Wie steht das Vergaberecht zur Kündigung von Verträgen? Im Spannungsverhältnis zwischen Zivil- und Vergaberecht ist hier noch Vieles offen. Das OLG Naumburg hatte nun den Fall einer Kündigungsrücknahme zu entscheiden und dabei vergaberechtlichen Wertungen Vorrang eingeräumt (OLG Naumburg, Beschluss vom 26.07.2012, Az.: 2 Verg 2/12).
Die Entscheidung
Ein privates Unternehmen erbrachte Managementdienstleistungen für eine landeseigene Betreibergesellschaft von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen. Der Vertrag sollte sich bei Nichtkündigung automatisch um weitere fünf Jahre verlängern. Ein Jahr vor Ende der Laufzeit erhielt das Unternehmen fristgemäß eine Kündigungserklärung mit Wirkung zum regulären Vertragsende. Der Auftraggeber schrieb die Leistungen anschließend europaweit aus. Nach einem erfolgreichen Nachprüfungsverfahren hob der Auftraggeber das Vergabeverfahren aber wieder auf und nahm die Kündigung zurück. Er erklärte, dass er aus dieser keine Rechte mehr herleiten wolle, verkürzte die Verlängerungsoption auf zweieinhalb Jahre und gestand dem Unternehmen für den Fall der Unwirksamkeit der Rücknahme seinen Entgeltanspruch für erbrachte Leistungen zu. Dem stimmte das Unternehmen zu. All dies erfolgte noch während der Laufzeit des Altvertrags.
Gegen diese übereinstimmende Rücknahme wendete sich nunmehr der Konkurrent mit einem Nachprüfungsverfahren. Er bekam Recht! Das OLG Naumburg sah in der Rücknahme der Kündigung eine unwirksame de facto – Vergabe. Um seinen Bedarf zu decken, müsse der Auftraggeber neu ausschreiben.
Einvernehmliche Kündigungsrücknahme bei laufendem Vertrag: ein neuer Vertrag?
Eine der Kernfragen in dem Verfahren war, ob die einmal ausgesprochene Kündigung vergaberechtsunschädlich zurückgenommen werden konnte. In diesem Fall wäre der ursprüngliche Vertrag gleichsam wieder aufgelebt und die Verlängerung des Ausgangsvertrags wäre ausschreibungsfrei möglich gewesen. Zur Erinnerung: wer eine Verlängerungsoption ausübt, schließt keinen neuen Vertrag. Sie ist ja bereits im Ausgangsvertrag angelegt (so schon OLG Celle, Beschluss vom 04.05.2001, Az.:13 Verg 5/00). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verlängerung durch positive Erklärung oder durch Nichtkündigung erfolgt. Insoweit also handelt es sich nur um die vergaberechtlich neutrale Fortsetzung des bisherigen Vertrags. Selbst ein vergaberechtswidrig zustande gekommener, aber nicht mehr angreifbarer und damit wirksamer Vertrag kann deswegen unter Inanspruchnahme einer Option verlängert werden. Es besteht keine Pflicht zur Kündigung (vgl. zuletzt KG, Beschluss vom 19.04.2012, Az.: Verg 7/11). Offen war auch, welche Bedeutung Zweifel an der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Kündigung zukam, die sich im Nachprüfungsverfahren zeigten.
Zivilrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung vergaberechtlich unbeachtlich!
Der Senat stellte aber klar: im Grundsatz kommt es für die vergaberechtliche Einordnung als de facto – Vergabe nicht auf die zivilrechtliche Einordnung der Kündigungserklärung an. Diese Prüfung sei einem Rechtsstreit zwischen den Vertragsparteien vor einem Zivilgericht vorbehalten. Maßgebend sei vielmehr für die Frage, ob ein neuer Vertrag abgeschlossen wurde, die „funktionale und wirtschaftliche“ Betrachtung. Es komme darauf an, ob danach die Einigung der Parteien über die Rücknahme der Kündigung dem Neuabschluss eines Vertrags gleichkomme.
