Die öffentliche Beschaffung durch die Bundesregierung ist Thema einer Großen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Darin verweist die Fraktion darauf, dass die Kaufentscheidungen von Bund, Ländern und Kommunen angesichts des Volumens dieser Nachfragemacht großen Einfluss auf das Angebot von Produkten und Dienstleistungen hätten. Wissen möchten die Abgeordneten u.a., welche Maßnahmen die Bundesregierung unternimmt, „um im Rahmen der bestehenden Gesetze den Ausbau und die Weiterentwicklung einer an ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien orientierten Beschaffung in den Bundesministerien, dem Kaufhaus des Bundes, dem Kanzleramt und in nachgeordneten Behörden flächendeckend einzuführen und umzusetzen“.
Marktmacht als politische Gestaltungsmöglichkeit
Die Fraktion verweist darauf, dass Bundesbehörden und die Institutionen der Länder und Kommunen jedes Jahr Produkte und Dienstleistungen im Wert von 200 bis 360 Milliarden Euro einkaufen. Die Berücksichtigung ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Kriterien beim Einkauf stelle „eine relevante politische Gestaltungsmöglichkeit dar, die sowohl für die nationalen ökologischen und sozialen Bedingungen als auch für die internationale Zusammenarbeit gestalterische Kraft entwickeln kann“.
§ 97 Abs. 4 GWB alleine nutzlos
Nach Auffassung der Fraktion schaffe das novellierte GWB mit § 97 Abs. 4, S. 2 GWB “nur die Möglichkeit für eine faire Beschaffung, sichert jedoch nicht deren erfolgreiche Umsetzung”. Ohne eine bewusste Ausrichtung der Beschaffungsvorgänge, bindende Verwaltungsvorschriften und geeignete Fortbildungsmaßnahmen bleibe die Umsetzung auf der Strecke.
Kritik
Kritik äußert die Fraktion insoweit, als dass die Bundesregierung “in der für alle Bundesministerien geltenden Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung vom Januar 2008 ausschließlich ökologische Kriterien [benennt]”. Menschenrechte und Sozialstandards spielten keine Rolle. Die Vorschrift laufe 2012 aus, und bislang gäbe es “keinerlei Hinweise für eine Aufnahme von sozialen oder entwicklungspolitischen Zielsetzungen in eine mögliche Neuauflage dieser Verwaltungsvorschrift”, so die Fraktion. Immerhin: Im Frühjahr 2010 habe die Regierung auf Nachfrage zwei abgeschlossene Beschaffungsvorgänge und einen laufenden Vorgang vorweisen können, in denen sowohl ökologische als auch soziale Kriterien berücksichtigt worden seien.
Kritik äußert die Fraktion auch am “Beschluss der Staatssekretäre (Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung) vom 6.12.2010. Zwar sei die Ausrichtung der Beschaffung an ökologischen und sozialen Aspekten in Aussicht gestellt worden. Notwendige weitere Schritte jedoch seien nicht festgehalten oder konkretisiert worden. Eine Betrachtung der Fortschritte solle danach erst in vier Jahren erfolgen, ohne dass bis dahin zu erreichende Zielmarken formuliert worden seien.
Umfangreicher Fragekatalog
In insgesamt 57 (!) Einzelfragen fordert die Fraktion von der Bundesregierung Farbe zu bekennen, was die bisherige Anwendung und künftige Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung anhand sozialer und ökologischer Standards betrifft. So z.B. hinsichtlich der Vorbildfunktion, die der Beschaffung bei Bundesministerien gegenüber kommunalen und Länderverwaltungen zukomme. Oder etwa, in welcher Form und in welchem Umfang diese von der Regierung diesbzgl. unterstützt werden. Interessant auch die Frage, wie oft die Regierung eidesstattliche oder vergleichbar verbindliche Erklärungen nachverfolgt habe, welche im Rahmen von Vergabeverfahren für den Nachweis sozialer oder ökologischer Kriterien durch die Bieter abgegeben wurden. Wissen will man auch, inwieweit KMU anders als die Großindustrie bislang auf die Forderung nach Einhaltung solcher Kriterien reagierten. Eine weitere Frage zielt darauf ab, welche Hindernisse die Bundesregierung „aktuell bezüglich einer flächendeckenden Einführung einer Beschaffung nach ökologischen und sozialen Kriterien sowie entwicklungspolitischen Zielsetzungen in allen Bundesunternehmen und Unternehmen mit Beteiligung des Bundes“ sieht. Und die Gretchenfrage schlechthin:
In welchem Umfang und in welchen Strukturen hat die Bundesregierung darüber hinaus im Zusammenhang mit dem neuen Vergabegesetz von 2009 zusätzliche Ressourcen für Bundesministerien und nachgeordnete Behörden bereitgestellt, um auf die neue Situation bei ökologischen und sozialen Kriterien zu reagieren?
Den vollständigen Fragekatalog finden Sie in der BT-Drs. 17/7426.
Große Anfrage
Im Gegensatz zu Kleinen Anfragen sind Große Anfragen im Bundestag meist länger, werden im Bundestag debattiert und erfordern eine ausführlichere schriftliche Antwort, auf die wir gespannt sein dürfen.
Angesichts dessen kann man allen Beteiligten, Fragstellern wie Befragten, die Teilnahme an unserer Veranstaltung “Der schöne Schein der Nachhaltigkeit”, der bislang wohl umfassensten Darstellung und Aufarbeitung dieses Themenkomplexes, am 15.11. im Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern in Bonn nur wärmstens ans Herz legen.
Marco Junk
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Schreibe einen Kommentar