Am 1. Mai trat für Nordrhein-Westfalen das “Gesetz über die Sicherung von Tariftreue und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen – TVgG – NRW)” in Kraft. Verstößt ein Auftragnehmer gegen seine Verpflichtungen aus dem Gesetz, kann dies für ihn gravierende Folgen haben, bis zum Ausschluss von sämtlichen öffentlichen Auftragsvergaben für drei Jahre. Unser Autor Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner gibt einen kurzen Überblick über die für die Praxis sehr relevanten Vorschriften.
I. Regelungszweck und Regelungsstruktur
Mit dem TVgG – NRW werden Auftraggeber im Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet, Tarif-, Umwelt- und Sozialstandards bei Vergaben zu berücksichtigen. Das Gesetz differenziert dabei zwischen Bau- und Dienstleistungen einerseits, sowie Lieferleistungen andererseits. Bei Bau- und Dienstleistungen ist das gesamte Gesetz anzuwenden, bei Lieferleistungen (lediglich) die §§ 3 und 17 bis 19. Entsprechend finden sich Regelungen zu Tariftreue und Mindestlohn auch nur in den §§ 4 bis 16, da diese für den Bau- und Dienstleistungsbereich relevant sind. Die Regelungen zur umweltfreundlichen Beschaffung, Sozialkriterien und Frauenförderung sind darüber hinaus auch für Lieferleistungen relevant und daher in den §§ 17 bis 19 geregelt.
II. Tariftreuepflicht
Kern-Norm des TVgG zur Tariftreuepflicht – NRW ist § 4, welcher unterschiedliche Tatbestände für sog. Verpflichtungserklärungen enthält, welche von den Unternehmen einzufordern sind.
1. Verpflichtungserklärungen
Besteht ein allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag oder eine Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, so haben die Bieter bei Angebotsangabe schriftlich zu erklären, dass sie die darin genannten Mindestbedingungen einhalten, § 4 Abs. 1 TVgG – NRW.
Fehlt es an einem Tarifvertrag oder an einer solchen Rechtsverordnung – wie zumeist – so haben sich die Bieter bei der Angebotsabgabe schriftlich zu verpflichten, ihren Beschäftigten (ohne Auszubildende) bei der Ausführung der Leistung ein Mindeststundenentgelt von 8,62 EUR zu zahlen, § 4 Abs. 3 TVgG – NRW.
Außerdem müssen sich die Bieter bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, dafür zu sorgen, dass Leiharbeitnehmer gleichermaßen entlohnt werden wie regulär Beschäftigte, § 4 Abs. 5 TVgG – NRW.
Hinsichtlich dieser zahlreichen Verpflichtungserklärungen existiert auch schon ein Formblatt (VHB-VOL NRW, 05/2012, VOL 5f EG Eigenerklärung Tariftreue/Mindestentlohnung).
Fehlt bei Angebotsabgabe die geforderte Verpflichtungserklärung, so ist der Auftraggeber gehalten, diese unter Fristsetzung nachzufordern; wenn dann erneut die Erklärung nicht vorliegt, ist das Angebot zwingend auszuschließen, § 8 Abs. 2 TVgG – NRW. Hier liegt ein Unterschied zu § 16 Abs. 2 VOL/A, der die Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise in das Ermessen des Auftraggebers legt.
2. Verstoß gegen die Verpflichtung
Verstößt ein Auftragnehmer gegen seine Verpflichtung, kann dies für ihn gravierende Folgen haben, die über den Ausschluss aus dem hiesigen Verfahren hinausgehen. So kann das Unternehmen für drei Jahre von sämtlichen öffentlichen Auftragsvergaben ausgeschlossen werden (Eintrag in das Vergaberegister), § 13 Abs. 1 TVgG – NRW. Sollte sich erst während der Vertragsdurchführung feststellen lassen, dass etwa Mitarbeiter des Unternehmens nicht den Mindestlohn erhalten, kann der Auftraggeber den Vertrag außerordentlich kündigen. Weiterhin ist der Auftraggeber verpflichtet, im Fall eines Verstoßes gegen die Befolgung der Verpflichtungserklärung eine Vertragsstrafe vorzusehen, welche zwischen 1 % und 5 % des Gesamtauftragswerts betragen soll, § 12 Abs. 1 TVgG – NRW. Schließlich stellt ein Verstoß gegen die eingegangene Verpflichtung eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße bis zu 50.000 EUR geahndet werden kann! Der Auftragnehmer sollte daher unbedingt darauf achten, dass er die Zahlung des Mindestlohns zu jedem Zeitpunkt einhält.
