Welchem Bewerber und potentiellen Bieter ist dies nicht auch schon widerfahren: der Stau will sich nicht auflösen und es droht die Verspätung zum festgesetzten Eröffnungstermin. Dieser alltägliche Sachverhalt hat bislang scheinbar noch keine Vergabekammer beschäftigt, obgleich er zu gravierenden Folgen für denjenigen Bewerber führen kann, der sein Angebot erst zum Eröffnungstermin vorlegen möchte. Der vorliegende Gastbeitrag soll daher, insbesondere für die Praxis, einen kurzen Überblick darüber ermöglichen, welche Konsequenzen eine Verspätung des Bieters zum Eröffnungstermin nach sich ziehen kann und wie der Verhandlungsleiter zu reagieren hat. Da die zwingende Verknüpfung der Angebotsfrist mit dem Eröffnungstermin nur in der VOB/A vorgesehen ist, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf dieses Regelwerk.
I. Der Eröffnungstermin in der VOB/A
Die Durchführung des Eröffnungstermins (auch „Submissionstermin“ genannt) wird in § 14 VOB/A geregelt. Die hierin geregelte Verpflichtung zur Durchführung gilt für die Öffentliche und die Beschränkte Ausschreibung. Diese Einschränkung des Anwendungsbereichs ergibt sich aus einem Rückschluss aus § 14 Abs. 8 VOB/A.
Die wichtigste Funktion des Eröffnungstermins ist die Festlegung des Endes der Angebotsfrist. Gem. § 10 Abs. 2 und 3 VOB/A läuft die Angebotsfrist ab, sobald der Verhandlungsleiter im Eröffnungstermin mit der Öffnung des ersten Angebots beginnt. Erst zu diesem Zeitpunkt sind Angebote demnach, mit der Rechtsfolge eines zwingenden Ausschlusses nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) VOB/A, verspätet.
Aus der Regelung des § 10 Abs. 2 und 3 VOB/A und als Ausfluss des Gleichbehandlungsgebotes (§ 97 Abs. 2 GWB sowie § 2 Abs. 2 VOB/A) ergibt sich für den Auftraggeber bzw. den Verhandlungsleiter grundsätzlich die Notwendigkeit, zum bekanntgegebenen Eröffnungstermin unverzüglich mit der Öffnung der Angebote zu beginnen, da allen Bewerbern eine gleich lange Bearbeitungszeit für die einzelnen Angebote zugestanden werden muss.
II. Der verspätete Bieter
Fraglich ist nun, wie es sich auswirkt, wenn ein Bieter mit seinem Angebot ein paar Minuten zu spät kommt, dem Verhandlungsleiter telefonisch seine Verspätung mitteilt und um ein kurzes Abwarten bittet.
Da ein Sachverhalt in dieser konkreten Ausgestaltung noch nicht Gegenstand einer Entscheidung einer Vergabekammer geworden ist, richtet sich der Blick im Folgenden auf die Ansichten in der Literatur.
Herrmann sowie Marx gehen davon aus, dass der Eröffnungstermin durch den Verhandlungsleiter keinesfalls hinausgezögert werden darf, um den Eingang eines bestimmten Angebotes abzuwarten. Normale Behinderungen, wie etwa ein Verkehrsstau oder ein Wintereinbruch, liegen in der Risikosphäre des Bieters (Herrmann in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2011, § 14, Rn. 4; Marx in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, 2010, § 14, Rn. 25). Grünhagen verweist in derartigen Fällen darauf, dass gerade durch ein solches Verhalten der verspätete Bieter gegenüber den anderen ohne sachlichen Grund bevorzugt würde (Grünhagen in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB, 4. Aufl. 2011, § 14, Rn. 40).
