Die „Sektoren“-Richtlinie ist eine im Paket von inzwischen vier Richtlinienvorschlägen der Europäischen Kommission zum öffentlichen Auftragswesen. Die anderen drei sind die sogenannte „Klassische“, die zu „Konzessionen“ und die „Reziprozität“-Richtlinie. Unsere Autorin Anna Rieder, LL.M., die die schwedische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Charlotte Cederschiöld, MdEP, im Vermittlungsverfahren mit dem Rat und der EU-Kommission bei der Verhandlung der Richtlinie 2004/17/EG und 2004/18/EG beraten hat, fasst den aktuellen Stand zusammen. Heute, am 6. Mai, findet ein gemeinsamer Trilog zu drei der Richtlinien statt.
Was bisher geschah
Die klassische Richtlinie 2004/18/EG über das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge wurde mit ihren Änderungsvorschlägen am 29. November 2012 im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlamentes angenommen (siehe Beitrag der Autorin v. 11.11.2012).
Die Überarbeitung der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG für den besonderen Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste wurde am 18. Dezember im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz mit 25 Stimmen dafür, 5 dagegen und 8 Enthaltungen angenommen.
Am 24. Januar wurde schließlich auch der Vorschlag für die Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Konzessionsvergabe im federführenden Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlamentes positiv abgestimmt. Die „Reziprozität“-Richtlinie wird derzeit noch im Europäischen Parlament besprochen.
Verhandlung in Trilogen
Diese bereits im Ausschuss abgestimmten drei Richtlinien werden zur Zeit in Trilogen verhandelt, wobei die beiden erstgenannten zusammen und die letztgenannte separat verhandelt werden. Da es bei der Richtlinie über die Konzessionsvergabe zu inhaltlichen Überschneidungen mit den anderen beiden Richtlinien kommt, findet heute, am 6. Mai, ein gemeinsamer Trilog zu allen drei Richtlinien statt.
Der Rat hatte in der Sitzung des Rates für Wettbewerbsfähigkeit vom 11. und 12. Dezember 2012 seine Position in Form einer „allgemeinen Ausrichtung“ des Rates verabschiedet und sich dabei für den Eintritt in Trilog-Verhandlungen ausgesprochen. Eine „allgemeinen Ausrichtung“ ist eine politische Einigung des Rates, die erfolgt, bevor das Europäische Parlament seinen Standpunkt in erster Lesung festgelegt hat.
Am 21. Februar 2013 hat dann der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz den Berichterstattern der Vergaberechtsrichtlinien und der Konzessionsrichtlinie das Verhandlungsmandat für informelle Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten erteilt.
EXKURS: Was ist ein Trilog?
Wenn der Rat bereit ist, seinen Standpunkt zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments darzulegen – auch, wenn er seine erste Lesung noch nicht formell abgeschlossen hat – kann ein Dreiertreffen zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission, der so genannte „Trilog“, einberufen werden. Triloge sind Sitzungen mit begrenztem Zugang. Um ihre Effizienz zu optimieren, ist die Zahl der Teilnehmer auf den Verhandlungsstab zuzüglich der für die Unterstützung unerlässlichen Bediensteten begrenzt.
Der von der Delegation beauftragte Verhandlungsstab des Europäischen Parlaments (der Vizepräsident, der Berichterstatter und der Schattenberichterstatter) vertritt das Parlament in den Verhandlungen. Der Stellvertreter oder der Ständige Vertreter (Vorsitzender des AStV I bzw. II) des Mitgliedstaats, der die Präsidentschaft innehat, vertritt den Rat. Die Kommission wird durch hochrangige Beamte der zuständigen Generaldirektion vertreten. Der Kommission kommt in diesem Stadium nur die Rolle als Mediators zu. Mit anderen Worten, nur der Rat und das Europäische Parlament verhandeln den noch strittigen Text. Sollten diese Verhandlungen scheitern muss in die 2te Lesung gegangen werden.
Beim ersten Trilog legt der Vertreter der Präsidentschaft den Standpunkt des Rates zu den Abänderungen des Europäischen Parlaments aus der ersten Lesung dar. Für die einzelnen Triloge wurden vorbereitend schon Verhandlungspakete geschnürt. Die Kommission wird im Verlauf des Trilogs häufig aufgefordert, mögliche Kompromisstexte auszuarbeiten, die dann in der folgenden Trilogsitzung geprüft werden.
Zum Abschluss der Triloge wird bisweilen verlangt, dass die detaillierte redaktionelle Tätigkeit von einer kleinen Arbeitsgruppe auf „politischer“ Ebene geleistet wird (beispielsweise kann der Berichterstatter des Europäischen Parlaments mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe des Rates und einem Vertreter der Kommission zusammentreffen) oder auf „technischer“ Ebene von Beamten der drei Organe.
Die Ergebnisse jedes Trilogs werden von den jeweiligen Verhandlungsführern den Delegationen des Parlaments und des Rates zur Zustimmung unterbreitet.
Aktueller Sachstand
Hauptberatungsgegenstand sind sogenannte „B-Punkte“ d.h die strittigen Punkte. Ziel ist es, eine Lösung für offene Fragen zu finden und den Weg für eine umfassende Einigung in der ersten Lesung zu ebnen. Insgesamt waren sieben Triloge geplant. Letzte Woche war aber schon absehbar, dass ein weiterer Trilog notwendig ist, da in wichtigen Punkten noch keine Einigung erzielt wurde. Die Trilogsitzungen sind bis Juni anberaumt, das Mandat ist aber verlängerbar.
