen sind auch ohne Öffnungsklausel nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A rechtssicher möglich

Abweichungen von den VOB/B sind auch ohne Öffnungsklausel nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A rechtssicher möglich (dazu 3.1). Die Vorgaben eines Fördermittelgebers oder verwaltungsinterne Vorschrift können jedoch anders zu bewerten sein (dazu 3.2).

3.1. Vorgaben der VOB/A EU lassen inhaltliche Abweichungen zu

Der Wortlaut des § 8a EU VOB/A eröffnet Begründungsmöglichkeiten für inhaltliche Abweichungen von den VOB/B unter den Voraussetzungen des § 8a EU Abs. 2 Satz 2 VOB/A. Danach sollen sich Abweichungen von den Allgemeinen Vertragsbedingungen auf die Fälle beschränken, in denen dort besondere Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Eine Soll-Vorschrift ist nicht zwingend und ihr sind Ausnahmen inhärent. Daher kommt es auf die Frage letztlich nicht an, ob und inwiefern die VOB/A EU auf einer hinreichenden Verordnungsermächtigung beruht, um etwa den Vorrang der VOB/B gemäß VOB/A gegenüber dem Bauvertragsrecht des BGB zu formulieren. Zwar sind die VOB/A EU im Verordnungswege auf Grundlage von § 113 Satz 2 Nr. 2 GWB erlassen worden. Ob eine solche Verordnungsermächtigung ausreicht, um den in § 8a EU VOB/A normiert Vorrang der VOB/B vor dem Bauvertragsrecht des BGB zu rechtfertigen, wird in der Literatur bezweifelt (Opitz, NZBau 2024, 249, 250). Die Rechtsfolge im Falle einer unzureichenden Ermächtigungsgrundlage wäre, dass zumindest § 8a EU VOB/A rechtswidrig und daher unanwendbar wäre. Eine solche Entscheidung hat soweit ersichtlich noch kein Gericht getroffen. Vielmehr ist § 8a EU VOB/A hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben des BGB (dazu 3.1.1) sowie hinsichtlich projektspezifischer Erfordernisse (dazu 3.1.2) auszulegen.

3.1.1. Regelungen des BGB zulässig

Eine Vertragsgestaltung nach dem Leitbild des BGB ist abweichend von den VOB/B zulässig. Das GWB selbst kennt keine Pflicht zur Vergabe von Bauaufträgen nach der VOB/A EU. Das EU-Primärrecht nimmt erst recht keinen Bezug auf die ausschließlich nationalen Regelungen der VOB/A EU oder VOB/B (Rechten, Beck´scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, § 8a VOB/A-EU, Rn. 3).

Das Argument der Entscheidung der VK Südbayern vom 14.02.2022 hinsichtlich der Kalkulationssicherheit aufgrund der bekannt und bewährten VOB/B überzeugt mit Blick auf das BGB nicht. Warum aus dem vom Gesetzgeber beschlossenen Bauvertragsrecht des BGB gegenüber den vom privaten DVA ausgehandelten VOB/B keine transparenten Kalkulationsgrundlage bieten soll, ist nicht ersichtlich. Inhaltliche Abweichungen zwischen BGB und VOB/B bestehen etwa hinsichtlich der Gefahrtragung für den zufälligen Untergang der Bauleistungen vor der Abnahme nach § 644 Abs. 1 Satz 1 BGB einerseits und § 7 Abs. 1 VOB/B andererseits oder hinsichtlich des Anordnungsmechanismus nach §§ 650b, 650c BGB oder nach §§ 1, 2 VOB/B. Der Inhalt von § 644 Abs. 1 BGB ist seit 1900 unverändert und auch für §§ 650b, 650c BGB kann bereits auf sechs Jahre Praxis- und Kalkulationserfahrung zurückgeblickt werden.

