Elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge – Vergabeblog sprach mit Prof. Dr. Jörn von Lucke, Direktor des Deutsche Telekom Institute for Connected Cities (TICC) an der Zeppelin University Friedrichshafen und Leiter der Forschergruppe „High Performance Portals – Solutions for the Public Sector“ am Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin über den Stand der Dinge, Hürden und Insellösungen, Verantwortliche, Versäumnisse – und Perspektiven.
Herr von Lucke, die EU-Kommission hat es sich zum Ziel gesetzt, die eVergabe im Jahr 2010 in allen Fällen zu ermöglichen und in mindestens der Hälfte der Fälle die Angebotsabgabe tatsächlich auf elektronischem Weg abzuwickeln. Schaffen wir das noch?
Da die EU-Kommission unter eVergabe nicht nur die elektronische Veröffentlichung von Ausschreibungstexten versteht, sondern den gesamten Vergabevorgang elektronisch abwickeln möchte, ist in der Tat eine ambitionierte wie realisierbare Zielvorgabe erforderlich. 2006 wurden diese Ziele mit dem E-Government-Aktionsplan im Rahmen der i2010-Initiative gesetzt, auf Basis des vorhandenen E-Vergabe-Aktionsplans. Die Mitgliedsstaaten haben sich zur Umsetzung selbst verpflichtet. 18 Monate bleiben den Verantwortlichen zur Erreichung eines Ziels, von dem Behörden, Unternehmen und Steuerzahler gleichermaßen profitieren. Der bisherige Fortschritt soll dazu im kommenden Jahr genau analysiert werden. Schaue ich mir die Angebots- und Anbietervielfalt im elektronischen Beschaffungswesen an und denke ich an das vorhandene Potential für Einsparungen, so sollte eine Umsetzung realisierbar sein.
Allerdings haben wir hier in Deutschland nicht auf der grünen Wiese angefangen, sondern pflegen bereits eine jahrelange Tradition gebietskörperschaftsbezogener Bekanntmachungsplattformen und eVergabe-Systeme, hinter denen verschiedene erfolgreiche IT-Unternehmen, Standards, Vergabestellen und auch wirtschaftspolitische Erwägungen stehen. Stellen Bund, Länder und Kommunen die für eine Erreichung dieses politischen Ziels erforderlichen Finanz-, Personal- und Sachmittel adäquat zur Verfügung, sollte das Ziel auch zu erreichen sein. In Zeiten einer Finanz- und Wirtschaftskrise muss jedoch auch darauf geachtet werden, ein solches Ziel wirtschaftlich und sparsam zu erreichen.
Was meinen Sie denn damit?
Es ist zu hinterfragen, ob jede Behörde und jede Gebietskörperschaft eine eigene Ausschreibungsplattform oder ein eigenes eVergabe-System benötigt. Ich sehe großes Potential in einer Zusammenarbeit von Behörden und Gebietskörperschaften über die Verwaltungsebenen und –grenzen hinweg. So denke ich etwa an die gemeinsame Nutzung mandantenfähiger eVergabe-Systeme, über die Ausschreibungen verschiedener Behörden und Gebietskörperschaften gleichzeitig abgewickelt werden können. Wieso das Rad hundertmal neu erfinden, wenn es bereits funktioniert und als Shared Service zur Verfügung steht.
Zugegeben, eVergabe-Plattformen sprießen zur Zeit wie Pilze aus dem Boden. Fragt man einmal die Bieter, so ist dieser bunte „Flickenteppich-eVergabe“ aber weder überschaubar noch administrativ beherrschbar. Steht sich die eVergabe damit nicht selbst im Weg?
Nein, da steht uns etwas anderes im Wege: Das berühmte Gesetz Nummer Eins: „Jeder macht seins!“ Dieser Spruch verweist auf eine ganz pragmatische Erfahrung. Gelingt es nicht, sich gemeinsam binnen einer vorgegebenen Frist auf ein Ziel und ein Vorgehen zu einigen, so fängt jeder mit eigenen Aktivitäten an, die ohne weitere Absprachen kaum noch unter einen Hut zu bekommen sind. Hierbei spielen die Eigeninteressen eine ganz große Rolle.
Was hat man versäumt?
Aus meiner Sicht ist es uns in Deutschland nicht gelungen, uns frühzeitig auf ein gemeinsames Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen und einen gemeinsamen Standard zu einigen. Dies liegt auch in der Tradition der Vergabestellen begründet, die ihre künftige Existenz auch gesichert sehen wollen. Zudem existierten in Deutschland etablierte Verlage, die sich sehr erfolgreich um die Veröffentlichung von Ausschreibungen kümmerten und deren Geschäftsmodelle durch die elektronischen Bekanntmachungsplattformen und die elektronische Vergabe vollkommen in Frage gestellt wurden. Der sich daraus entwickelnde Wettbewerb hat eine eigene Dynamik erfahren, der uns diese Vielfalt unterschiedlicher Lösungen und damit auch eine gewisse Zersplitterung beschert hat. Vielleicht liegt darin auch einer der Gründe, warum im Rahmen des Konjunkturpakets II von einer forcierten Stärkung der eVergabe, aus meiner Sicht fälschlicherweise, abgesehen wurde.
Sie waren während ihrer Tätigkeit im Bundesverwaltungsamt selbst maßgeblich an der konzeptionellen Weiterentwicklung von www.bund.de beteiligt. Aktuell gibt es Bemühungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, im Rahmen der Novelle der VOL/A alle öffentlichen Auftraggeber in Bund, Ländern und Gemeinden zu verpflichten, ihre elektronischen Ausschreibungsbekanntmachungen auch über die Plattform www.bund.de auffindbar zu machen. Löst das nicht das Problem?
