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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 22/09/2009 Nr. 3491

BGH-Doublette: Gleich zwei Urteile zu Mehrvergütungsansprüchen im Verzögerungsfall

Entscheidung Das kann leicht verwirren: Der VII. Senat des BGH hat am 10. September 2009 gleich zwei Urteile zum Bestehen von Mehrvergütungsansprüchen bei Verschiebungen des Zeitplans in öffentlichen Ausschreibungsverfahren erlassen – und ist dabei auch noch zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Während der BGH bei einer Verschiebung der vertraglich vorgesehenen Bauzeit einen Mehrvergütungsanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt hält (VII ZR 152/08), lehnt er dies bei einer alleinigen Verzögerung des usprünglich vorgesehenen Zuschlagtermins ab (VII ZR 82/08).

In der Entscheidung VII ZR 152/08 setzte der BGH seinen bereits mit Urteil vom 11. Mai 2009 (VII ZR 11/08) eingeschlagenen Argumentationsweg fort: Dort hatte der BGH entschieden, daß ein Zuschlag auch dann zu den ursprünglich ausgeschriebenen Fristen und Terminen erfolgt, wenn sich der Zuschlagstermin verzögert und die ursprünglichen Termine dadurch nicht eingehalten werden können. Da die vereinbarten Fristen dann aber  nachträglich angepasst werden müssten, steht dem Auftragnehmer grundsätzlich ein Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Nr. 5 VOB/B zu (wir berichteten). Der BGH erweiterte diesen Ansatz nunmehr auf den Fall, daß in den Ausschreibungsunterlagen kein fester Termin für den vertraglichen Ausführungsbeginn genannt wurde; dieser jedoch „zwölf Tage nach Zuschlagserteilung“ erfolgen sollte. Der BGH stellte fest, daß diese Angaben nur dahingehend ausgelegt werden können, daß die Ausführungsfrist zwölf Tage nach dem ursprünglich vorgesehenen Termin zur Zuschlagserteilung liegen soll. Konsequenz: auch hier ist der Auftraggeber gehalten, die vertraglich vereinbarten Fristen nachträglich zu ändern. Dies macht wiederum den Weg für Mehrvergütungsansprüche des Auftragnehmers gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B frei.

Anders sah es der BGH in dem Fall VII ZR 82/08: Auch hier verzögerte sich der Zuschlagstermin, allerdings führte die Verzögerung zu keiner Verschiebung der in der Ausschreibung genannten vertraglichen Ausführungsfristen. Der mit dem Zuschlag bedachte Bieter machte gleichwohl Mehrkosten geltend, da sein Sublieferant infolge der Verzögerung des Zuschlagstermins höhere Preise verlangte als für die ursprüngliche Kalkulation angegeben. Der BGH hielt dies für unbeachtlich. Da der Zuschlagstermin selbst nicht Bestandteil des Vertrages sei, stellt seine Verschiebung keine Änderung der vertraglichen Bedingungen dar. Der Bieter übernehme mit Verlängerung der Bindefristerklärung die Verantwortung dafür, daß er seinen Preis unverändert anbiete. Auch die Voraussetzungen einer Vertragsanpassung aus Gründen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) seien nicht gegeben. Das zunächst preiswertere Angebot des Sublieferanten mag Kalkulationsgrundlage des Klägers gewesen sein, es wurde dadurch aber nicht zur Geschäftsgrundlage des Vertrages zwischen ihm und dem öffentlichen Auftraggeber.

Aus Sicht des Bieters erscheinen diese unterschiedlichen Ergebnisse nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. In beiden Fällen kam es zu einer Verzögerung der Zuschlagserteilung und damit des Vertragsschlusses. Da sich der Auftragnehmer in der Regel mit Zuschlagserhalt auch gegenüber seinen Unterauftragnehmern bindet, kann bereits die verzögerte Zuschlagserteilung unmittelbare Auswirkungen auf die Preiskalkulation haben, auch wenn die Ausführungsfristen selbst unverändert bleiben. Der Hinweis des BGH in der Entscheidung VII ZR 82/08, daß der Bieter die Verantwortung aus seiner Bindefristverlängerung selber trage, überzeugt dabei nicht wirklich; auch bei einer Verzögerung der Ausführungsfristen ist der Bieter zuvor in der Regel eine Bindefristverlängerung eingegangen. Gleichwohl soll in diesem Fall die Verantwortung beim öffentlichen Auftraggeber liegen. Voraussichtlich ist das Ergebnis in erster Linie – wenn nicht allein – damit zu erklären, daß es an einer Anspruchsgrundlage fehlt, die die rechtliche Sonderrolle der Zuschlagserteilung berücksichtigt. Die im Bauvertragsrecht zur Verfügung stehende – und vom BGH im Fall VII ZR 152/08 auch herangezogene  – Anspruchsgrundlage aus § 2 Nr. 5 VOB/B greift nur bei nachträglichen Vertragsanpassungen; die Zuschlagserteilung selbst ist jedoch keine Regelung des Vertrages sondern seine notwendige Voraussetzung. Das Vergaberecht kann wiederum schon deshalb keine geeignete Anspruchsgrundlage stellen, weil seine Anwendbarkeit in der Regel mit Zuschlagserteilung endet.

Fazit: Kommt es also zu Verzögerungen im wettbwerblichen Verfahren öffentlicher Ausschreibungen, muß der Bieter direkt hoffen, daß sich auch die Ausführungsfristen verschieben, da er sonst das Preisrisiko trägt. Öffentliche Auftraggeber könnten sich dagegen dazu veranlasst sehen, zwischen dem Zuschlagstermin und dem geplanten Ausführungstermin in Zukunft reichlich Zeitpuffer einzuplanen.

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Julie Wiehler, LL.M.

Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler Rechtsanwälte & Notare. Sie berät und unterstützt Unternehmen und die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei vergaberechtlichen Fragen in öffentlich geförderten Projekten.

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