3. Verpflichtung durch Nachunternehmer und Verleiher
Da sich Auftragnehmer häufig Nachunternehmers oder eines Verleihers von Arbeitskräften bedienen, möchte das TVgG – NRW sicherstellen, dass die Ziele des TVgG – NRW nicht durch Übertragung der Pflichten auf Nachunternehmen bzw. Inanspruchnahme von Verleihern umgangen werden.
Aus diesem Grunde haben sich die Bieter bei Angebotsabgabe ebenfalls zu verpflichten, die oben beschriebenen Verpflichtungserklärungen ihrerseits von ihren Nachunternehmern bzw. Verleihern einzufordern etc., so dass eine ununterbrochene Kette von Verpflichtungserklärungen vom Bieter selbst zu seinen Nach-, Nach- und Nachunternehmern etc. gewährleistet ist.
Der Bieter ist verpflichtet, sämtliche, d.h. eigene und fremde, Verpflichtungserklärungen dem Auftraggeber vorzulegen.
Bei Verträgen mit einer Laufzeit von über drei Jahren, haben Bieter (dann Auftragnehmer) außerdem gegenüber dem Auftraggeber zu erklären, dass die Bedingungen an die Tariftreue weiterhin bei den Nachunternehmern bestehen.
Die Verantwortung des Auftragnehmers für seine Nachunternehmer ist groß. So ist der Auftragnehmer auch dann zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet, wenn der Nachunternehmer oder dessen Nachunternehmer etc. gegen die Tariftreuepflicht verstoßen hat. Der Auftragnehmer haftet jedoch nicht, wenn er beweisen kann, dass er den Verstoß bei Beauftragung des Nachunternehmers nicht kannte und auch nicht kennen musste, § 12 TVgG – NRW. Außerdem droht dem Auftragnehmer auch eine dreijährige Sperre, wenn sein Nachunternehmer gegen die Verpflichtungserklärung verstößt.
4. Kontrollbefugnisse der Prüfbehörde
Das TVgG – NRW sieht erhebliche Kontrollbefugnisse vor. So kann die Prüfbehörde Dokumente einsehen und Interviews mit den Arbeitskräften führen o.Ä., und zwar nicht nur beim Auftragnehmer, sondern bei sämtlichen Nachunternehmern und Verleihern, vgl. § 15 Abs. 5 TVgG – NRW.
III. Umweltgesichtspunkte
Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, bei der Vergabe von Aufträgen Kriterien des Umweltschutzes und der Energieeffizienz zu berücksichtigen. Neben den voraussichtlichen Anschaffungskosten sind dabei unter Berücksichtigung des sog. Lebenszyklusprinzips insbesondere auch die voraussichtlichen Betriebskosten über die Nutzungsdauer – vor allem die Kosten für den Energieverbrauch -, sowie die Entsorgungskosten zu berücksichtigen, § 17 Abs. 1 und 2 TVgG – NRW.
Im Leistungsverzeichnis oder in der Bekanntmachung sollen Leistungs- oder Funktionsanforderungen hinsichtlich des Umweltschutzes und der Energieeffizienz ausdrücklich genannt werden, § 17 Abs. 3 TVgG – NRW.
Im Rahmen der Eignungsprüfung soll der öffentliche Auftraggeber von den Bietern und Bewerbern zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit in geeigneten Fällen verlangen, dass das zu beauftragende Unternehmen bestimmte Normen für das Umweltmanagement erfüllt, § 17 Abs. 6 TVgG – NRW.