Doch es wird auch eine andere, sich in der Minderheit befindende, Ansicht von Bauer und Schäfer vertreten. Hiernach gelte der Grundsatz, dass ohne Verzögerung begonnen werden müsse, nicht uneingeschränkt. Vielmehr könne in begründeten Ausnahmefällen eine geringfügige Verschiebung des Eröffnungstermins um 15 bis maximal 30 Minuten in Betracht kommen (Bauer in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB-Handkommentar, 12. Aufl., 2011, § 14, Rn. 9; Schäfer in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck´scher VOB-Kommentar, 2001, § 22, Rn. 16). Das Bedürfnis des Auftraggebers nach der Verschiebung kann nach Bauer gerade in dem Fall bestehen, dass der Eingang eines weiteren Angebots abgewartet werden soll, weil der Bieter in einem Verkehrsstau aufgehalten worden sei. In einem solchen Fall seien das Interesse des Auftraggebers am ordnungsgemäßen Eingang des (geringfügig verspäteten) Angebots und der berechtigte Anspruch der Bieter auf eine pünktliche Wahrnehmung des Eröffnungstermins gegeneinander abzuwägen (Bauer in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB-Handkommentar, 12. Aufl., 2011, § 14, Rn. 9).
Die Vergabekammer Lüneburg zitiert diese Mindermeinung und schließt sich ihr (soweit ersichtlich) in einem Beschluss aus dem Jahre 2004 an (VK Lüneburg, Beschluss vom 20.12.2004 – Az.: 203-VgK-54/2004). Dieser Entscheidung liegt zugrunde, dass der Eröffnungstermin statt um 14:15 Uhr, wie in der Vergabebekanntmachung festgesetzt, erst um 14:40 Uhr begann. Da die Vergabekammer jedoch zum konkreten Erscheinen einzelner Bieter oder allgemein zu dem Grund der Verschiebung in den Entscheidungsgründen auf Basis der Vergabeakte keine Aussage trifft, bleibt die Einordnung dieser Entscheidung streitig.
Grünhagen beispielsweise führt jene Entscheidung an, soweit es um die Zulässigkeit einer Verschiebung des Eröffnungstermins geht, deren Grund im Bereich des öffentlichen Auftraggebers zu finden ist (Grünhagen in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB, 4. Aufl. 2011, § 14, Rn. 41). Anders wird dies wiederum von Herrmann verstanden. Dieser sieht in der Entscheidung der Vergabekammer eine Stärkung der Mindermeinung Bauers und somit jener Ansicht, die eine geringfügige Verschiebung des Eröffnungstermins aufgrund eines verspäteten Bieters bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen als zulässig erachtet (Herrmann in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2011, § 14, Rn. 4 (siehe Fußnote 5).
Es bleibt somit hinsichtlich der Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg festzuhalten, dass mit den hierbei getroffenen Feststellungen eine genauere Konturierung der Problematik nicht vorgenommen werden kann.
Betrachtet man jedoch die maßgeblichen Grundsätze, die ein öffentlicher Auftraggeber in einem Vergabeverfahren einhalten muss, so ist hier insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB herauszugreifen. Aus Sicht eines pünktlichen Bieters, der im Eröffnungstermin anwesend ist, schafft der öffentliche Auftraggeber durch die geringfügige Verschiebung zugunsten des Angebots eines verspäteten Bieters einen zusätzlichen Konkurrenten, der bei ordnungsgemäßer Eröffnung zum angegebenen Zeitpunkt nicht mit dem pünktlichen Bieter konkurriert hätte. Dies stellt eine Bevorzugung und damit eine Ungleichbehandlung dar. Die dargestellte Mindermeinung verkennt, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB grundsätzlich der Vorzug zu geben ist und einer Abwägung mit dem Interesse eines Auftraggebers an dem Eingang eines eventuell wirtschaftlicheren Angebotes nicht zugänglich sein darf.