3.1.2. Individuelle vertragliche Regelungen in den Grenzen des Vergaberechts zulässig

Individuelle vertragliche Regelungen abseits des Wortlauts der VOB/B sind wie zuvor dargestellt, ggf. erforderlich und auch rechtlich zulässig. Materiell-rechtlicher Maßstab für die Zulässigkeit, bestimmte Vertragsgestaltungen vorzugeben, sind insbesondere das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers und die Vergabegrundsätze. Das spiegelt der Wortlaut des § 8a Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/A insofern wider, dass Abweichungen von den VOB/B auf die Fälle beschränkt werden sollen, wenn besondere Vereinbarungen ausdrücklich vorgesehen sind und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erfordern. Fehlt es an der Öffnungsklausel, steigt gemäß mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Begründungsmaßstab für das Erfordernis individueller Regelungen aufgrund der Eigenart der Leistung und ihrer Ausführung. Die Eigenart der Leistung und ihrer Ausführung sind Ausprägungen des Leistungsbestimmungsrechts. Überdies sind die Vorgaben des § 8a EU VOB/A als Ausdruck des Transparenzgebots nach § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB und § 2 EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A (dazu oben 1.).

Bei einfach gelagerten gewerkeweisen Bauausschreibung können die ganzheitlichen VOB/B regelmäßig eine transparente und verhältnismäßige Vertragsgestaltung bieten. Die Baupraxis zeigt, dass derartige Projekte auf Grundlage der VOB/B funktionieren können. Soll jedoch der Bau in die Planung eingebunden werden, kann ein solcher Vergabegegenstand (Planen und Bauen) nach seiner Eigenart ein Abweichen von den VOB/B erfordern. Andernfalls wäre auch eine Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm (funktionale Leistungsbeschreibung, auch „FLB“) nach § 7c EU Abs. 1 VOB/A widersprüchlich; denn wie soll gemäß § 3 Abs. 1 VOB/B dem Bauunternehmen eine fertige Ausführungsplanung übergeben werden und zeitgleich von ihm auch ein Planungsentwurf verlangt werden?

Die Gründe für ein inhaltliches Abweichen von den VOB/B und somit von § 8a EU VOB/A sind gemäß § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 1 VgV zu dokumentieren. Danach dokumentiert der öffentliche Auftraggeber das Vergabeverfahren, soweit dies für die Begründung von Entscheidungen erforderlich ist. Dazu gehört zum Beispiel die Dokumentation der Vorbereitung der Auftragsbekanntmachung und der Vergabeunterlagen. Das betrifft insbesondere wegen ihrer Auswirkungen auf das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot Entscheidungen mit potenziell wettbewerbsbeschränkender Wirkung. Mit anderen Worten ist das inhaltliche Abweichen von den VOB/B als Ganzes dokumentationspflichtig, da eine projektspezifische Vertragslage abseits der VOB/B eine individuelle kalkulatorische Bewertung erfordern kann. Das kann kleinere und mittlere Unternehmen ohne eigene Einkaufs- bzw. Rechtsabteilung von vornherein von einer Verfahrensbeteiligung abhalten.

Die Dokumentationstiefe richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Umfang der inhaltlichen Abweichungen von den VOB/B unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dabei werden die Gründe für ein Abweichen von den VOB/B regelmäßig nicht isoliert zu bewerten sein: Wird etwa von den VOB/B zugunsten einer FLB und Planungsleistungen eines Generalunternehmers abgewichen, werden regelmäßig die Voraussetzungen für eine FLB nach § 7c EU VOB/A und für eine Gesamtvergabe i.S.v. § 97 Abs. 4 GWB zu begründen und dokumentieren sein (Tenner/Brousse, VergabeR 2024, 253, 258 ff.). Ist eine Gesamtvergabe der Bauleistungen einschließlich zugehöriger Planungsleistungen vergaberechtlich zulässig, ist auch eine Abweichung von den VOB/B geboten. Eine abweichende Begründungstiefe folgt aus § 8a EU VOB/A nicht. Im Übrigen sind inhaltliche Abweichungen von den VOB/B zu begründen, soweit die Begründung nicht direkt aus § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 VOB/A oder im Einklang mit dem intendierten Ermessen aus Satz 2 folgen. Herausfordernd kann dabei für öffentliche Auftraggeber (und in der Folge auch für Bieter) sein, die konkreten inhaltlichen Abweichungen von den VOB/B zu identifizieren; z. B. wenn Abweichungen von den VOB/B aus den Vorbemerkungen zum Leistungsverzeichnis folgen. Eine hinreichende Dokumentation trägt dabei nicht nur zur Rechtssicherheit bei, sondern häufig auch zur Konkretisierung des Auftragsgegenstands. Der Auftraggeber muss sich bei der Dokumentation fragen, warum bei diesem Auftragsgegenstand eine Abweichung von einer konkreten VOB/B-Norm verhältnismäßig ist.

