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Glasreinigung nicht automatisch Fachlos: zur jüngsten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Koblenz

ParagraphFragen der Losvergabe rücken in der jüngsten Vergangenheit verstärkt in den Fokus der Nachprüfungsinstanzen. So haben etwa der nordrhein-westfälische (11.1.2012 – VII-Verg 52/11) und der rheinland-pfälzische Vergabesenat (4.4.2012 – 1 Verg 2/11; dazu auch Noch, Vergabeblog vom 29.4.2012) entschieden, dass im Rahmen der Vergabe von Gebäudereinigungsdienstleistungen die Glasreinigung per se ein eigenständiges Fachlos sei. Die beiden Rechtsstreitigkeiten verdeutlichen exemplarisch den Konflikt zwischen dem Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers auf der einen Seite und dem Mittelstandsschutz auf der anderen Seite. Die von den beiden Oberlandesgerichten vorgenommene einseitige Präferierung mittelständischer Interessen zu Lasten des Bestimmungsrechts der öffentlichen Auftraggeber kann allerdings nicht überzeugen.

Sachverhalt und Entscheidung

In dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall hat die Vergabestelle vier Teil-/Gebietslose, aber keine Fachlose gebildet. Die Reinigungsflächen betrugen bei der Unterhaltsreinigung rd. 87.000 m² und ca. 24.600 m² bei der Glasreinigung, die zweimal jährlich durchzuführen war. Das OLG Koblenz war mit fünf Teil-/Gebietslosen ohne weitere Fachlosbildung befasst. Die Grundreinigung betrug ca. 101.000 m², die Unterhaltsreinigung rd. 140.000 m² und die Glasreinigung ca. 39.000 m². Die Glasflächen sollten einmal jährlich gereinigt werden. In beiden Sachverhalten waren überwiegend Schul-, Kindergarten- und Verwaltungsgebäude reinigungsgegenständlich.

Beide Oberlandesgerichte sahen durch die angeblich fehlende Fachlosaufteilung § 97 Abs. 3 S. 2 GWB und § 2 Abs. 2 S. 2 VOL/A-EG als verletzt an. Die Glasreinigung sei, auch wenn bereits eine Aufteilung in Teil-/Gebietslose erfolgt sei, ein Fachlos, für das ein eigenständiger Markt bestehen würde. Während der rheinland-pfälzische Vergabesenat zu der Frage, ob die Glasreinigung ein autonomes Fachgebiet darstelle, eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung vermissen lässt, weil es insoweit lediglich auf die zeitlich vorangegangene Rechtsprechung des OLG Düsseldorf verweist, zeigt die weiterführende Argumentation des nordrhein-westfälischen Vergabesenats zur vermeintlichen Fachloseigenschaft der Glasreinigung Schwächen auf.

Kritik

Das OLG Düsseldorf gründet seinen Beschluss auf die Aussagen zweier sachverständiger Zeugen. Hierauf gestützt folgert der nordrhein-westfälische Vergabesenat, dass sich die Gebäudereinigung organisatorisch und im Marktauftritt in zwei voneinander getrennte Fachbereiche aufteilen würde, weshalb sich für die Glasreinigung ein eigenständiger, von den übrigen Gebäudereinigungsarbeiten abgegrenzter Markt gebildet habe. Zwei Zeugenaussagen sollen nach Auffassung der beiden Oberlandesgerichte somit genügen, um den Charakter eines autonomen Fachzweiges Glasreinigung innerhalb der Gebäudereinigungsarbeiten praktisch für die gesamte Bundesrepublik Deutschland zu begründen. Eine solche Argumentationsweise kann in ihrer Allgemeinheit schon deshalb nicht überzeugen, weil andere sachverständige Einschätzungen das Gegenteil belegen können und die beiden Zeugenaussagen keine „nähere Marktuntersuchung“ ersetzen, wie das OLG Düsseldorf noch in einem weiteren „Glasreinigungs-Beschluss“ vom 23.3.2011 (VII Verg 63/10) gefordert hat.

Daneben streiten weder gewerberechtliche Vorschriften noch eine allgemein gültige Marktabgrenzung für die Rechtsansicht der beiden Oberlandesgerichte. Die bisherige Beschaffungspraxis zeigt, dass die überwiegende Mehrheit von Unternehmen im Gebäudereinigerhandwerk mehrere, verschiedene Reinigungsdienstleistungen aus einer Hand anbieten. Dementsprechend wird durch eine gemeinsame Vergabe von Unterhalts-, Grund- und Glasreinigung ein großer Kreis an potentiellen Auftragnehmern berührt, insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft.