Dieses Ergebnis ist zweifelsohne für einen Bieter unbefriedigend, der sich mit dem Angebot geringfügig verspätet und dabei eventuell noch so weitsichtig ist, den Auftraggeber telefonisch vor der Eröffnung hierüber zu informieren. Allerdings ist den vergaberechtlichen Grundsätzen uneingeschränkt Geltung zu verschaffen, sodass es tatsächlich zu lauten hat: Pünktlichkeit ist eine Tugend – auch im Vergaberecht!
III. Konsequenzen einer geringfügigen Verschiebung
Soweit dennoch eine geringfügige Verschiebung des Eröffnungstermins vorgenommen wurde, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen hieraus folgen.
Aufgrund der Verknüpfung zwischen der Angebotsfrist und dem Eröffnungstermin gem. § 10 Abs. 2 und 3 VOB/A ergibt es sich, dass ein durch einen Verkehrsstau aufgehaltener Bieter sein Angebot zwar verspätet, wegen der Verzögerung des Eröffnungstermins aber noch rechtzeitig im Sinne von § 14 Abs. 2 VOB/A abgegeben hat (Bauer in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB-Handkommentar, 12. Aufl., 2011, § 14, Rn. 10; Rechten in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, 2010, § 10, Rn. 29; a.A.: Grünhagen in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB, 4. Aufl. 2011, § 14, Rn. 42).
Der zwingende Ausschlussgrund des § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) VOB/A ist demnach nicht einschlägig. Soweit man davon ausgeht, dass durch das benannte Vorgehen des Verhandlungsleiters ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gegeben ist (s.o.), bleibt einem pünktlichen Bieter allerdings der Rechtsschutz vor einer Vergabekammer oder unterhalb des Schwellenwertes vor den ordentlichen Gerichten.
IV. Fazit
Soweit man der herrschenden Ansicht in der Literatur folgt, sind einem Verhandlungsleiter durch das Vergaberecht und durch den hierin aufgehenden Gleichbehandlungsgrundsatz im Fall eines verspäteten Bieters die Hände gebunden. Eine geringfügige Verschiebung des Eröffnungstermins würde die pünktlich erschienenen Bieter in nicht gerechtfertigter Art und Weise benachteiligen. Mit der Durchführung des Eröffnungstermins ist pünktlich zu beginnen. Dieser Konsequenz sollte sich ein Bieter stets bewusst sein und für eine rechtzeitige Abgabe des Angebots entsprechend Vorsorge treffen.
Patrick Thomas ist Rechtsanwalt in der Sozietät HFK Rechtsanwälte LLP in Frankfurt a.M. und Teil des Fachteams für Vergaberecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der vergaberechtlichen Beratung von Auftraggebern und Bietern aus der Versorgungswirtschaft, aber auch aus den Bereichen Verteidigung und Sicherheit. Einer seiner Interessensschwerpunkte liegt zudem auf den Schnittmengen, die sich zwischen dem Vergabe- und dem Energierecht ergeben. Seine Beiträge geben ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder.
Meiner Ansicht nach ist hier der herschenden Meinung der Literatur zu folgen und auf den pünktlichen Beginn am Eröffungstermin abzustellen.
Dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz muss hier mehr Aufmerksamkeit gegeben werden. Vorallem aber öffnet man mit einer solche Entscheidung, dass man den Eröffnungstermin „verzögern“ kann Tür und Tor für Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Was ist eine noch zu vertretenden, hinnehmbare Verschiebung der Submission? Was sind Gründe, die einen solche Veschiebung rechtfertigen? Stau? Schnee? Sperrung einer Straße? S-Bahn verpasst? Stromausfall? Ich bin der Ansicht, Gründe findet der potentielle Bieter immer, warum er plötzlich XX Minuten später abgeben wollen darf. Wenn man einemal das Tor öffnet, lässt es sich nur schwerlich wieder schließen und immer mehr Vergaben landen im Nachprüfungsverfahren – was die Vergabe dann unnötig verteuert bzw. das Verfahren unnötig verlängert.
Florian Andrä