Der erste Trilog
fand am 6. März in Straßburg statt. Verhandelt wurde das 1. Verhandlungspaket, es gilt als nur mäßig umstritten. Insgesamt umfasst es 194 Änderungsanträge. Es betrifft das Verfahren der Auftragsvergabe, den elektronischen Pass, die Selbstzertifizierung. Ein Kernpunkt war, ob ein Vergabeverfahren zwingend in bestimmten Fällen sein soll („shall“ statt „may“), Art. 24 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe.
Das Europäische Parlament setzt sich zudem für interoperable eVergabe-Anwendungen beim Vergabeverfahren ein. Das in der Wachstumsstrategie Europa 2020 verabschiedete Ziel der Digitalen Agenda ist, einen digitalen Binnenmarkt auf Basis eines schnellen Internets und interoperabler Anwendungen zu schaffen. Der Rat hat damit jedoch Probleme. Er will ein Europa “à la carte“, was nach Ansicht der Abgeordneten zu einer Fragmentierung des Marktes führt, da dieses Europakonzept es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen würde, auf welchen politischen Gebieten sie jeweils eine europäische Gemeinschaft bilden wollen. Wichtig für das Europäische Parlament ist, dass die Kohärenz im Binnenmarkt und in der Beziehung zu den Drittstaaten gewährleistet ist.
Insgesamt herrschte eine sehr gute Verhandlungsatmosphäre und Verständnis für alle Positionen. Der Rat beharrte zwar zunächst auf seinen Positionen, es wurden aber auch Kompromissvorschläge unterbreitet. Dem Trilog folgten vier technische Sitzungen, die Fortschritte in den einzelnen Verhandlungspositionen erbrachten.
Der zweite Trilog
fand am 26. März statt. Er befasste sich mit KMUs, insbesondere mit der besseren Partizipation der KMUs (Verhandlungspaket 5) sowie mit den Sozialen -und Umweltfaktoren (Verhandlungspaket 2). Letzteres gilt mit 621 Änderungsanträgen als eines der umstrittensten Verhandlungspakete und muss daher weiter verhandelt werden. Das Europäische Parlament setzt sich gegen Sozialdumping ein und unterstreicht die Wichtigkeit des Umweltschutzes. Der Rat fordert hier eine Verbindung zum Gegenstand des vergebenden Auftrags, Art. 54 § 2 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe. Im Verhandlungspaket 5 fanden hingegen Positionsannäherungen statt. Es bestand Einigkeit darüber, dass KMUs unterstützt werden müssen.
fand am 18. April wieder in Straßburg statt. Das 10. Verhandlungspaket mit 366 Änderungsantragen wurde besprochen. Es handelt sich um eines der umstrittensten Verhandlungspakete mit einer Reihe von wichtigen Fragen.
Zunächst wurde der Anwendungsbereich der Richtlinien diskutiert. Konvergenzen zeichnen sich hier ab bei Art 1, 4, 5 und 6 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe. Auch bei der Auftragsvergabe der sozialen Dienstleistungen haben sich Rat und Europäisches Parlament angenähert, Art 69 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe. Diese Richtlinie berührt demnach nicht das Recht der öffentlichen Behörden auf allen Ebenen. Die Daseinsvorsorge der Mitgliedstaaten kann frei organisiert werden wie auch die Sozialversicherungspflicht unter Einhaltung von Protokoll 26 im Anhang zu den Verträgen und Art 14 AEUV.
Der Rat und das Europäische Parlament haben sich auch auf die Definition des Lebenszyklus geeinigt, Art 2(22) des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe. Der Parlamentsvorschlag hat sich durchgesetzt.
Ausblick
In vielen wesentlichen Fragen liegen die Positionen jedoch noch weit auseinander, so z.B. bei Art 3 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe, die Vergabe gemischt öffentlicher Verträge, d.h. Aufträge, die die Vergabe von zwei oder mehreren Arten öffentlicher Aufträge zum Gegenstand haben (Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen).
Auch bei Art 5 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe, Methoden zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts, weicht der Ratstext stark vom Kommissionsvorschlag ab. Der federführende IMCO Ausschuss hat dem Kommissionstext voll übernommen.
Die Berichterstatter sind jedoch positiv gestimmt und erwarten, dass eine Einigung zwischen Rat und Europäischem Parlament noch in der ersten Lesung gefunden werden kann.
Wir werden berichten.
Die Autorin Anna Rieder, LL.M., hat die schwedische Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Charlotte Cederschiöld, MdEP, im Vermittlungsverfahren mit dem Rat und der EU-Kommission bei der Verhandlung der Richtlinie 2004/17/EG und 2004/18/EG beraten.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Alexander Pustal
Der Autor ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht und Assoziierter Partner der Wirtschaftskanzlei Görg Rechtsanwälte in Frankfurt am Main. Er berät die öffentliche Hand sowie private Unternehmen im Bereich Öffentliches Wirtschaftsrecht und Vergabe. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen nachhaltige Beschaffung, Kreislaufwirtschaft und Public Private Partnerships.
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