Das OLG Brandenburg hat mit Beschluss am 25.05.2010 (Verg W 15/09) entschieden, dass die betriebsbereite Errichtung von Richtfunkstationen im Wert von ca. 2,6 Mio. € netto schwerpunktmäßig als Bau- und nicht als Lieferauftrag anzusehen ist.
Da bei Anwendung der für den Baubereich geltenden VOB/A erst ab einem Schwellenwert von 5,15 Mio. € netto (Schwellenwert vor 01.01.2010) europaweit ausgeschrieben werden muss, war die nationale Ausschreibung des Landes Brandenburg rechtmäßig. Bei Annahme eines Liefer/Dienstleistungsvertrages hätte die Vergabestelle bei Anwendung der VOL/A mit einem Schwellenwert von 206.000,- € netto (Schwellenwert vor 01.01.2010) europaweit ausschreiben müssen – und vor allem: der unterlegene Bieter hätte effektiven Rechtsschutz gehabt.
Wie so oft, es dreht sich alles um den Schwellenwert. Nur oberhalb des Schwellenwertes (§ 100 Abs.1 GWB) kann der unterlegene Bieter im Nachprüfungsverfahren Verfahrensverstöße vor der Vergabekammer und den Oberlandesgerichten geltend machen.
Vorliegend hatte die Vergabestelle, das Land Brandenburg, die Errichtung von 26 Richtfunkstationen im Wert von rund 2,6 Mio. € netto als Bauauftrag national als öffentlichen Auftrag nach VOB/A ausgeschrieben. Ausgeschriebener Leistungsumfang war die Planung, Lieferung und Montage sowie die Prüfung und betriebsfähige Übergabe der Übertragungseinrichtung inklusive VDSL-fähiger Multifunktionsgehäuse, bestehend aus Richtfunkmasten, Mastfundamenten und -zubehör sowie Sende- und Empfangsantennen an den Masten und Fernmeldeeinrichtung in „Outdoor-Units“. Der ausgeschlossene Bieter, der nach dem Submissionstermin noch an erster Stelle lag, macht im Nachprüfungsverfahren geltend, dass die Vergabestelle zu Unrecht bei der Ausschreibung die VOB/A zugrunde gelegt hat: Hauptbestandteil der Leistung sei nicht die Errichtung der Richtfunkmasten einschließlich Mastfundament, sondern die Lieferung der Richtfunktechnik samt Planung und Herstellung der Betriebsbereitschaft durch die Installation von „Outdoor-Units“. Damit liegt der Schwerpunkt der Leistung im Liefer- und Planungsanteil. Die Ausschreibung hätte somit unter Anwendung der VOL/A mit dem deutlich niedrigeren Schwellenwert von 206.000 € netto (Schwellenwert vor 01.01.2010, jetzt 193.000 € netto) europaweit bekanntgemacht werden müssen.
Nach Unterliegen vor der Vergabekammer Brandenburg legte der Bieter sofortige Beschwerde beim OLG Brandenburg ein. Dreh-und Angelpunkt der Entscheidung des OLG war: welche Hauptleistung wird nach der Ausschreibung geschuldet, wenn im Vertrag sowohl bauvertragliche als auch liefervertragliche Elemente und Planungsleistungen enthalten sind?
Liegt der Schwerpunkt der Leistung im bauvertraglichen Bereich, gilt die VOB/A, liegt er im liefervertraglichen Bereich, gilt die VOL/A (§ 99 Abs.8 GWB).
§ 99 Abs. 8 GWB
(8) Für einen Auftrag zur Durchführung mehrerer Tätigkeiten gelten die Bestimmungen für die Tätigkeit, die den Hauptgegenstand darstellt. […]
Letztendlich kam das OLG Brandenburg zu dem Ergebnis, dass es sich vorliegend um einen Bauauftrag im Sinne von § 99 Abs.3 GWB handelt. Denn die Richtfunkstationen seien das Ergebnis von Hoch- und Tiefbauarbeiten, die eine technische Funktion, die Herstellung von Richtfunkverbindungen, erfüllen sollen. Die Vergabestelle hat Bauwerke mit einer bestimmten technischen Funktion ausgeschrieben. Die Ausrüstung mit der entsprechenden Technik gehört – so das OLG – zur Hauptleistung, der Errichtung der Richtfunkstation. Auch aus den amtlichen Erläuterungen zu § 1 VOB/A ergäbe sich, dass elektrotechnische/elektronische Anlagen nur dann nicht unter die VOB/A, sondern unter die VOL/A fallen, wenn sie nicht zur Funktion einer baulichen Anlage erforderlich sind.
Bei der betriebsbereiten Errichtung der Richtfunkstationen handelt es sich somit nach dem OLG um einen Bauauftrag. Da das Nachprüfungsverfahren unterhalb des Schwellenwertes somit nicht eröffnet war, wurde die Beschwerde zurückgewiesen.
Übrigens: Der unterlegene Bieter hätte sich schon aus einem anderen Grund die Kosten des Vergabeverfahrens sparen können. Denn vorliegend hat der Bieter die seines Erachtens falsche Ausschreibung nach VOB/A erst gerügt, nachdem er nach Angebotsabgabe erfahren hatte, dass er nicht den Zuschlag erhält. Die Wahl der falschen Vergabeart ist jedoch nach § 107 Abs.3 Nr.3 GWB bis zum Ablauf der Angebotsfrist zu rügen, soweit dies aus den Vergabeunterlagen erkennbar ist. Da die VK die Erkennbarkeit vorliegend bejaht hat, wäre der unterlegene Bieter spätestens dann hier gescheitert.
Zur Frage der Zulässigkeit im Rahmen von § 107 Abs.3 GWB und damit dem Problem, ob der unterlegene Bieter überhaupt rechtzeitig den Verstoß gerügt hatte, kam das OLG Brandenburg jedoch überhaupt nicht mehr.
Mehr Informationen über die Autorin Monika Prell finden Sie im Autorenverzeichnis.
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
0 Kommentare