Auch die im Gebäudereinigerhandwerk bestehenden Lohngruppen stützen nicht die Ansicht der beiden Vergabesenate. Es ist zwar zutreffend, dass aktuell ein einheitlicher Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung für die Bundesrepublik Deutschland zu beachten ist, wonach eine Unterscheidung in die Lohngruppe 1 (hierzu zählen vornehmlich Innen- und Unterhaltsarbeiten) und Lohngruppe 6 (dazu zählen insbesondere Glas- und Fassadenreinigungsarbeiten) getroffen wird. Das Bestehen unterschiedlicher tarifvertraglicher Lohngruppen beweist aber keine autonome und abgegrenzte Fachleistung für den Bereich der Glasreinigung. Vielmehr wird dadurch allein eine unterschiedliche tarifliche Entlohnung manifestiert.

Ferner unterstützt auch die gewerberechtliche Qualifikation des Reinigungspersonals nicht die Annahme eines eigenständigen Fachloses Glasreinigung. So beweist z.B. § 8 Abs. 2 GebReinigAusbV, dass zur Berufsausbilung sowohl Gebäudereinigungsarbeiten als auch Glasreinigungsarbeiten unterschiedslos zählen. Eine fachliche Spezialausbilung zum/r Glasreiniger/Glasreinigerin kennt das deutsche Ausbildungs- und Berufsrecht nicht. So ist auch nach § 1 Abs. 1 GebrMstrV dem Gebäudereinigerhandwerk bspw. die Reinigung von Außenbauteilen und von Innenbauteilen einschließlich der Verglasungen zuordenbar. Eine fachlich getrennte Qualifikation und Ausbildung für die Unterhalts- und Grundreinigung auf der einen Seite und für die Glasreinigung auf der anderen Seite kann durch die GebReinigAusbV und GebrMstrV widerlegt werden. Dies übersehen das OLG Düsseldorf und OLG Koblenz. Auch der seit längerem entfallene Meisterzwang im Gebäudereinigerhandwerk hat nicht automatisch dazu geführt, dass sich zahlreiche und ausschließlich auf die Reinigung von Glasflächen spezialisierte kleine und mittelständische Unternehmen gegründet hätten. Die insoweit vom OLG Düsseldorf durchgeführte Beweisaufnahme mit Hilfe der sachverständigen Zeugen kann nicht verallgemeinert werden und kann – wenn überhaupt – allenfalls für die dort betroffenen regionalen Gegebenheiten Geltung beanspruchen.

Fragwürdig erscheint auch die richterliche Prämisse, dass die Glasreinigung – regional abhängig – zwischen der Hälfte bis zu zwei Dritteln des Gesamtauftragsvolumens öffentlicher Aufträge betragen solle. Regelmäßig dürfte in der Praxis ein viel geringerer Wert anzunehmen sein, etwa im Bereich von 4% bis 8% des gesamten Auftragswertes. Letztlich muss auch die richterliche Einschätzung auf Bedenken treffen, wonach die getrennte Vergabe von Unterhalts- und Glasreinigungsarbeiten die vermeintliche Regel sei, die Gesamtvergabe hingegen die Ausnahme. Eine beispielhaftte Auswertung der im Amtsblatt der Europäischen Union bis dato veröffentlichten Bekanntmachungen beweist das Gegenteil. Die Vergabestellen schreiben die Glasreinigung gerade nicht als eigenständiges Fachlos aus, sondern überwiegend gemeinsam mit der Unterhalts- und/oder Grundreinigung.

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Öffentlichen Auftraggebern steht bei ihrer Leistungsbestimmung ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Dies gilt auch im Bereich der Gebäudereinigung. Das OLG Düsseldorf und dem folgend das OLG Koblenz schränken dieses Leistungsbestimmungsrecht der Vergabestellen zu Unrecht ein, weil weder der Gebäudereinigungsmarkt noch das Gewerbe(ausbildungs-)recht grundsätzlich zwischen einer eigenständigen Fachleistung Glasreinigung einerseits und einem Fachzweig der Unterhalts-/Grundreinigung andererseits differenzieren.

