Substantiierungslast des Bieters nicht zu hoch, aber nur stichwortartige Auflistung genügt in der Regel nicht; der Preis kann unter bestimmten Voraussetzungen als alleiniges Zuschlagskriterium festgelegt werden; Bestimmung des Beschaffungsgegenstands ist zeitlich und sachlich dem Vergaberecht vorgelagert.
Der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium ist jedenfalls dann vom Bieter hinzunehmen, wenn die auszuführenden Leistungen in allen für die Zuschlagsentscheidung in Betracht kommenden Punkten in den Ausschreibungsunterlagen vom Auftraggeber hinreichend genau definiert wurden
Der Anwendungsbereich von § 97 Abs. 1 und 2 GWB ist erst berührt, wenn die Bestimmung des Beschaffungsgegenstands im Vergabeverfahren zu einer willkürlichen Beschränkung des Wettbewerbs bzw. offen oder verdeckt zu einer positiven oder negativen Diskriminierung von Unternehmen führt.
§ 101a GWB, § 107 Abs. 2 GWB, § 21 EG VOL/A
Sachverhalt
Bei dem der Vergabekammer vorliegenden Fall ging es um eine Vergabe zur Entsorgung von schadstoffhaltigen Abfällen. Einziges Zuschlagskriterium sollte der niedrigste Preis sein.
In der Leistungsbeschreibung führte der Antragsgegner aus, welche schadstoffhaltigen Abfälle zu transportieren seien. Im Rahmen der Bieterfragen präzisierte und ergänzte die Vergabestelle die Leistungsbeschreibung durch Information an alle Bieter. Nach der Angebotsauswertung lag die Antragstellerin mit ihrem Preis auf Platz 2 lag.
Die darauf zunächst folgende Rüge und das im Nachgang eingeleitete Nachprüfungsverfahren stützte die Antragstellerin auf eine stichwortartige Liste mit Punkten wie z.B. „zu niedriges Angebot des Wettbewerbers“.
Ihre Rüge „Ausschreibungsunterlage insgesamt fehlerhaft“ begründete sie damit, dass die Leistungsbeschreibung nicht den Leistungen entsprechen würden, die tatsächlich erforderlich würden, was sie aus ihrer 20 Jährigen Erfahrung aus der Entsorgungstätigkeit für die Antragstellerin wüsste. Für ihre Rüge „fehlerhafte Auswertung der Angebote“ berief sie sich darauf, dass der Preis als einziges Zuschlagskriterium vergaberechtswidrig sei.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag wegen nicht ausreichender Substantiierung bzw. Präklusion der Rügen bereits als unzulässig und im Übrigen als unbegründet ab. Die Vergabekammer hat sich trotz der sehr knappen Begründungen der Antragstellerin sehr ausführlich mit den einzelnen Punkten auseinandergesetzt.
Rechtliche Würdigung
Der Beschluss ist im Wesentlichen mit drei Aspekten begründet, die durchgehend überzeugen:
1. Substantiierungslast
Die Vergabekammer Niedersachsen hat es sich hier nicht leicht gemacht. Lehrbuchmäßig hat sie das Dilemma der Bieter bei der Begründung einer Rüge und eines Nachprüfungsantrags dargelegt: Pauschale und unsubstantiiert ins Blaue hinein erhobene Behauptungen reichen nicht aus. Andererseits hat ein Bieter naturgemäß nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens, weswegen ein Antragsteller nur das vortragen kann und muss, was er auf der Grundlage seines – nur beschränkten – Informationsstands redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf.
Der Substantiierungslast nicht genügt ist nach der Vergabekammer jedenfalls dann, „wenn die Rügen nur noch aus einer Aneinanderreihung von Schlagworten bestehen, die nicht mehr Bezug zum konkreten Vergabeverfahren haben, als das Stichwortverzeichnis am Ende eines Vergaberechtskommentars“.
