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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 27/02/2012 Nr. 12202

OLG Frankfurt: Eigentum an Versorgungsnetz als ausschließliches Recht (Beschluss v. 30.08.2011 – 11 Verg 3/11)

EntscheidungBei Rekommunalisierungen, die mit Leistungen durch Dritte verbunden sind, sollten Kommunen die vergaberechtlichen Voraussetzungen genau prüfen. Das OLG Frankfurt hat in seinem Beschluss vom 30.08.2011 (11 Verg 3/11) mehrere Möglichkeiten zur vergabefreien Beauftragung verworfen. Zugleich liefert das Gericht wichtige allgemeine Hinweise zu In-house-Geschäften und zum Konzernprivileg für Sektorenauftraggeber.

Rekommunalisierung und Vergaberecht

Der Fall des OLG Frankfurt betrifft die in vielen Kommunen diskutierte Rekommunalisierung von Versorgungsleistungen, hier der Trinkwasserversorgung. Der Auftraggeber, eine Kommune, hatte im Jahr 1987 den mit der Wasserversorgung betrauten kommunalen Eigenbetrieb in eine GmbH umgewandelt. Später schloss die Kommune mit der GmbH einen Wasserkonzessionsvertrag, in dem sich die GmbH im Gegenzug für die ausschließliche Nutzung der öffentlichen Verkehrsräume u.a. zum Bau der für die Versorgung notwendigen Anlagen verpflichtete. Der Vertrag läuft noch bis 2014. Nach Vertragsschluss änderte sich der Gesellschafterkreis: Minderheitsgesellschafterin wurde eine von mehreren Stadtwerken gehaltene Gesellschaft; an einigen Stadtwerke war zu einem geringen Teil (1,7%) privates Kapital beteiligt. Zudem erbrachte die GmbH neben der Wasserversorgung auch Versorgungsleistungen an Privatkunden im Strom- und Gasbereich.

Aufgrund einer kartellrechtlichen Preissenkungsverfügung entschied der Auftraggeber 2010, die Wasserversorgung künftig wieder in öffentlich-rechtlicher Form zu erbringen. Hierzu gründete sie einen Eigenbetrieb und schloss mit der GmbH ohne vorherige Ausschreibung einen Pacht- und Betriebsführungsvertrag mit fünfjähriger Laufzeit. Dies griff ein Wettbewerber im Nachprüfungswege an.

In-house-fähig trotz privater „Splitteranteile“?

Das OLG Frankfurt hat zunächst klargestellt, dass auch eine Rekommunalisierung einen öffentlichen Auftrag darstellen kann. Zwar stellt sie das Spiegelbild zu einer (vergabefreien) funktionalen Privatisierung dar und ist daher ebenfalls grundsätzlich ausschreibungsfrei. Hier bestand indes die Besonderheit, dass die Kommune die Betriebsführung nicht zu sich selbst zurückgeholt, sondern einen Dritten (die GmbH) hiermit beauftragt hatte. Diese hätte aber dem Gericht zufolge in-house-fähig sein müssen.

Diese hat das OLG Frankfurt verneint. Interessanterweise hat das Gericht dabei nicht auf den Anteil privaten Kapitals von 1,7 % auf entfernter Beteiligungsebene abgestellt, obwohl nach bisheriger Rechtsprechung jede auch nur minderheitliche Beteiligung privaten Kapitals in-house-schädlich ist. Im Gegenteil betrachtet es die In-house-Kriterien funktional und fragt, ob nicht trotz derartiger privater Splitterbeteiligungen auf entfernter Beteiligungsebene die In-house-Fähigkeit gegeben sein kann, wenn die öffentliche Hand maßgebliche Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten hat. Dieser Ansatz ist bemerkenswert, da der EuGH eine Beteiligung privaten Kapitals nicht nur mit einer Einschränkung des steuernden Einflusses begründet, sondern auch mit der Bevorteilung der privaten Anteilseigner durch In-house-Aufträge (zuletzt EuGH, Urteil vom 22.12.2010 – C-215/09 „Oulun kaupunki“).

Allerdings belässt es das OLG bei dieser Andeutung. Denn nach seiner Ansicht war die GmbH nicht, wie vom EuGH gefordert, im Wesentlichen für die Kommune tätig. Das OLG stellt hierbei auf den Anteil der Wasserversorgung am Gesamtumsatz ab, da nur diese auf der konkreten Vergabeentscheidung beruhe. Die übrigen Tätigkeiten im Gas- und Strombereich, die den überwiegenden Umsatz ausmachten, erfolgten hingegen im Wettbewerb. Damit greift das Gericht den Ansatz des OLG Hamburg auf (Beschluss vom 14.12.2010 – I Verg 5/10), das Stromlieferungen an Private als in-house-schädlich ansieht. Interessanter Nebenaspekt: im Wasserbereich rechnet das OLG Frankfurt – anders als im Strom- und Gasbereich – die Umsätze aus der Belieferung Privater der Kommune zu und sieht sie nicht als in-house-schädlich an. Da es im Wasserbereich nur einen Wettbewerb um den Markt, nicht aber im Markt gibt, überzeugt diese Differenzierung jedoch.