Vergaberechtliche Maßstäbe: funktionale und wirtschaftliche Betrachtung nach dem erkennbaren Parteiwillen
Einen solchen Neuabschluss bejahte das OLG Naumburg hier. Es bejahte eine ausdrückliche Einigung der Parteien und damit einen Vertragsschluss. Der erkennbare Wille der Parteien zum Zeitpunkt dieser Einigung war maßgebend. Relevante Umstände für die Auslegung als neuer Vertrag waren dabei,
Einordnung der Entscheidung
Das OLG Naumburg scheint das zivilrechtliche und das vergaberechtliche Schicksal eines Vertrags voneinander zu entkoppeln, indem es die zivilrechtliche Wirksamkeit einer Kündigung als unerheblich einstuft. Demnach wären Konstellationen denkbar, in denen ein Vertrag zwar zivilrechtlich nicht wirksam beendet wurde, vergaberechtlich aber schon – mit der Folge, dass er trotz zivilrechtlichem Fortbestehen nicht ohne Vergabeverfahren fortgeführt werden darf. Ganz konsequent ist das Gericht hier allerdings nicht: im Rahmen der Indizien für den Vertragscharakter der einvernehmlichen Rücknahme zitiert es eine Entscheidung des für Mietsachen zuständigen zwölften BGH-Senats. Der BGH hatte eine einseitige Kündigungsrücknahme ausgeschlossen und eine Einigung der Parteien gefordert (BGH, Urteil vom 24.06.1998, Az.: XII ZR 195/96). Unter Verweis auf dieselbe Entscheidung hatte die VK Schleswig-Holstein die bloße Rücknahme einer vorzeitigen Kündigung vor Ablauf des Vertrags übrigens gerade nicht als de facto-Vergabe eingestuft (VK Schleswig Holstein, Beschluss vom 26.05.2010, Az.: VK-SH 1/19).
Die Loslösung der zivilrechtlichen von der vergaberechtlichen Beendigung eines Vertrags wäre zumindest konsequent, sie entspricht insoweit der Einordnung für die umgekehrte Situation bei Abschluss von Verträgen. Demnach sind Angebote bei unverändertem Inhalt auch nach Ablauf der Bindefrist vergaberechtlich zuschlagsfähig, obwohl das Angebot zivilrechtlich nach § 146 BGB erloschen ist – der Bieter muss dann allerdings erneut seine Annahme erklären (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2008, Az.: Verg 70/08).
Fazit: Prüfe, wer sich ewig trennt!
Als Grundsatz lässt sich festhalten: nach einer Kündigungserklärung gibt es keinen „Weg zurück“ – unabhängig davon, ob sie zivilrechtlich wirksam war oder ob sich die Parteien vor Auslaufen des Vertrags doch noch auf eine Fortsetzung verständigen. Mit Blick auf diese Endgültigkeit einer einmal erklärten Kündigung sollten Auftraggeber darauf achten, nicht zu lange Kündigungsfristen zu vereinbaren und vorzeitige Kündigungen genau zu prüfen.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
Die Entscheidung des OLG Naumburg vom 26.07.2012 finde ich völlig richtig. Hätte das Oberlandesgericht den Fall anders entschieden, welches Signal hätte denn das in die Praxis gesendet?
Ein Gedankenspiel: Ein Auftraggeber würde dann vor allem seine lang laufenden Dienstleistungsverträge stets mit großzügigen Verlängerungsoptionen versehen. Bei Nichtzufriedenheit mit seinem Vertragspartner würde er diesem kündigen, um nach einer Neuausschreibung einen besseren oder günstigeren Vertragspartner „auszuprobieren“. Passt dem Auftraggeber der neue Vertragspartner ebenfalls nicht, d.h. war der alte Vertragspartner doch besser, kündigt er dem neuen Vertragspartner ebenfalls. Über eine einvernehmliche Rücknahme der Kündigung mit dem alten Vertragspartner springt er wieder in das alte Vertragsverhältnis zurück. Als vergaberechtliches Feigenblatt deklariert er das Ganze als „Ausübung einer Verlängerungsoption“. Wo führte das denn hin? Völlig richtig, dass das OLG Naumburg der „Theorie des Reservevertragspartners“ den Riegel vorgeschoben hat!