Schließlich sollen bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots auch Kriterien des Umweltschutzes und der Energieeffizienz berücksichtigt werden, § 17 Abs. 7 TVgG – NRW.
IV. Sozialgesichtspunkte
Aufträge über Lieferleistungen sollen nur an solche Auftragnehmer vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichtet haben, den Auftrag gemäß den in der Leistungsbeschreibung bekanntgegebenen besonderen Auftragsausführungsbedingungen ausschließlich mit Waren auszuführen, welche nachweislich oder gemäß einer entsprechenden Zusicherung unter Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gewonnen oder hergestellt worden sind, § 18 Abs. 2 TVgG – NRW.
Ein schuldhafter Verstoß gegen diese Pflicht beim Auftragnehmer oder einem seiner Nachunternehmer ist wiederum sanktioniert.
Auf die Vorlage der Nachweise oder Erklärungen kann allerdings verzichtet werden, sofern die Bieter diese trotz Beachtung der Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns nach § 347 HGB nicht oder nicht fristgerecht erbringen können.
Die Praxistauglichkeit der gesamten Regelung muss sich erst zeigen. So verzeichnet allein Apple 156 unterschiedliche Zulieferer aus dem asiatischen Raum.
V. Frauenförderung
Die Regelung zur Frauenförderung ist in § 19 TVgG – NRW enthalten. Dessen Absatz 1 Satz 1 und 2 lautet
„(1) Öffentliche Aufträge sollen nur an solche Unternehmen vergeben werden, die sich bei der Angebotsabgabe in einer Erklärung schriftlich verpflichten, bei der Ausführung des Auftrags Maßnahmen zur Frauenförderung und zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie im eigenen Unternehmen durchzuführen oder einzuleiten, sowie das geltende Gleichbehandlungsrecht zu beachten. Satz 1 gilt nur
1. für Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten, ausschließlich der zu ihrer Ausbildung Beschäftigten, und
2. für Aufträge über Leistungen ab einem geschätzten Auftragswert ohne Umsatzsteuer von 50 000 Euro und für Aufträge über Bauleistungen ab einem geschätzten Auftragswert ohne Umsatzsteuer von 150 000 Euro.“
Wie diese Maßnahmen zur Frauenförderung genau auszusehen haben ist dem TVgG – NRW freilich nicht zu entnehmen.
VI. Zusammenfassung und Praxishinweis
Mit dem TVgG – NRW hat der nordrhein-westfälische Gesetzgeber eine beachtlich umfassende Regelung zur Berücksichtigung von Tariflöhnen, Mindestlohn, Umwelt- und Sozialgesichtspunkten, sowie der Frauenförderung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gemacht. Ob und inwieweit das TVgG – NRW gegen höherrangiges Recht verstößt wird hier nicht thematisiert. Ein paar Regelungen erscheinen mir spontan aber nicht unbedenklich und könnten möglicherweise auf den (gerichtlichen) Prüfstand kommen.
Das politisch motivierte Gesetz führt zu weiteren Regelungen und Formblättern in die Vergabelandschaft, welche der öffentliche Auftraggeber zu beachten hat.
Für die Bieter gilt: Ein Bieter sollte sich umso mehr Gedanken machen, mit welchen Nachunternehmern er künftig zusammenarbeiten will. Denn im schlimmsten Fall drohen dem Auftragnehmer für Verstöße des Nachunternehmers erhebliche Nachteile (Vertragsstrafe, Vertragskündigung und Eintragung in das Vergaberegister mit einer verbundenen dreijährigen Sperre)! Bietern ist daher dringend zu empfehlen, gegenüber ihren Nachunternehmern sämtliche Pflichten aus dem TVgG – NRW vertraglich „durchzureichen“.
Der Autor Dr. Roderic Ortner ist Rechtsanwalt der Sozietät BHO Legal, Köln, München. Er ist spezialisiert auf nationales und europäisches Kartell- und Vergaberecht, hier insbesondere auf Vergabeverfahren und Vertragsgestaltung für Forschungsprojekte der Sicherheits-, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie. Mehr Informationen zum Autor finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Roderic Ortner
Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.
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