Die in der Vergaberechtsnovelle enthaltenen Modifikationen der Prüfungs- und Rügepflichten wurden in der Öffentlichkeit weit weniger diskutiert, als etwa die Regelungen zu „vergabefremden“ Kriterien oder zur Pflicht einer Losaufteilung des öffentlichen Auftrags. Dabei können die in § 107 Abs. 3 GWB-E vorgesehenen Verschärfungen zu einer erheblichen Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Bieter führen. Und auch für die Vergabestellen wird sich einiges ändern.
Bereits nach den derzeit geltenden Regelungen des GWB muß der Bieter jeden im Ausschreibungsverfahren erkannten Vergaberechtsverstoß „unverzüglich“ gegenüber der Vergabestelle rügen. Anderenfalls ist ihm der Weg zu den Vergabekammern versperrt. Vergabefehler, die bereits aus der EU-Bekanntmachung erkennbar waren und gleichwohl bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht gerügt wurden (bzw. im zweistufigen Nichtoffenen Verfahren bis zum Ablauf der Teilnahmefrist), sind einer Nachprüfung generell nicht mehr zugänglich.
Diese Ausschlußregelungen werden in der Novelle noch einmal erheblich ausgeweitet. Auch Vergabemängel, die erst aus den Verdingungsunterlagen erkennbar sind, müssen nun bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden (§ 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB-E). Positive Kenntnis wird also nur noch für solche Fehler vorausgesetzt, die entweder nicht den Verdingungsunterlagen selbst anhaften oder erst nach Ablauf der Angebotsfrist entstehen. Neu hinzu kommt, daß Rügen in Zukunft auch wieder „verfallen“ können: Läßt der Bieter nach Zurückweisung seiner Rüge durch die Vergabestelle mehr als 14 Tage verstreichen, ist ein Nachprüfungsantrag auf Grundlage dieses gerügten Fehlers nicht mehr zulässig (§ 107 Nr. 4 GWB-E).
Für die Praxis hat das folgende Konsequenzen:
Bieter müssen die Ausschreibungsunterlagen in Zukunft frühzeitig und sehr genau auf mögliche Vergaberechtsfehler prüfen und Unklarheiten sofort gegenüber der Vergabestelle anzeigen. Im Falle mangelhafter Unterlagen müssen sie sich zudem ggf. bereits in einer sehr frühen Ausschreibungsphase zur Beantragung eines Nachprüfungsverfahrens entschließen oder aber auf eine weitere Geltendmachung dieser Mängel gänzlich verzichten. Das Sammeln von Rügen auf Vorrat für den Fall, daß die Vergabestelle sich für ein anderes Angebot entscheiden sollte, ist jedenfalls nicht mehr ohne Weiteres möglich. Die Vergabestellen werden sich auf der anderen Seite sehr sorgfältig überlegen müssen, wie sie in Zukunft auf Bieterfragen und Rügen reagieren. Bei einer allzu schnellen Zurückweisung von Beanstandungen der Bieter, können sie sich sonst weit schneller in einem Nachprüfungsverfahren wiederfinden, als bisher.
Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler Rechtsanwälte & Notare. Sie berät und unterstützt Unternehmen und die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei vergaberechtlichen Fragen in öffentlich geförderten Projekten.
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