Im ersten Teil dieser Serie wurden aktuelle Entscheidungen zur Rechtzeitigkeit der Rüge, insbesondere zur Thematik der Kenntnis vom Vergaberechtsverstoß und dem rechtzeitigen Zugang der Rüge, vorgestellt. Der zweite Teil der Rechtsprechungsübersicht befasst sich mit den inhaltlichen Anforderungen an ein Rügeschreiben sowie den Besonderheiten von anwaltlichen Rügeschreiben.
Inhaltliche Anforderungen an das Rügeschreiben
Auch die inhaltlichen Anforderungen an eine Rüge beschäftigen nach wie vor die Nachprüfungsinstanzen. Insbesondere die Frage, wie konkret ein Bieter den (vermeintlichen) Vergaberechtsverstoß beschreiben muss, war Gegenstand mehrerer Entscheidungen.
Die VK Brandenburg (Beschluss vom 17.10.2011 – VK 39/11; Beschluss vom 6.12.2011 – VK 52/11) hat jüngst betont, dass der Bieter grundsätzlich jeden einzelnen (wirklich geschehenen oder vermuteten) Vergaberechtsverstoß beanstanden muss. Dabei ist vom Bieter darzulegen, welchen konkreten Sachverhalt er der Rüge zugrunde legt, also aus welchen Tatsachen und Indizien er einen Vergaberechtsverstoß ableitet. Laienhafte Ausführungen sind ausreichend. Eine Rüge, die das Vergabeverfahren pauschal als fehlerhaft bewertet, genügt den gesetzlichen Anforderungen hingegen nicht.
Auch das OLG Düsseldorf geht in seinem Beschluss vom 07.12.2011 davon aus, dass keine überzogenen Anforderungen an eine Rüge zu stellen sind. Es ist ausreichend, wenn der Bieter einen bestimmten Sachverhalt als vergaberechtswidrig ansieht und zum Ausdruck bringt, dass er insoweit Abhilfe verlangt. Eine Rüge muss nicht einmal als solche bezeichnet werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.12.2011 – Verg 81/11).
Beim Verfassen einer Rüge sollte sich der Bieter stets Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit vor Augen halten: Dem öffentlichen Auftraggeber soll die Möglichkeit eröffnet werden, einen Vergaberechtsverstoß abzustellen. Dies erfordert die Benennung des konkreten Sachverhalts, aus welchen er den Vergaberechtsverstoß ableitet. Der Bieter muss die Tatsachen so genau wie möglich benennen und Abhilfe verlangen. Detaillierte rechtliche Ausführungen sind demgegenüber grundsätzlich nicht erforderlich.
Anwaltliche Bevollmächtigung und Rügeerhebung
Das Risiko einer inhaltlich unzureichenden Rüge kann durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts minimiert werden. Wird die Rüge durch anwaltlichen Schriftsatz erhoben, stellt sich jedoch die Frage, ob die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts dem Rügeschreiben in schriftlicher Form beigelegt werden muss.
Mit dieser Frage hatte sich die VK Sachsen-Anhalt zu beschäftigen (VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.05.2011 – 1 VK LSA 04/11). Im konkreten Fall war dem anwaltlichen Rügeschreiben keine schriftliche Vollmacht beigefügt. Diese wurde erst nach Aufforderung durch die Vergabestelle vorgelegt. Vor diesem Hintergrund vertrat der öffentliche Auftraggeber die Auffassung, dass für die Berechnung der Rügefrist auf den Zugang der nachgereichten Vollmacht abgestellt werden müsse.
Dem folgt die angerufene Vergabekammer nicht. Zur Begründung weist die Vergabestelle darauf hin, dass einem Anwalt oder einer Anwältin als Organ der Rechtspflege ein gewisser Vertrauensvorschuss eingeräumt werden muss. Bis zum Beweis des Gegenteils müsse daher von einer Bevollmächtigung ausgegangen werden. Erst wenn man die Vorlage der schriftlichen Vollmacht vergeblich fordert, kann davon ausgegangen werden, dass die Rüge nicht im Rahmen eines Mandatsverhältnisses autorisiert wurde.
Aus Sicht der Anwaltsschaft ist diese Entscheidung zu begrüßen. Dennoch ist dringend zu empfehlen, anwaltlichen Rügen stets eine schriftliche Bevollmächtigung beizufügen. Dies erspart unnötige Nachfragen und richtet den Fokus von Beginn an auf die inhaltlichen und rechtlichen Ausführungen des Rügeschreibens.
Der Autor Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt bei der Sozietät Scharlemann Rechtsanwälte in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber. Mehr informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber.
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