Ziel der vergaberechtlichen Angebotswertung ist es, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Was aber, wenn die Gewichtung der zuvor veröffentlichten Kriterien zu dem Ergebnis führt, dass zwei oder mehrere Angebote genau gleichwertig sind, also z.B. im Falle einer Punktewertung beide genau die selbe Punktzahl erzielen? Und was ist zu tun, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist und zwei Bieter den selben Preis anbieten?
Keine nachträgliche Veränderung der Wertungskriterien
Aus der Rechtsprechung lässt sich lediglich eines klar entnehmen: Die Lösung des Dilemmas kann auf jeden Fall nicht darin liegen, dass der Auftraggeber die in der Vergabebekanntmachung oder den Vergabeunterlagen benannten Bewertungskriterien nachträglich so ändert, dass sich eine Entscheidung zugunsten eines Bieters ergibt. Er muss vielmehr nach geeigneten, d.h. transparenten und diskriminierungsfreien, Kriterien für die Herbeiführung eines Stichentscheids suchen.
Entscheidung per Los?
Eine Entscheidung durch das Los darf nur als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden (VK Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 03.07.2008, Az.: VK 2 LVwA LSA – 05/08). Diese Möglichkeit bestehe nur dann, wenn eine objektive Auswahl nach qualitativen Kriterien nicht möglich sei und der Auftraggeber alles unternommen habe, um seiner Pflicht zur Auswahl des bestmöglichen Angebots zu genügen. Nimmt man diese Bedingungen ernst, kommt ein Losentscheid höchstens bei reinen Preiswettbewerben in Betracht, da dem Auftraggeber hier im Hinblick auf das Angebot keine qualitativen Wertungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Entscheidung zugunsten des bisherigen Auftragnehmers?
Nach Auffassung des EuGH verstößt eine Wertungsmatrix, die vorsieht, dass im Falle der Punktgleichheit mehrerer Angebote der Zuschlag an den bisherigen Dienstleistungserbringer zu erteilen ist, grundsätzlich gegen die Dienstleistungsfreiheit. Es müsse aber in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein solches Kriterium für den Stichentscheid diskriminierend wirke und ob es eventuell aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei (EuGH, Urteil v. 27.10.2005, Rs. C-234/03).
Im Falle einer nicht dem Kartell-Vergaberecht wohl aber dem europa-, kartell- und wettbewerbsrechtlichen Transparenzgebot und Diskriminierungsverbot unterliegenden Gas-Konzessionsvergabe nach § 46 EnWG hat das LG Leipzig nun in einem Urteil vom 16.11.2012 (05 O 2822/12) entschieden, dass die Entscheidung für den bisherigen Konzessionsinhaber ausfallen dürfe, da ein Wechsel des Konzessionspartners nach den Regelungen des EnWG stets die Pflicht zur Überlassung der Verteilungsnetzanlagen zur Folge habe und sich daher auf die Grundrechte des bisherigen Netzbetreibers (Art. 12, 14 GG) auswirke. Das Landgericht gesteht der öffentlichen Hand einen weiten Ermessensspielraum in der Patt-Situation zu. Die Entscheidung müsse lediglich transparent und diskriminierungsfrei erfolgen. Es bestehe aber weder eine Pflicht zur vorherigen Bekanntmachung des für den Stichentscheid maßgeblichen Kriteriums noch eine Pflicht zur Festlegung von K.O.-Kriterien in der Wertung, die von vorneherein nur einen Bewerber zum Zuge kommen lassen. Ob sich diese, sich auf energierechtliche Konzessionsvergaben beziehenden Überlegungen, auch in der vergaberechtlichen Rechtsprechung durchsetzen werden, bleibt abzuwarten.
Entscheidung anhand von Preis und/oder Kosten?
Die vom BMI herausgegebene Unterlage für die Ausschreibung und Bewertung von IT-Dienstleistungen empfiehlt bei Beschaffungsvorhaben, in denen in einem engen Marktumfeld mit quasi gleichwertigen Angeboten zu rechnen ist, bereits vorab ein Kriterium für den Stichentscheid festzulegen. Dieses Kriterium sollte regelmäßig der Preis sein (vgl. hierzu etwa für den Bereich der IT-Leistungen, UfAB V 2.0, Sonderheft vom 16.08.2012, S. 8). Ebenso sachgerecht dürfte – gerade auch im Hinblick auf die verstärkten politischen wie rechtlichen Anforderungen an eine nachhaltige Beschaffung – eine Orientierung an Preis und Lebenszykluskosten sein.
