Ein Bieter ist nicht zwingend deshalb ungeeignet, weil über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Ein Auftraggeber muss stets im konkreten Einzelfall prüfen, ob die Insolvenz die Eignung entfallen lässt. Dies hat das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 02.05.2012 (VII-Verg 68/11) entschieden.
Art. 45 Abs. 2 lit. a) Richtlinie 2004/18/EG; § 1 S.1 1 InsO; § 97 Abs. 4 S. 1 GWB; § 6 Abs. 5 lit. a) VOL/A, § 6 Abs. 6 lit. a) EG VOL/A; § 16 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) VOB/A.
Die Eignung von Bietern setzt sich gemäß § 97 Abs. 4 S. 1 GWB aus Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zusammen. Um Auftraggebern die Eignungsprüfung zu erleichtern, schuf der Gesetzgeber Kataloge mit typisierten Fallgruppen, in denen Bieter entweder zwingend oder fakultativ auszuschließen sind.
Die Leistungsfähigkeit eines Bieters in wirtschaftlicher Hinsicht betrifft regelmäßig den Bereich fakultativer Ausschlussgründe. Das bedeutet, dass ein Auftraggeber bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Prognoseentscheidung darüber treffen muss, ob ein Bieter für die Auftragsausführung geeignet ist.
Insolvenz nur potenzieller Eignungsmangel
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kann fehlen, wenn ein Bieter nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt, um eine ordnungsgemäße Auftragsausführung zu gewährleisten. Eine Fallgruppe, in der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zweifelhaft ist, ist die Insolvenz eines Bieters. Hierzu bestimmen §§ 6 Abs. 5 lit. a) VOL/A, 6 Abs. 6 lit. a) EG VOL/A:
„Von der Teilnahme am Wettbewerb können Bewerber ausgeschlossen werden, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares gesetzliches Verfahren eröffnet oder die Eröffnung beantragt oder dieser Antrag mangels Masse abgelehnt worden ist.“
Den Vorschriften, die auf Art. 45 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2004/18/EG zurückreichen und in § 16 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) VOB/A ihre Entsprechung haben, liegt die Annahme zugrunde, dass ein insolventer Bieter kaum die notwendige Planungssicherheit, Liquidität und Finanzkraft haben dürfte, um einen öffentlichen Auftrag auszuführen.
Wie aus dem Wortlaut („kann“) hervorgeht, ist der Ausschluss eines Bieters wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aber kein Automatismus. Vielmehr muss ein öffentlicher Auftraggeber bei Vorliegen der Voraussetzungen – der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, der Stellung eines entsprechenden Antrags oder der Ablehnung eines solchen Antrags mangels Masse – in eine konkrete Einzelfallprüfung eintreten. Erst wenn diese Prüfung ergibt, dass das Unternehmen in seiner konkreten wirtschaftlichen Situation keine ordnungsgemäße Ausführung des zu vergebenden Auftrages erwarten lässt, ist ein Ausschluss aus dem Wettbewerb erlaubt.
Kein Ausschluss ohne Einzelfallprüfung
Der Vergabesenat weist hierzu auf die verschiedenen gleichrangigen Ziele des Insolvenzrechts hin, wie sie in § 1 S. 1 InsO zum Ausdruck kommen:
„Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.“
Danach kann entweder das Schuldnervermögen verwertet werden, um die Gläubiger anteilig zu befriedigen oder das Unternehmen nach Maßgabe eines gerichtlich bestätigten Insolvenzplans fortgeführt werden. In diesem zweiten Fall kann es durchaus Konstellationen geben, in denen trotz Insolvenz die für den konkreten Auftrag benötigte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten oder gar erst wieder hergestellt wird. Bei Vorliegen der Voraussetzungen der§§ 6 Abs. 5 lit. a) VOL/A, 6 Abs. 6 lit. a) EG VOL/A, 16 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) VOB/A ist ein ungeprüfter Ausschluss daher in aller Regel unzulässig.