Bemerkenswert ist, dass die Vergabekammer es nicht auf dieser allgemeinen Ebene bewenden lässt, sondern für jeden einzelnen stichwortartigen Vortrag der Antragstellerin prüft, ob die Substantiierungslast hier gerade noch gewahrt ist. Insofern dürfte diese Entscheidung gerade auch aus Bietersicht ein hilfreicher Leitfaden mit zahlreichen Beispielen sein, wie detailliert eine Rüge zu fassen ist.
2. Preis als einziges Zuschlagskriterium
Obwohl die Vergabekammer die Rüge zur Unzulässigkeit des Preises als einziges Zuschlagskriterium bereits auf Zulässigkeitsebene als präkludiert gemäß § 107 Abs. 2 GWB ansah, hat sie ausgeführt, weshalb diese Rüge auch inhaltlich nicht durchgreifen würde:
§ 4 Absatz 6b VgV, wonach Energieeffizienz als Kriterium vorgesehen werden muss, soll dem OLG Celle (Beschluss vom 19.03.2015, 13 Verg 1/15) folgend bei Dienstleistungen nicht gelten.
§ 21 EG Abs. 1 S. 2 VOL/A lautet:
Der Zuschlag ist auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend.
Der Wortlaut ist eindeutig. Zahlreiche Stimmen in der Literatur argumentieren deshalb, dass damit Art. 53 Abs. 1 der RL 2004/18/EG nicht richtlinientreu in das nationale Recht umgesetzt worden sei. Denn dort ist eben gerade ein Wahlrecht zwischen dem Preis als alleiniges Zuschlagskriterium und mehreren Zuschlagskriterien vorgesehen. Dem folgt die Vergabekammer nicht mit dem Argument, dass der Gesetzgeber frei war, dieses Wahlrecht nicht umzusetzen und insofern über die Anforderungen der Richtlinie hinauszugehen. Weil aber dieses Auslegungsergebnis bei wertender Betrachtung wohl auch die Vergabekammer nicht zu überzeugen vermochte, hat sie sich dann doch der einschränkenden Auslegung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 24.09.2014 – Verg 17/14) angeschlossen, wonach der Zuschlag trotz des eindeutigen Wortlauts in § 21 EG Abs. 1 VOL/A jedenfalls dann ausschließlich aufgrund des Preises erfolgen darf, wenn die auszuführenden Leistungen in allen für die Zuschlagsentscheidung in Betracht kommenden Punkten in der Leistungsbeschreibung oder in den übrigen Ausschreibungsunterlagen vom Auftraggeber hinreichend genau definiert worden seien.
3. Freies Bestimmungsrecht des Auftraggebers hinsichtlich Beschaffungsgegenstand
Die Begründetheit des Nachprüfungsantrags verneinte die Vergabekammer u.a. damit, dass es unschädlich sei, wenn der Auftragsgegenstand bestimmte Abfallarten nicht umfasst, die gleichwohl vom Antragsgegner zu entsorgen sind. Nach der Vergabekammer ist dies von dem Recht des Auftraggebers abgedeckt, den Auftragsgegenstand nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich vorgelagert zu bestimmen. Der Anwendungsbereich von § 97 Abs. 1 und 2 GWB soll nur und erst berührt sein, wenn die Bestimmung des Beschaffungsgegenstands im Vergabeverfahren zu einer willkürlichen Beschränkung des Wettbewerbs bzw. offen oder verdeckt zu einer positiven oder negativen Diskriminierung von Unternehmen führt.
Praxistipp
Die geradezu lehrbuchhafte Darstellung der Anforderungen an die Substantiierungslast und die darauf folgende Prüfung der allgemeinen Rügen der Antragstellerin an diesen Anforderungen sind für Bieter wie Vergabestellen lesenswert. Mit der Entscheidung wird außerdem ein weiteres Mal die Freiheit des Auftraggebers bei der Bestimmung des Beschaffungsgegenstands bestätigt.
Dr. Lotte Herwig
Dr. Lotte Herwig ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Jakoby Rechtsanwälte in Berlin. Sie berät seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter im Vergaberech insbesondere bei ITK-Beschaffungen. Neben dem Vergaberecht gehört das Immobilienrecht zu ihren Tätigkeitsschwerpunkten. Sie hält Vorträge und Schulungsveranstaltungen im Vergaberecht.
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