3.2. Im Fördermittelrecht gilt das Wort des Fördermittelgebers

Die Abweichungsmöglichkeit gemäß § 8a EU VOB/A sagt indes nicht zwingend etwas über Abweichungsmöglichkeiten von den VOB/B aus, wenn deren Vereinbarung vom Fördermittelgeber, z.B. über Nebenbestimmungen zum Förderbescheid, vorgegeben ist. Das gilt jedenfalls, wenn und so weit die Nebenstimmungen nicht auf die Anwendung des Vergaberechts verweisen (so etwa nach den ANBest-P). Sofern die Vorgabe der VOB/B nicht zur Projektkonzeption des Fördermittelempfängers passt, empfiehlt sich vor umfangreichen dogmatisch fundierten Dokumentationsansätzen stets der Dialog mit dem Fördermittelgeber. Ähnliches gilt auch für interne Verwaltungsvorschriften, welche die Einhaltung der VOB/A EU und deren Verweis auf die VOB/B vorschreiben.

4. Nicht begründete Abweichungen können Bieterrechte verletzen

Nicht begründete inhaltliche Abweichungen von den ganzheitlichen VOB/B können Bieter in ihren Rechten verletzten (§ 97 Abs. 6 GWB). Schreibt der Auftraggeber ohne hinreichende Begründung abweichende Bedingungen von den VOB/B fest, wird den Bietern eine individuelle Bewertung der Vertragsunterlagen abverlangt, ohne dass diese für den konkreten Auftragsgegenstand geboten wäre. Davor soll § 8a VOBA EU die Bieter schützen. Die Vorschrift kann als Ausdruck des Transparenzgebots (dazu oben 1.) bieterschützend sein (VK Südbayern, Beschluss vom 14.02.2022 – 3194.Z3-3_01-21-44).

Die Vergabekammer entscheidet gemäß § 168 Abs. 1 GWB, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist und trifft die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Zu einer zivilrechtlichen Prüfung von Vertragsklauseln in Form einer AGB-Inhaltskontrolle ist die Vergabekammer nicht verpflichtet. Allerdings werden zumindest offensichtlich AGB-rechtswidrige Abweichungen von der VOB/B kaum dem Transparenzgebot entsprechen. Eine hinreichende vergaberechtlich Begründung, dass die Eigenart der Leistung die Verwendung offensichtlich rechtswidriger AGB erfordert, ist schwer vollstellbar.

5. Fazit

Projektspezifische inhaltliche Abweichungen von den VOB/B sind in Einklang mit § 8a EU VOB/A möglich. Abseits der Vorgaben des § 8a EU Abs. 2 VOB/A sind inhaltliche Abweichungen zu dokumentieren und zu begründen, wobei die Begründung regelmäßig von anderen projektspezifisch zu begründenden Entscheidungen des Auftraggebers getragen werden dürfte, etwa im Zusammenhang mit der Einbindung des Baus in die Planung und der Ausschreibung auf Basis einer funktionalen Leistungsbeschreibung. Bieter können Abweichungen von den VOB/B mit einer Verletzung des in § 8a EU VOB/A normierten Transparenzgebots vor der Vergabekammer geltend machen. Diese ist nicht zu einer vertragsrechtlichen AGB-Kontrolle verpflichtet.

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Dr. Jan T. Tenner, LL.M.

Der Autor Dr. Jan T. Tenner, LL.M. ist Rechtsanwalt bei derKPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, in Düsseldorf. Seine Beratungsschwerpunkte bilden das Bau- und Vergaberecht. Er berät Mandanten bei der Konzeption und Realisierung von Bauvorhaben im öffentlichen und privaten Sektor, sowie zu den vergaberechtlichen, vertragsrechtlichen, aber auch fördermittelrechtlichen Anforderungen bei der Beschaffung von Projektsteuerungs-, Planungs- und Bauleistungen.

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