Damit bestätigt der Vergabesenat seine frühere Rechtsprechung zum ungeprüften Ausschluss von Bietern im Falle einer Insolvenz (vgl. bereits OLG Düsseldorf vom 05.12.2006, VII-Verg 56/06) oder bei einem Verdacht auf wettbewerbswidrige Absprachen (OLG Düsseldorf vom 13.04.2011, VII-Verg 4/11, vgl. hierzu Vergabeblog von Dr. Soudry vom 07.08.2011).
Zudem liegt der Senat auf einer Linie mit der sonstigen nationalen und europäischen Rechtsprechung. Ob bei schlechten Erfahrungen mit einem Bieter aus vergangenen Aufträgen (OLG Frankfurt vom 24.02.2009, 11 Verg 19/08), bei fehlenden Umsatzangaben für vergangene Geschäftsjahre von neu am Markt tätigen Unternehmern (sog. „Newcomer“, OLG Düsseldorf vom 02.01.2006, VII-Verg 93/05), im Falle von mit Entwurfs- und Planungsarbeiten vorbefassten Bietern, sog. „Projektanten“, (EuGH vom 03.03.2005, Rs. C-34/03 – „Fabricom“) oder bei der Abgabe mehrer Angebote konzernverbundener Unternehmen in derselben Ausschreibung, sog. „Parallelangebote“ (EuGH vom 19.05.2009, Rs. C-538/07 – „Assitur“): In sämtlichen Konstellationen lehnten die befassten Gerichte einen Angebotsausschluss aufgrund fehlender Eignung ohne vorherige, auf den Einzelfall bezogene Prüfung ab.
Auftraggeber: Kommen Zweifel an der Eignung eines Bieters auf, müssen Sie in eine einzelfallbezogene Prüfung eintreten. Hierbei wird auch der konkrete Auftrag zu berücksichtigen sein. Handelt es sich etwa um die Beschaffung von Waren, bezüglich derer ein erhöhtes Interesse an Versorgungssicherheit besteht, werden die Anforderungen an einen Ausschluss sinken. Zeichnet sich hingegen ab, dass der Bieter bis zum geplanten Beginn der Ausführung über die erforderliche Leistungsfähigkeit verfügt, dürfte ein Ausschluss nicht angebracht sein. Bejahen Sie zunächst die Eignung und erhalten Sie vor Zuschlagserteilung Kenntnis von neuen Umständen, die die Eignung in Frage stellen, müssen Sie außerdem in eine erneute Eignungsprüfung eintreten (OLG Düsseldorf vom 25.04.2012, VII-Verg 61/11).
In jedem Fall müssen Sie Ihre Entscheidung sorgfältig dokumentieren und erkennen lassen, dass Sie sich mit dem betreffenden Bieter vor dem Hintergrund des konkreten Auftrags auseinandergesetzt und das Für und Wider sorgfältig abgewogen haben.
Bieter: Einen Ausschluss sollten Sie dann nicht hinnehmen, wenn Sie der Auffassung sind, dass es an einer auf Ihren Einzelfall bezogenen Prüfung fehlte und deshalb wichtige Details nicht berücksichtigt wurden. Dies ist Ihnen aber nur dann anzuraten, wenn Sie ihre Eignung positiv nachweisen können. Denn falls ein öffentlicher Auftraggeber hinreichende objektive Anhaltspunkte hat, die gegen die Eignung des Bieters sprechen, obliegt dem jeweiligen Bieter die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er dennoch geeignet ist (OLG Jena vom 18.05.2009, 9 Verg 4/09). Die bloße Behauptung, geeignet zu sein, genügt dann nicht mehr, um Ihre Eignung zu beweisen.
Der Autor Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf. Er berät Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Außerdem betreut er Projekte der öffentlichen Hand. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren
Dr. Daniel Soudry, LL.M.
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
Schreibe einen Kommentar