Gesetzliche Krankenkassen beschaffen Leistungen zunehmend im Rahmen von Vergabeverfahren. Dies verspricht erhebliche Einsparungen, denn in der Regel erzeugt ein solches Vorgehen hohen Wettbewerbsdruck. Dieser wird noch erhöht, wenn mehrere Krankenkassen bei der Vergabe kooperieren und hierdurch ihre Nachfragemacht bündeln. Ein Beispiel hierfür ist die Beschaffung von generischen Arzneimitteln, die von den Allgemeinen Ortskrankenkassen in gemeinsamen Verfahren durchgeführt wird. Das Bundeskartellamt schätzt den Anteil der AOKs auf dem relevanten Markt auf 40 %.
Derzeitige Rechtslage und Änderungen durch das AMNOG
Einkaufsgemeinschaften stellen den Durchschnitts-Auftraggeber vor erhebliche kartellrechtliche Probleme, denn eine Bündelung der Nachfragemacht kann gegen das Kartellverbot des § 1 GWB verstoßen. Anders bei gesetzlichen Krankenkassen: Auf diese ist das Kartellverbot mangels Unternehmenseigenschaft derzeit nicht anwendbar. § 69 Abs. 2 S. 1 SGB V ordnet zwar die entsprechende Geltung der Vorschriften über die Marktbeherrschung gemäß §§ 19 bis 21 GWB an, nicht aber die Geltung des § 1 GWB. Mit Inkrafttreten des AMNOG am 01.01.2011 soll sich dies ändern. Die neue Fassung von § 69 Abs. 2 S. 1 lautet dann:
Die §§ 1 bis 3, 19 bis 21, 32 bis 34a und 48 bis 95 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten […] entsprechend.
Damit unterfällt das Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen künftig einschränkungslos den Vorschriften über das Kartellverbot.
Eingreifen erst bei spürbaren Auswirkungen
Für viele gesetzliche Krankenkassen stellt sich damit die Frage, ob an der derzeitigen Beschaffungspraxis Änderungen nötig werden. Zum Teil werden durch die Neuregelung steigende Preise und umfangreiche juristische Auseinandersetzungen um bereits bestehende Verträge erwartet. Der AOK-Rabattchef Dr. Christopher Hermann befürchtet in einem Video-Interview, dass Rabattverträge „im Dickicht von Prozessen versacken“.
Allerdings hat das Bundeskartellamt bereits deutlich gemacht, dass die Neuregelung kein generelles Kooperationsverbot bedeutet (Stellungnahme des Bundeskartellamts zum Gesetzentwurf, S. 4). Grundsätzlich könne von Einkaufsgemeinschaften sogar ein wettbewerbsfördernder Effekt ausgehen. Erst bei spürbaren Auswirkungen auf die Marktstrukturen könne eine Bildung schädlicher Marktmacht nicht mehr ausgeschlossen werden.
Die Bestimmung der Spürbarkeit ist stets anhand der konkreten Umstände vorzunehmen und kann im Einzelfall zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen. Einen ersten Anhaltspunkt bietet jedoch die so genannte Bagatellbekanntmachung der Europäischen Kommission, welche eine Zusammenarbeit bis zu einem Marktanteil von 15 % erlaubt, solange die Kooperationspartner keine Wettbewerber sind (hierauf bezieht sich auch das Bundeskartellamt auf S. 6 einer Stellungnahme aus dem Jahr 2006 zum GKV-WSG).
In der Regel keine Änderung der Beschaffungspraxis erforderlich
Für viele Bereiche besteht damit kein Änderungsbedarf an der bestehenden Beschaffungspraxis. Insbesondere Einkaufsgemeinschaften kleinerer Krankenkassen werden für die meisten Beschaffungsgegenstände die Grenze der Spürbarkeit nicht überschreiten. Sollte dies doch der Fall sein, zeigt das Bundeskartellamt in seiner Stellungnahme bereits einen Ausweg auf: Eine Losaufteilung, zum Beispiel in Gebietslose, kann die Nachfragemacht effizient beschränken und den Konflikt mit dem Kartellrecht beseitigen. Hierzu sind die Auftraggeber häufig schon gemäß § 97 Abs. 3 GWB verpflichtet. Die AOKs haben daher bereits in diversen Verfahren in der Vergangenheit Gebietslose gebildet, in denen es um den Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen ging.
Die praktischen Auswirkungen der Neuregelung dürften damit sowohl im Hinblick auf bestehende als auch auf neu zu vergebende Verträge gering bleiben.
Der Autor Dr. Karsten Lisch ist Rechtsanwalt der Sozietät Osborne Clarke, Köln. Er betreut Mandanten aus den Bereichen Informationstechnologie und Gesundheitswesen in Vergabeverfahren. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Übrigens findet sich aktuell dazu auch auf ibr-online ein „Kurzaufsatz“, hier der Link: http://www.ibr-online.de/IBRNavigator/dokumentanzeige.php?zg=0&HTTP_DocType=Dokument&Zeitschrift=IBR&Jahrgang=2011&Seite=2110
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