Bund.de veröffentlicht nur Hinweise auf die Ausschreibungsbekanntmachungen oder die Bekanntmachungen selbst. Dies ist eine anspruchsvolle Aufgabe, allein schon mit Blick auf die Bundesverwaltung mit über 300 Behörden und zahlreichen Liegenschaften, die trotz eines digitalen Datenaustausches einige Mitarbeiter bindet. Künftig werden hier noch Informationen über die Erteilung eines Auftrages ab 25.000 EUR netto veröffentlicht.
Mittelfristiges Ziel kann aber nicht der Versand von Ausschreibungsbekanntmachungen und die Nennung des erfolgreichen Bieters sein, sondern die Verwaltung muss nach Vorgaben der EU-Kommission die vollständige Vergabe elektronisch abwickeln können. Neben der Bekanntmachung umfasst dies aber auch die sichere Entgegennahme der Angebote, die Auswertung, die Vergabeentscheidung, den Vertragsschluss und Quittierung der erbrachten Leistungen.
Eine zusätzliche Veröffentlichung von Ausschreibungstexten auf bund.de erhöht daher zwar die Transparenz und stärkt das Portal, bringt uns dem eigentlichen Ziel einer elektronischen Vergabe nicht wirklich näher.
Was wäre dann die Lösung?
Wir müssen sicherstellen, dass ausgereifte elektronische Vergabesysteme breitflächigen Einsatz in der öffentlichen Verwaltung finden und dass diese über Schnittstellen die vorhandenen Ausschreibungsportale bedienen. Sie müssen leicht bedienbar, sicher und personalisierbar sein, die Vergabeprozesse erheblich vereinfachen, etwa mit Hilfe einer Unternehmensakte wie sie im Vorhaben PEPPOL erarbeitet wird, und für Transparenz sorgen.
Mit Blick auf die gegenwärtige Szenerie sollte von dem Gedanken Abstand genommen werden, eine zentrale eVergabe-Plattform ließe sich in Deutschland umsetzen. Stattdessen werden wir mehrere eVergabe-Plattformen haben, inklusive der europäischen Datenbank TED, die meiner Einschätzung nach in einen gemeinsamen Verbund einzubinden sind. Viel hängt davon ab, ob eine solche verwaltungsebenenübergreifende Verbundlösung im föderalen Deutschland überhaupt gewünscht ist und wie private Anbieter eingebunden werden sollen.
Aus Sicht der Behörden und aus Sicht der bietenden Unternehmen benötigen wir aber noch etwas ganz anderes als einen intelligenten Verbund: Einheitliche Ansprechstellen.
Eine Behörde möchte über das Vergabesystem eine Ausschreibung ganz im Sinne von One Stop Government nur ein einziges Mal eingeben. Auf Knopfdruck erwarten die Mitarbeiter der Vergabestellen, dass das System die soeben erstellte Ausschreibungsbekanntmachung an alle relevanten Bekanntmachungsplattformen automatisch versendet. Falls der lokalpolitische Wunsch besteht, bestimmte Plattformen oder kostenpflichtige Blätter nicht zu bedienen, so sollte eine Weitergabe an diese Veröffentlichungsorgane unterbunden werden können. Dies entspricht einem Point of Single Contact für Verwaltungsmitarbeiter.
Interessierte Unternehmen wollen dagegen ganz im Sinne von One Stop Government nur an einer einzigen Stelle nach relevanten Angeboten recherchieren. Eine solche Suchanfrage sollte dann im Sinne einer Metasuche über alle Ausschreibungs- und eVergabe-Systeme hinweg geeignete laufende Ausschreibungen aufzeigen und zugleich den Zugang zur Abgabe der entsprechenden Angebotsunterlagen eröffnen. Dies muss so perfekt funktionieren, dass die Unternehmer sicher sein können, über alle Ausschreibungen von EU, Bund, Ländern und Kommunen informiert zu werden.
Beide Ansätze einer einheitlichen Ansprechstelle lassen sich als Portlets in jedes vorhandene eVergabesystem einbauen. Dies setzt allerdings ein gemeinsames strategisches Ziel und gemeinsame Standards voraus, auf die sich die politisch Verantwortlichen im Vergabewesen zu einigen haben. Dies wäre eine politisch sehr wichtige Aufgabe, um die sich meiner Einschätzung nach der neue IT-Planungsrat als anerkanntes und politisch akzeptiertes Gremium rasch kümmern sollte. Nur mit nachhaltiger politischer Unterstützung können Behörden und Unternehmen von der Bundesverwaltung, den Landesverwaltungen und den Kommunen wie von den privatwirtschaftlichen Softwareherstellern und Verlagshäusern einheitliche Ansprechstellen einfordern.
Vielen Dank für das Interview!
Prof. Dr. Jörn von Lucke ist Direktor des Deutsche Telekom Institute for Connected Cities (TICC) an der Zeppelin University Friedrichshafen. Zugleich hat er den Lehrstuhl für Verwaltungs- und Wirtschaftsinformatik der Zeppelin Universität inne. Am Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin leitet er darüber die Forschergruppe „High Performance Portals – Solutions for the Public Sector“, die sich über Verwaltungsportale, Zuständigkeitsfinder, Dokumentensafes, Datennotare, Verwaltungsberater, die EU-Dienstleistungsrichtlinie, das Bürgertelefon D115 und Open Government durch Web 2.0 intensiv Gedanken macht und sehr anwendungsnah forscht und entwickelt.
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