§ 107 Abs. 3 GWB; § 19 EG VOL/A
Das Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien ist zwar spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.04.2008 (X ZR 129/06) sowie den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 24.01.2008 (Rs. C 532/06) und 21.11.2009 (Rs. C 199/07) gefestigte Rechtsprechung. Die vergaberechtskonforme Abgrenzung der Eignungs- von den Zuschlagskriterien ist in der Vergabepraxis aber nicht immer einfach. Es wundert daher nicht, wenn das Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien erneut Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens war; zumal zwischen den Beteiligten auch die Frage der Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB streitig war.
Sachverhalt
Ein Auftraggeber schrieb Postdienstleistungen europaweit im offenen Verfahren aus. In den Vergabeunterlagen waren als Zuschlagskriterien der Preis mit einer Gewichtung von 60 % und die Qualität mit einer Gewichtung von 40 % angegeben. Ferner gab die Vergabestelle die „Beschreibung des angewandten Personalkonzepts“ als eines von sechs Unterkriterien bekannt. Nach Erhalt des § 101a GWB-Informationsschreibens rügte der Zweitplazierte mit anwaltlichen Schreiben unter anderem einen Verstoß gegen das Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien. Die „Beschreibung des angewandten Personalkonzepts“ diene dem Nachweis der Eignung. Es durfte mithin nicht als Zuschlagskriterium verwandt werden.
Die Vergabekammer Baden-Württemberg gab dem Nachprüfungsantrag des Bieters statt. Dagegen legte der Auftraggeber sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung machte er geltend, dass die anwaltliche Rüge verspätet sei. Zudem läge kein Verstoß gegen das Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien vor.
Erkennbarkeit von Vergaberechtsverstößen
Das OLG Karlsruhe weist die sofortige Beschwerde zurück. Anders als vom Auftraggeber behauptet, sei der Vergaberechtsverstoß für den Bieter nicht erkennbar gewesen.
Zur Begründung führt der Vergabesenat aus, dass sich weder aus § 7 EG VOL/A noch aus § 19 EG Abs. 5 u. 9 VOL/A ergebe, dass die Eignungskriterien nicht auch auf der Stufe der Wirtschaftlichkeitsprüfung gewertet werden dürften. Ferner könne von den Bietern eine Kenntnis von der Rechtsprechung zum Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien nicht erwartet werden. Zwar handele es sich insoweit um gefestigte Rechtsprechung. Die Entscheidungen des BGH und EuGH seien aber noch zu neu, als dass sie als allgemeines Wissen vorausgesetzt werden könnten. Ebenso wenig reiche aus, dass sich der Bieter in der Vergangenheit an einer Vielzahl von Vergabeverfahren beteiligt habe.
Es sei daher nicht entscheidungserheblich, ob im Zusammenhang mit § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Unternehmens (objektiver Maßstab) oder der Kenntnistand des konkreten Unternehmens (subjektiver Maßstab) ausschlaggebend sei. Weder unter Anwendung des objektiven noch des subjektiven Maßstabes könne vorliegend von einer Erkennbarkeit ausgegangen werden.
Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien
Unter Verweis auf die einschlägige europäische und nationale Rechtsprechung führt das OLG Karlsruhe im Weiteren aus, dass die Eignung und Wirtschaftlichkeit nach § 19 EG VOL/A unabhängig voneinander zu prüfen seien. Die Eignungsprüfung sei eine unternehmensbezogene Untersuchung, mit der prognostiziert werden soll, ob ein Unternehmen nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung zur Ausführung des Auftrags in der Lage sein wird. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung beziehe sich dagegen nicht auf die konkurrierenden Unternehmen sondern auf ihre Angebote. Bewertet würden mit Gesichtspunkten wie dem Preis, der Ausführungsfrist, Betriebs- und Folgekosten, der Gestaltung, Rentabilität oder dem technischen Wert Eigenschaften der angebotenen Leistung, nicht aber des Anbieters. Daher seien als Zuschlagskriterien alle diejenigen Kriterien ausgeschlossen, die nicht der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen, sondern im Wesentlichen mit der Beurteilung der fachlichen Eignung der Bieter für die Ausführung des betreffenden Auftrags zusammen hängen würden.
Vor diesem Hintergrund läge hinsichtlich des Wertungskriteriums „Beschreibung des angewendeten Personalkonzepts“ ein Verstoß gegen das Gebot der Trennung von Zuschlags- und Eignungskriterien vor. Es handele sich insoweit um ein Kriterium, das sich in erster Linie auf die Erfahrung und Qualifikation der Mittel (hier Personal) beziehen würde, die geeignet sind, eine ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags zu gewährleisten. Dieses dürfe nicht als Zuschlagskriterium herangezogen werden, würden doch Gesichtspunkte gewertet, die die fachliche Eignung der Bieter betreffen und nicht der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen.
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe zeigt, dass der Festlegung der Zuschlagskriterien besonderer Aufmerksamkeit zu widmen ist. Dies gilt insbesondere bei der Ausschreibung personengebundener Dienstleistungen, wie etwa Wach- und Sicherheitsdienstleistungen, wo die Grenzen zwischen der fachlichen Eignung der Unternehmen und der Qualität der ausgeschriebenen Leistung fließend sind.
Sofern der Vergabesenat zur Erkennbarkeit der fehlerhaften Vermengung von Eignungs- und Zuschlagskriterien im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB Stellung nimmt, handelt es sich eher um eine „juristische Momentaufnahme“. Der Vergabesenat lässt nämlich offen, ab wann er die Entscheidungen des BGH und EuGH zum Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien als allgemeines Wissen der Bieter voraussetzt. Es kann mithin nicht ausgeschlossen werden, dass er bereits im Jahr 2012 von den Bietern die Kenntnis der diesbezüglichen Entscheidungen erwartet.
Der Autor Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt bei der Sozietät Scharlemann Rechtsanwälte in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber. Mehr informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber.
Möglicherweise geht aber die Zukunft auch wieder andere Wege und macht teilweise die bisherige Rechtsprechung zur Makulatur. So sieht Art. 66 Nr. 2 des Vorschlags für eine Richtlinie des EP und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe vom 20. Dezember 2011, KOM(2011) 896 end., Folgendes vor: „Das wirtschaftlich günstigste Angebot … Zu diesen Kriterien zählen – zusätzlich zum in Absatz 1 Buchstabe b genannten Preis
oder dort genannten Kosten – weitere Kriterien, die mit dem Auftragsgegenstand des besagten öffentlichen Auftrags in Verbindung stehen, wie z. B.:
(a) …
(b) bei Dienstleistungsaufträgen und Aufträgen für die Konzeption von Bauarbeiten können die Organisation, Qualifizierung und Erfahrung des mit der Auftragsausfüh-rung betrauten Personals berücksichtigt werden mit der
Folge, dass dieses Personal nach dem Zuschlag nur mit Zustimmung des öffentlichen Auftraggebers ersetzt werden kann, der prüfen muss, dass mit einem Wechsel eine gleichwertige Organisation und Qualität gegeben sind;“
Bernhard Fett, Dresden