Landesgesetzliche Regelungen: Soziales sticht
In einigen Bundesländern (§ 10 AVG Berlin, § 18 TtVG Bremen und VgG Thüringen) enthalten die Landesvergabegesetze Regelungen, wonach bei ansonsten gleichwertigen Angeboten das Angebot des Bieters bevorzugt werden kann oder muss, der Ausbildungsplätze bereitstellt oder sich in sonstiger Weise an Maßnahmen der beruflichen Erstausbildung beteiligt. In Hessen gab es eine solche Regelung, das Hessische Vergabegesetz ist jedoch zum 31.12.2012 außer Kraft getreten. Ein neues Gesetz ist noch nicht beschlossen. Die Vorgaben in Berlin und Bremen sind als zwingende Muss-Vorschriften, diejenigen in Hessen und Thüringen waren/sind als fakultative Kann-Bestimmungen ausgestaltet.
Thüringen und Bremen nennen als weitere Kriterien für die bevorzugte Vergabe etwaige Maßnahmen des Bieters zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen. In Bremen soll zudem die Erfüllung der Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach § 71 SGB IX bei der Entscheidung in der Patt-Situation berücksichtigt werden – eine insofern merkwürdige Vorgabe, als § 71 SGB IX bereits zwingende gesetzliche Regelungen enthält, deren Einhaltung man von zuverlässigen, mithin gesetzestreuen, Bietern eigentlich ohnehin erwarten würde.
Derartige Regelungen können einerseits eine willkommene Hilfestellung für die Entscheidung bei Punkte-Gleichstand bieten. Sie beinhalten andererseits aber auch eine Reihe von Unklarheiten und Problemen: So stellen die Berliner und Bremer Regelung (anders als die Parallel-Vorschriften in Hessen und Thüringen) ihrem Wortlaut nach lediglich darauf ab, ob überhaupt Ausbildungsplätze bereit gestellt werden. Umfang und Qualität scheinen ebenso wenig eine Rolle zu spielen wie Betriebsgröße und -struktur. Fragwürdig ist auch, wie ausländische Bieter, in deren Ländern es kein System der dualen Ausbildung gibt, Ausbildungsnachweise der für die Ausbildung zuständigen Stellen beibringen sollen. Während Hessen, Thüringen und Bremen insoweit regeln/regelten, dass die bevorzugte Vergabe dann nicht greift, wenn sich ausländische Bieter am Verfahren beteiligen (Bremen) oder wenn sich aus EG-Recht oder anderen höherrangigem Recht andere Wertungskriterien ergeben (Hessen, Thüringen), bleibt die Berliner Vergabestelle mit diesem Problem allein.
Patentlösungen kann es für die Wertung in Patt-Situationen angesichts der dünnen Rechtsprechungslage, der heterogenen Landesgesetzgebung und der Vielfalt der Beschaffungsvorhaben kaum geben. Sinnvoll erscheint aber die in der UfAB gegebene Empfehlung, jedenfalls bei Ausschreibungen, in denen mit einem engen Bewerberfeld zu rechnen ist, vorab Kriterien für den Stichentscheid bekannt zu machen. Eine solche Vorgehensweise dient nicht nur dem Transparenzprinzip, sondern minimiert vergaberechtliche Risiken des Auftraggebers auch dadurch, dass etwaige Bedenken gegen dieses „Stich-Krtierium“ bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Vergabeverfahren in einer Rüge vorzubringen wären.
Die Autorin Dr. Rut Herten-Koch ist Partnerin der Sozietät SammlerUsinger. Sie berät sowohl zu Fragen des Vergabe- als auch des öffentlichen Bau- und des Umweltrechts. Ihr besonderes Interesse gilt den Schnittmengen dieser Rechtsgebiete sowie den Berührungspunkten zu dem in der Sozietät ebenfalls stark vertretenen Energierecht. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Rut Herten-Koch
Dr. Rut Herten-Koch berät sowohl die öffentliche Hand und ihre Unternehmen als auch private Eigentümer, Investoren, Projektentwickler und Bieter in Vergabeverfahren. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Begleitung und Gestaltung komplexer Verfahren – sei es im Bauplanungs- oder im Vergaberecht. Darüber hinaus vertritt Rut Herten-Koch ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen und den Verwaltungsgerichten. Seit 2002 ist sie als Rechtsanwältin im Bereich öffentliches Recht und Vergaberecht in Berlin tätig. Rut Herten-Koch ist seit Juli 2015 Partnerin bei Luther.
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