Ein Gastbeitrag von Christian Frhr. v. Ulmenstein
Zur Frage, ob von dem Nachforderungsrecht des §§ 19 Abs. 2 Satz 1 VOL/A-EG auch die Aufforderung zur materiellen Vervollständigung von Eignungsnachweisen gehört.
1. Sachverhalt
In einem VOL/A-EG Verfahren über die Ausschreibung von Postdienstleistungen waren die Bieter gefordert, drei Referenzen vorzulegen, die hinsichtlich der ausgeschriebenen Postsendungsmenge vergleichbare Leistungen belegen sollten. Ein Bieter hatte nach Ablauf der Angebotsfrist eine Referenz vorgelegt, die weit weniger als 10 % des geforderten Sendungsvolumens auswies. Die Vergabestelle erachtet die Referenz für nicht als ausreichend und hat bei diesem Bieter dann – nach einer entsprechenden Rüge – eine „bessere“ Referenz unter Bezugnahme auf § 19 Abs. 2 Satz 1 VOL/A-EG nachgefordert.
2. Entscheidung
Nach Auffassung der Vergabekammer war die Nachforderung einer „besseren“ Referenz vergaberechtswidrig. Als Rechtsgrundlage für die Heranziehung der „nachgeforderten“ Referenz komme § 19 Abs. 2 Satz 1 VOL/A-EG nicht in Betracht, da der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet sei. Denn § 19 Abs. 2 Satz 1 VOL/A-EG (gegebenenfalls in Verbindung mit § 7 Abs. 12 VOL/A-EG) sei nur dann anwendbar, wenn geforderte Erklärungen oder Nachweise bis zum Ablauf der Angebotsfrist „nicht vorgelegt“ wurden, also physisch nicht vorhanden oder unvollständig waren oder sonst nicht den formalen Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers entsprachen. Bei der Nachforderung einer „materiell besseren Referenz“ sei dies jedoch nicht der Fall. Eine andere Vorgehensweise käme einer inhaltlichen Nachbesserung eines bereits eingereichten Angebots gleich. § 7 Abs. 13 VOL/A-EG spreche nur von einer „Vervollständigung“ oder „Erläuterung“ der bereits vorgelegten Eignungsnachweise.
3. Stellungnahme
Der Auffassung der Vergabekammer ist zuzustimmen. Dem Wortlaut der Regelungen entsprechend bezieht sich das Nachforderungsrecht der Vergabekammer ausschließlich auf Unterlagen, die „nicht vorgelegt wurden“. Auch die nach der Neufassung der VOL/A geschaffene Nachforderungsmöglichkeit darf nicht dazu führen, dass Bieter nach Ablauf der Angebotsfrist und nach einem Hinweis der Vergabestelle eine Nachbesserungsmöglichkeit in materieller Hinsicht im Hinblick auf ihr Angebot erhalten (vgl. § 18 Satz 2 VOL/A-EG). Anderenfalls könnten Bieter auch nach Ablauf der Angebotsfrist bei der Vergabestelle beanspruchen, dass diese die Bieter auffordert, die schlecht bewerteten Unterlagen durch bessere zu ersetzen. Dies widerspräche dem Grundgedanken der §§ 18 Satz 1, 7 Abs. 13 VOL/A-EG.
4. Praxishinweis
Vergabestellen sind gut beraten, wenn sie die Nachforderungsmöglichkeit des §§ 19 Abs. 2 Satz 1 VOL/A-EG nicht überdehnen. Die am Wortlaut orientierte Auslegung der Vorschrift zeigt, dass sich die Nachforderungsmöglichkeit ausschließlich das „bloße Vergessen“ einer Unterlage betrifft. Bieter werden keine „Nachbesserungsrechte“ für sich in Anspruch nehmen können.
Den Beschluss der 1. VK Bund vom 14.12.2011, Az.: VK 1 – 153/11, finden Sie im Volltext zum Download im Vergabeblog hier.
Der Autor Christian Frhr. v. Ulmenstein ist Namensgeber der Kanzlei ULMENSTEIN Rechtsanwälte, Hannover, die sich auf das Vergaberecht ausgerichtet hat. Der Autor berät und vertritt öffentliche Auftraggeber aber auch Bieter in Vergabeverfahren. Mit dem besonderen Bereich der Vergabe von Postdienstleistungen ist die Kanzlei bereits seit 2002 befasst.
Schreibe einen Kommentar