In Teil 4 der Beitragsreihe wurde dargestellt, dass der öffentliche Auftraggeber den Bietern alle Zuschlags- und Unterkriterien, deren Verwendung er vorsieht, einschließlich ihrer Gewichtung, bekannt machen muss. Der öffentliche Auftraggeber darf keine Unterkriterien oder Gewichtungsregeln anwenden, die er den am Auftrag interessierten Unternehmen nicht vorher zur Kenntnis gebracht hat (vgl. nur EuGH, Urteil vom 24.01.2008 – Rs. C-331/04; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.07.2009 – Verg 10/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2013 – VII-Verg 8/13; so auch OLG Celle, Beschluss vom 07.11.2013 – 13 Verg 8/13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2014 – 15 Verg 10/13).
Aufgrund der Komplexität von Beschaffungsvorhaben oder haushaltrechtlicher Vorgaben kommt es in der Vergabepraxis jedoch nicht selten vor, dass die bekannt gemachten Wertungskriterien abgeändert werden müssen. Die Frage, inwieweit eine nachträgliche Änderung der Zuschlags- und Unterkriterien und ihrer Gewichtung zulässig ist, soll im Folgenden dargestellt werden.
Grundsatz: Bindung an die veröffentlichten Zuschlagskriterien und deren Gewichtung
Es gilt der Grundsatz: Der öffentliche Auftraggeber ist an die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannten Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung gebunden. Bei der Wertung der Angebote dürfen mithin nur die bekannt gemachten Zuschlagskriterien herangezogen werden. Eine nachträgliche Änderung der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung ist daher grundsätzlich nicht zulässig.
Ausnahme: Nachträgliche Festlegung und Gewichtung von Unterkriterien
Ausnahmsweise wird in der Rechtsprechung jedoch eine nachträgliche Festlegung und Gewichtung von Unterkriterien gestattet. Nachträglich bedeutet dabei, dass die Unterkriterien und/oder ihre Gewichtung nach der Aufforderung zur Angebotsabgabe geändert, ergänzt oder neu eingeführt werden. Die nachträgliche Festlegung von Unterkriterien und ihrer Gewichtung unterliegt nach der europäischen und nationalen Rechtsprechung jedoch drei (alternativen) Beschränkungen: Zum einen darf der öffentliche Auftraggeber nachträglich keine Unterkriterien festlegen, welche die Hauptkriterien abändern. Zum anderen dürfen die nachträglich festgelegten Kriterien keine Gesichtspunkte enthalten, die die Vorbereitung der Angebote hätten beeinflussen können, wenn sie zum Zeitpunkt der Vorbereitung bekannt gewesen wären. Schließlich darf der Auftraggeber keine Unterkriterien festlegen, welche geeignet sind, Bieter zu diskriminieren (vgl. nur EuGH, Urteil vom 24.01.2008 – Rs. C-532-06; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.07.2009 – Verg 10/09; Thüringer OLG, Beschluss vom 26.03.2007 – 9 Verg 2/07).
Pflicht zur Bekanntmachung und Verlängerung der Angebotsabgabefrist
Das OLG Düsseldorf hat zudem entschieden, dass der Auftraggeber nachträglich festgelegte Unterkriterien und deren Gewichtung bekannt geben muss (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.11.2008 – Verg 37/08; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.05.2013 – 11 Verg 6/13). Darüber hinaus hat der Auftraggeber den Bietern Gelegenheit zur Änderung oder Anpassung der Angebote zu geben. Notfalls hat dies dadurch zu geschehen, indem die Frist zur Angebotsabgabe verlängert wird (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.01.2008 – Verg 31/07).
Keine nachträgliche Festlegung nach Submission
Ferner gilt, dass die nachträgliche Festlegung und Gewichtung der Unterkriterien nicht erst nach der Submission erfolgen darf. Anderenfalls kann die abstrakte Gefahr nicht ausgeschlossen werden, dass der Auftraggeber die nachträglich festgelegten Unterkriterien und ihre Gewichtung in Kenntnis der Angebotsinhalte zum Vorteil oder Nachteil eines einzelnen Bieters ausgestaltet hat (Thüringer OLG, Beschluss vom 26.03.2007 – 9 Verg 2/07; VK Sachsen, Beschluss vom 05.05.2009 – 1/SVK/009-09).
Fazit für die Vergabepraxis
Eine nachträgliche Änderung der bekanntgemachten Wertungskriterien und ihrer Gewichtung ist nur in engen Grenzen gestattet. Liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Festlegung und Gewichtung von Unterkriterien ausnahmsweise vor, müssen die Bieter zudem über die Änderungen/Ergänzungen informiert werden. Ferner wird in der Regel eine Verlängerung der Angebotsabgabefrist geboten sein. Die damit verbundenen Verzögerungen des Vergabeverfahrens sind in jedem Fall geringer als eine Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor der Aufforderung zur Angebotsabgabe.
Anmerkung der Redaktion
Bei diesem Beitrag handelt es sich um die aktualisierte Fassung, Stand: 26. März 2015.
Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber.
Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber.
Interessanter Blog!
Der praktische anwendungsbereich ist allerdings durch das verbot einer Anpassung vor anbotsabgabe sehr beschränkt. Was weiss der AG zu diesem Zeipunt, was er nicht schon vorher wusste und/oder bekannt machen konnte? Wäre in einem Verhandlungsverfahren vor last & best sinnvoller. In Ö ist das gds. zulässig. Hoffe es sind auch grenzüberschreitende beiträge von Interesse…