Der nordrhein-westfälische Vergabesenat hat bereits am 23.3.2011 (VII Verg 63/10) zutreffend entschieden, dass es naturgemäß keine (Los-)Aufteilung geben könne, die als einzige „richtig“ ist. Um so bedauerlicher ist es, dass nach Meinung der beiden Oberlandesgerichte allein und ausschließlich eine zwingende Fachlosvergabe für die Glasreinigung den Mittelstandsinteressen entsprechen soll. Es bleibt daher für die Zukunft zu wünschen, dass anderere Vergabesenate die Rechtsproblematik aufgreifen und ein ausgewogenes Urteil treffen, bei dem sowohl das autonome Leistungsbestimmungsrecht der öffentlichen Auftraggeber als auch der Mittelstandsschutz der Unternehmer in gleicher und angemessener Weise Berücksichtigung finden.

Schröder_Holger___17815Rechtsanwalt Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren eine Vielzahl von VOL/VOB/VOF/SektVO-Verfahren öffentlicher Auftraggeber von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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5 Kommentare

  1. Hermann Summa

    Dazu einige Anmerkungen:
    1. Die Einschränkung des Leistungsbestimmungsrechts hat der Gesetzgeber vorgenommen. Das mag man beklagen, aber die Gerichte haben das geltende Recht anzuwenden.
    2. Die Spezialisierung, die zunächst innerhalb der Reinigungsunternehmen begann, hat inzwischen dazu geführt, dass es auch Unternehmen gibt, die sich auf die
    Glasreinigung spezialisiert haben. Denen ist mit einer Gebietslosvergabe von Reinigungsarbeiten aller Art kaum geholfen.

    Reply

  2. Hermann Summa

    Und noch eine Anmerkung:
    Niemand hat behauptet, die Glasreinigung mache zwischen der Hälfte bis zu zwei Dritteln des Gesamtauftragsvolumens öffentlicher (Reinigungs-) Aufträge aus.

    Vielmehr ist in der Entscheidung des OLG Düsseldorf zu lesen, dass der öffentliche Anteil an der gesamten Glasreinigung in dieser Größenordnung liege und deshalb öffentliche Aufträge für auf Glasreinigung spezialisierte Unternehmen wichtig seien.

    Reply

  3. Redaktion Vergabeblog

    Sehr geehrter Herr Summa,

    haben Sie vielen Dank für Ihre Ergänzungen.

    Ihre

    Vergabeblog Redaktion

    Reply

  4. Holger Schröder

    Sehr geehrter Herr Summa,

    haben Sie vielen Dank für Ihre kritischen Anmerkungen zu meinem Beitrag.

    Dem Artikel ist nicht die Behauptung zu entnehmen, dass die Glasreinigung zwischen der Hälfte bis zu zwei Drittel des Gesamtauftragsvolumens öffentlicher „Reinigungs“-Aufträge umfasst. Der Beitrag bezieht sich ausdrücklich auf „öffentliche Aufträge“, nicht „öffentliche (Reinigungs-)Aufträge“. Der Artikel wiederholt insoweit die Aussage des OLG Düsseldorf.

    Der in dem Beitrag weiter erwähnte Erfahrungswert von 4-8% bezieht sich hingegen auf den Anteil der Glasreinigung an öffentlichen Gebäudereinigungsaufträgen. Ihre Anmerkung zeigt aber, dass insoweit ein klarstellender Hinweis sinnvoll ist. Vielen Dank für Ihren Hinweis.

    Mit freundlichen Grüßen
    Holger Schröder

    Reply

  5. Gebäudereinigung Immoclean

    Auch wenn das ein Beitrag von 2012 ist, so habe ich dennoch eine Frage dazu. Bedeutet es im Grunde, dass öffentliche Ausschreibungen nur an spezialisierte Reinigungsunternehmen vergeben werden ? Also jemanden, der quasi nur Glasreinigung in seinen Leistungen aufführt ? Ich betreibe selber eine Gebäudereinigung, bei der alle Facetten von Leistungen angeboten werden. Unterhaltsreinigung, hygienische Reinigung, Treppenhausreinigung, Baureinigung, … Glasreinigung ist ein Teilbereich davon. Kann ich also in Zukunft nie mit einem öffentlichen Auftrag rechnen ?

    Reply

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