Mit der VOL/A 2009 wurde bei der Öffnung der Angebote in § 14 Abs. 2 VOL/A und § 17 Abs. 2 VOL/A EG das „Vieraugenprinzip“ eingeführt. § 14 Abs. 2 VOL/A 2009 bzw. § 17 Abs. 2 VOL/A EG 2009 bestimmen: “Die Öffnung der Angebote wird von mindestens zwei Vertretern des Auftraggebers gemeinsam durchgeführt und dokumentiert.” Bisher war in § 22 Nr.2 Abs.2 VOL/A a.F. (2006) nur geregelt, dass zur Öffnung der Angebote neben dem Verhandlungsleiter ein weiterer Vertreter des Auftraggebers anwesend sein muss. Die gemeinsame Durchführung und Dokumentation war nicht gefordert.
Die VK Sachsen (Beschluss v. 17.12.2010 – 1/SVK/045-10) hat aktuell entschieden, was die Vergabestelle bei Öffnung der Angebote im Rahmen der VOL/A 2009 konkret beachten muss. Dabei stellt die Vergabekammer klar, dass auch bei § 17 Abs. 2 VOL/A EG hohe Maßstäbe an das Dokumentationserfordernis der Vergabestellen gestellt werden:
„Insoweit ist … die Forderung `Die Öffnung der Angebote wird von mindestens zwei Vertretern des Auftraggebers gemeinsam durchgeführt und dokumentiert.´ nur so zu verstehen, dass im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Öffnung der Angebote ein unveränderbares Dokument erstellt wird, in welchem zumindest a) Name und Anschrift der Bieter b) die Endbeträge ihrer Angebote und andere den Preis betreffende Angaben und c) ob und von wem Nebenangebote eingereicht worden sind, festgehalten werden.“ (Auszug aus dem Beschluss v. 17.12.2010)
Vorliegend wurde die Öffnung der Angebote zwar von zwei Vertretern der Vergabestelle durchgeführt, jedoch in der Form, dass ein Vertreter die Angebote geöffnet hat, während der andere Vertreter die diktierten Ergebnisse notierte bzw. in einen Computer eingab. Der Ausdruck der Ergebnisse ist erst einen Tag später erfolgt, die eingegebenen Daten wurden nicht nochmals überprüft. Diesem Vorgehen hat die Vergabekammer eine klare Absage erteilt.
Die Forderung des § 17 Abs. 2 VOL/A EG beinhalte – so die Vergabekammer -, dass zum einen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Öffnung der Angebote ein unveränderbares Dokument erstellt wird, welches, sofern es computertechnisch erstellt wird, ausgedruckt und zu den Akten genommen wird. Zum anderen werde die Dokumentationspflicht durch zwei Personen nur dadurch erfüllt, indem das bei der Öffnung erstellte Dokument von beiden Vertretern unterschreiben wird. Dadurch wird einerseits ihre Anwesenheit bestätigt, andererseits dem „Vieraugenprinzip“ Genüge getan. Denn nur mit diesem Vorgehen, so die Vergabekammer, kann bei Leistung der Unterschrift nochmals geprüft werden, ob die in dem Dokument aufgenommenen Informationen auch dem entsprechen, was man bei der gemeinsamen Öffnung festgestellt hat.
Von der Öffnung der Angebote gab es unstrittig kein Dokument, das in zeitlich engem Zusammenhang erstellt wurde. Das Papier, das hier erstellt wurde, ist eine fortgeschriebene Tabelle, die nach Angaben der Auftraggeberin nach Bearbeitung der weiteren Wertungsstufen erst einen Tag nach Angebotsöffnung ausgedruckt wurde.
Die Vergabekammer hat entschieden, dass die Antragsstellerin mit dieser Vorgehensweise in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist und die Vergabestelle ihre Dokumentationspflicht im Sinne von § 17 Abs. 2 VOL/A EG nicht erfüllt hat.
Hierzu die Vergabekammer Sachsen:
„Gerade vor dem Hintergrund, dass die neue VOL/A keine Kennzeichnung der Angebote in ihren wesentlichen Bestandteilen mehr vorschreibt ist die Erstellung und Unterzeichnung eines solchen Dokumentes aber von elementarer Wichtigkeit. Wenn, wie vorliegend die Angebote nicht gekennzeichnet sind und vom Tag der Öffnung kein Dokument existiert, kann nicht mehr sichergestellt werden, dass denktheoretisch einzelne Angebotsbestandteile ausgetauscht und in der Datei umgeschrieben werden. Erst wenn ein von zwei Personen unterschriebenes Dokument existiert, ist ein mögliches Fehlverhalten einzelner Personen nahezu ausgeschlossen, da es dann eines kollusiven Zusammenwirkens zweier Personen bedürfte, um das protokollierte Ergebnis einer Angebotseröffnung zu verändern.“ (Auszug aus dem Beschluss v. 17.12.2010)
Die Vergabestelle wurde verpflichtet, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.
Fazit
Da die Bieter nach wie vor bei der VOL/A – im Gegensatz zum Submissionstermin bei der VOB/A – bei der Öffnung der Angebote nicht teilnahmeberechtigt sind, wird die Neuregelung des Vieraugenprinzips als unerlässlich für ein faires und transparentes Verfahren angesehen. An die Dokumentation werden im Rahmen der neuen VOL/A – weiterhin – hohe Anforderungen gestellt. Der öffentliche Beschaffer muss daher nicht nur die Vorgaben in § 14 VOL/A bzw. 17 VOL/A EG für die Öffnung der Angebote beachten, sondern schon von Beginn der Planung an, auch im nationalen Bereich, das Vergabeverfahren ausreichend dokumentieren (§ 20 VOL/A und § 24 Abs. 1 VOL/A EG).
Die Autorin Monika Prell ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH im Bereich Vergaberecht für „Bitkom Consult – Öffentliche Aufträge“ zuständig. Sie ist Rechtsanwältin und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Monika Prell
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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