Privilegierung von Pachtverträgen?

Als nächstes prüft und verneint das OLG Frankfurt eine Ausnahme von der Vergabepflicht nach § 100 Abs. 2 lit. h) GWB, nach dem Auftraggeber Grundstücke ohne Ausschreibung erwerben oder mieten dürfen. Die Kommune hatte sich hierauf berufen, da sie mit der GmbH einen Pachtvertrag über das Leitungsnetz abgeschlossen hatte. Der Vertrag enthielt jedoch auch Dienstleistungspflichten der GmbH. Solche gemischten Verträge fallen dem OLG zufolge nur unter die Ausnahme des § 100 Abs. 2 lit. h) GWB, wenn es sich bei den Dienstleistungen um ganz unwesentliche Nebenabreden handelt.

Zur Reichweite des Konzernprivilegs

Auch eine Ausnahme über das Konzernprivileg gemäß § 100 Abs. 2 lit. o GWB, das Sektorenauftraggebern vergabefreie Aufträge an die mit ihnen verbundenen Unternehmen ermöglicht, lehnt das OLG Frankfurt ab. Zwar ist die Trinkwasserversorgung eine Sektorentätigkeit. Die Kommune hatte jedoch vor dem Vertragsschluss mit der GmbH die Wasserversorgung nicht selbst inne. Das Gericht betont, dass das Konzernprivileg nicht für Kommunen gilt, die die Versorgung an Dritte übertragen haben. Die Vorschrift sei nicht auf Fälle zugeschnitten, in denen der Auftraggeber die Sektorentätigkeit erst durch den Auftrag als solchen erlangt. In der Konsequenz führt dies dazu, dass das Konzernprivileg bei Rekommunalisierungen regelmäßig nicht eingreift.

Zudem trifft das OLG Frankfurt eine wichtige Klarstellung bezüglich des Umsatzkriteriums, nach dem das Konzernprivileg nur für verbundene Unternehmen gilt, die mindestens 80% ihres Umsatzes für den Auftraggeber erzielen. Das Gericht verlangt nämlich, dass diese Umsätze – wie beim In-house-Geschäft – mit der konkret nachgefragten Dienstleistung erzielt werden müssen. Ansonsten könne sich ein Unternehmen auf das Konzernprivileg berufen, dessen Auftragnehmer seinen Umsatz ganz überwiegend mit anderen Tätigkeiten im Wettbewerb erzielt.

Wille des Auftraggebers für Antragsbefugnis nicht maßgeblich

Eine weitere wichtige Klarstellung betrifft den von Auftraggebern vielfach vorgebrachten Einwand, die Leistungen gar nicht ausschreiben zu wollen oder zu können, wenn das konkrete Modell aus vergaberechtlichen Gründen scheitern sollte. Damit zielen sie auf das Fehlen der Antragsbefugnis, da den angreifenden Unternehmen kein Schaden im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB entstehen könne. Das OLG Frankfurt hat dies zurückgewiesen. Die bloße Behauptung, nicht erneut auszuschreiben, kann danach die Antragsbefugnis nicht ins Wanken bringen; hierfür ist vielmehr ausreichend, dass eine neue Ausschreibung zumindest theoretisch möglich ist.

Deutsches VergabenetzwerkEigentum als Ausschließlichkeitsrecht

Das OLG Frankfurt lässt die Direktvergabe an die GmbH schließlich wegen deren Ausschließlichkeitsrechts zu. Denn als Eigentümerin verfügte nur sie über die technischen Einrichtungen zur Wasserversorgung, so dass die Kommune auf einen Vertrag mit ihr angewiesen war. Den Einwand des Antragstellers, hierfür hätte ein isolierter Pachtvertrag gereicht, so dass immerhin die Betriebsführung auszuschreiben war, weist das Gericht zurück. Weder wäre die GmbH zur vorzeitigen Beendigung des bis 2014 laufenden Konzessionsvertrages veranlasst gewesen, noch hätte die Kommune dies über ihre Gesellschafterrechte durchsetzen müssen. Ein Auftraggeber ist weder berechtigt noch verpflichtet, eine Ausschreibung dadurch zu ermöglichen, dass er sich durch nachteilige Weisungen im Konzernverbund über bestehende Verträge hinwegsetzt.

Seidel__JanDer Autor Dr. Jan Seidel ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer und Nürnberger Büro der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Dort betreut er Projekte der öffentlichen Hand mit einem Schwerpunkt auf der vergaberechtlichen und umweltrechtlichen Beratung. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Dr. Jan Seidel

Dr. Jan Seidel ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer und Nürnberger Büro der KPMG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Dort berät er öffentliche Auftraggeber und Bieter in Vergabeprojekten mit einem Schwerpunkt auf der kommunalen Infrastruktur (insbesondere Ver- und Entsorgung sowie ÖPNV).

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