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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 19/12/2010 Nr. 8240

Dienstleistungskonzession und kein Ende, Teil 2: Abgrenzung zum öffentlichen Auftrag

Entscheidung Im ersten Teil der Serie hat unser Autor die Dienstleistungskonzession als unionsrechtlichen Begriff und als Modell der Privatisierung identifiziert und die Voraussetzungen für deren Vorliegen definiert. Die Frage, ob eine Dienstleistungskonzession oder ein öffentlicher Auftrag vorliegt ist sowohl für Auftraggeber als auf Bieter erheblich. Denn bei der Dienstleistungskonzession finden die Vergaberichtlinien einschließlich der effektive Rechtsschutz keine Anwendung (s. hierzu auch den Beitrag des Autors hier). Wichtigste Voraussetzung und Abgrenzungsmerkmal ist die Frage, ob der Konzessionär („Auftragnehmer“) das wirtschaftliche Risiko trägt (dann Dienstleistungskonzession). (Anmk. der Red.)

1. Hilfestellungen vom Gesetzgeber? Weit gefehlt!

Es gibt keine Leitlinien oder ähnliches, an denen sich die Vergabestelle orientieren könnte, ob das wirtschaftliche Risiko dergestalt verlagert wird, dass von einer Dienstleistungskonzession ausgegangen werden darf. Auch die Mitteilung der Kommission vom 1.8.2006 zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen (2006/C 179/02) enthält keine näheren Hinweise zu diesem Gesichtspunkt. Dafür gibt es massenhaft Rechtsprechung, die in den nachfolgenden Erörterungen mitschwingt.

2. Abgrenzungsmerkmal zum öffentlichen Auftrag: Das wirtschaftliche Risiko

Das Zünglein an der Waage ist die Frage, ob der Auftragnehmer das wirtschaftliche Risiko trägt. Trägt er es, liegt eine Dienstleistungskonzession vor und er ist nicht länger Auftragnehmer, sondern „Konzessionär“. Allein der Umstand, dass im Vertrag geregelt ist, dass das „wirtschaftliche Risiko beim Auftragnehmer liegt“ ist natürlich nicht ausschlaggebend, wenn dies tatsächlich nicht der Fall ist. Grundsätzlich gilt, dass das wirtschaftliche Risiko je nach Einzelfall zu bemessen ist und dabei alle die Leistung des Konzessionärs betreffenden risikoerhöhenden und risikoverringernden Faktoren zu berücksichtigen sind. Von Bedeutung sind dabei neben der Ausgestaltung des Dienstleistungsvertrages auch das allgemeine Betriebs- und Marktrisiko. Das klingt alles kompliziert – ist es auch. Einige dieser Faktoren seien nachfolgend umrissen.

3. Faktoren, die für und wider das wirtschaftliche Risiko sprechen

Eine Beschränkung der Privatautonomie des Auftragnehmers etwa durch Weisungs- , Kontroll- und Auskunftsrechten des Auftraggebers beschränkt die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Auftragnehmers und erhöht sein wirtschaftliches Risiko. Andererseits: Wenn er sich in einem Korsett befindet, das ihm kaum noch eigenen Handlungsspielraum überläßt, widerspricht dies dem Grundgedanken der Dienstleistungskonzession als einem Instrument der Privatisierung; zu viel Beschränkung widerspricht also wiederum der Dienstleistungskonzession.

Eine Festlegung der Höhe des Nutzungsentgelts durch den Auftraggeber kann sowohl für als auch gegen das wirtschaftliche Risiko des Auftragnehmers sprechen. Eine solche Festlegung bedeutet, dass der Auftragnehmer von den Nutzern kein höheres Entgelt verlangen darf, das Kostendeckungsrisiko könnte bei ihm verbleiben und damit die Gewinnchance verblassen. Andererseits: Verfügt der Auftragnehmer durch die Konzession über ein Monopol und sind die Nutzer auf seine Leistung angewiesen (etwa Anschluss- und Benutzungszwang), spricht dies wiederum gegen sein wirtschaftliches Risiko. Aber: Der Umstand, dass ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht, spricht nicht per se gegen eine Dienstleistungskonzession. Denn selbst bei einem Anschluss- und Benutzungszwang kann das wirtschaftliche Risiko beim Auftragnehmer verbleiben, wenn übrige Faktoren dies bewirken, was wiederum im Einzelfall festzustellen ist.

Gegen das wirtschaftliche Risiko sprechen regelmäßig Faktoren wie Ausgleichszahlungen oder Ausfallsicherheiten des Auftraggebers oder sonstige Unterstützungsleistungen. Auch Preisanpassungsklauseln sprechen gegen das wirtschaftliche Risiko des Auftragnehmers, da durch diese vor allem Marktrisiken aufgefangen werden können. Allein der Umstand, dass der Konzessionär (Auftragnehmer) gegenüber den Nutzern ein Entgelt erhebt, führt nicht automatisch zur Annahme, dass er auch das wirtschaftliche Risiko trägt. Anderer, fehlerhafter, Auffassung scheint dagegen der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Ján Mazák in seinen Schlussanträgen vom 9.9.2010 zum Rettungsdienstbereich zu sein.

4. Umfang der Risikotragung

Stellt man am Ende einer schwierigen Prüfung fest, dass der Auftragnehmer wirtschaftliche Risiken trägt, stellt sich die Frage, in welchem Umfang er dies tun muss, damit eine Dienstleistungskonzession zu bejahen ist.

Zu dem Umfang hat sich der EuGH in Sachen Eurawasser geäußert (C-206/08). Danach könne eine Dienstleistungskonzession auch vorliegen, wenn das vom öffentlichen Auftraggeber eingegangene Betriebsrisiko aufgrund der öffentlich‑rechtlichen Ausgestaltung der Dienstleistung von vornherein zwar erheblich eingeschränkt ist, der Auftragnehmer aber dieses eingeschränkte Risiko in vollem Umfang oder zumindest zu einem erheblichen Teil übernimmt. Viel ist mit diesem Hinweis nicht geholfen.

5. Fazit und Praxishinweis

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Abgrenzung zum öffentlichen Auftrag zuweilen sehr schwierig sein kann, was die ohnehin bestehende Rechtsunsicherheit im Bereich der Dienstleistungskonzession weiter schürt. Andererseits bestehen bei der Vergabe der Dienstleistungskonzession dadurch noch Spielräume, die sich die öffentlichen Auftraggeber ungern (von der Kommission) nehmen lassen wollen. Um diesen Spielraum zu nutzen, kommt es in der Praxis derzeit vor allem auf die Vertragsgestaltung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber an.

Im Teil 3 (vorauss. im Februar 2011) werde ich näher auf das Ausschreibungsverfahren bei Vergabe einer Dienstleistungskonzession eingehen.

Der Autor Dr. Roderic Ortner ist Rechtsanwalt der Sozietät BHO Legal, Köln, München. Er ist spezialisiert auf nationales und europäisches Kartell- und Vergaberecht, hier insbesondere auf Vergabeverfahren und Vertragsgestaltung für Forschungsprojekte der Sicherheits-, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie. Mehr Informationen zum Autor finden Sie finden Sie im Autorenverzeichnis.

Dr. Roderic Ortner

Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.

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