Der Auftraggeber ist verpflichtet, die zu vergebenden Leistungen eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinn verstehen müssen und eine einwandfreie Preisermittlung möglich ist. Dabei müssen die einzelnen Positionsbeschreibungen zweifelsfrei sein und dürfen nicht im Widerspruch zu anderen Vergabeunterlagen stehen. Kommt der Auftraggeber dieser Verpflichtung zur vergaberechtskonformen Beschreibung der Leistungen nicht nach, liegt hierin ein schuldhaft verursachter Vergabeverstoß vor. Ein unverschuldeter Aufhebungstatbestand i.S.d. § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A kommt daher nicht in Betracht.
§ 7 VOB/A, § 7 EG VOB/A, § 17 EG VOB/A
Leitsatz
Voraussetzung für eine Aufhebung ist, dass den Auftraggeber in Bezug auf den Aufhebungsgrund kein Verschulden trifft. Daran fehlt es, wenn der Auftraggeber es bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses versäumt hat, die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben.
Sachverhalt
Ein Auftraggeber schrieb die Lieferung und Montage von HKLS-Anlagen für eine Baumaßnahme aus. Die Leistungsbeschreibung stellte verschiedene Anforderungen auf, die jedoch teilweise in sich widersprüchlich waren. Einige Detailforderungen waren nicht erfüllbar, weil auf dem Markt ein den Anforderungen entsprechende Produkt nicht verfügbar war. Ein Bieter übermittelte daher mit dem Angebot ein Begleitschreiben, in welchem er auf Abweichungen seines Angebotes von den gestellten, widersprüchlichen Anforderungen der Vergabeunterlagen hinwies. Im Rahmen der Angebotsprüfung stellte die Vergabestelle fest, dass sämtliche Angebote auszuschließen seien. Dies begründe sich dadurch, dass zum einen nicht der Ausschreibung entsprechende Angebote abgegeben worden seien, zum anderen die technischen Beschreibungen mehrerer Positionen im Leistungsverzeichnis nicht eindeutig und umfassend beschrieben worden seien, weshalb eine eindeutige Kalkulation nicht möglich gewesen sei. Die Ausschreibung werde daher aufgehoben. Die Antragstellerin wandte sich gegen die Aufhebungsentscheidung.
Die Entscheidung
Mit Erfolg! Die Aufhebung war rechtswidrig, jedoch scheiterte die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens. Zwar komme, so die VK Bund (Beschluss vom 11.06.2013 – VK 1-33/13), ein Aufhebungsgrund im Sinne des § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A (Erfordernis einer grundlegenden Änderung der Vergabeunterlagen) grundsätzlich in Betracht, da hier eine Vielzahl von Positionen des Leistungsverzeichnisses unklar und daher die Leistungsbeschreibung überarbeitungsbedürftig sei. Allerdings könne sich die Vergabestelle nicht auf diesen Aufhebungsgrund berufen, weil dieser schuldhaft durch den Auftraggeber verursacht worden sei. Hier hätte der Vergabestelle bei sorgfältiger Erstellung des Leistungsverzeichnisses die Nichtexistenz einzelner Produkte ebenso wie die Unklarheit bei den einzelnen Leistungspositionen auffallen müssen. Änderungen der Leistungsbeschreibung, die nicht auf nachträglich eintretende Ereignisse zurückzuführen sind, fallen in den Risikobereich des Auftraggebers.
Rechtliche Bewertung
Zu Recht weist die Vergabekammer wiederum auf die Verpflichtung des Auftraggebers zur sorgfältigen und eindeutigen Erstellung einer Leistungsbeschreibung hin! Die Vorgabe in den Vergabeordnungen erfüllt keinen Selbstzweck, sondern ist für ein transparentes, wettbewerbliches Ausschreibungsverfahren unabdingbar. Dieser Verpflichtung kann sich der Auftraggeber auch nicht dadurch entziehen, dass er in seinen Bewerbungsbedingungen Hinweispflichten des Bieters während der Angebotsphase bei Widersprüchen der Leistungsbeschreibung vorsieht: Durch eine solche Bedingung kann eine wirksame Risikoverlagerung auf den Bieter nicht herbeigeführt werden, so dass eine Entlastung des Auftraggebers hinsichtlich des Verschuldenstatbestands nicht in Betracht kommt.
Die häufige Vorgehensweise, aufgrund bestehenden Zeitdrucks im Vorfeld einer Ausschreibung auf eine sorgsame Aufbereitung der Vergabeunterlagen und Prüfung derselben auf etwaige Widersprüche und Unklarheiten zu verzichten, kann den Auftraggeber teuer zu stehen kommen! Wie die Entscheidung aufzeigt, kommt eine Berufung auf einen Aufhebungsgrund nicht in Betracht, so dass bei fortgesetzter Beschaffungsabsicht Schadensersatzansprüche der Bieter drohen. Beauftragt der Auftraggeber hingegen im Rahmen eines solchen Vergabeverfahrens einen Bieter, so wird er sich im Zuge der Vertragsdurchführung von vornherein Nachtragsvergütungsansprüchen ausgesetzt sehen, weil das Risiko einer unklaren Leistungsbeschreibung auch bei der Auslegung des Vertrages zu seinen Lasten geht. Dieser Verpflichtung zur zweifelsfreien Leistungsbeschreibung kann sich der Auftraggeber im übrigen auch nicht durch die Hinweispflichten nach dem Formblatt 212EG entziehen.
Julia Zerwell ist Dipl.-Verwaltungswirtin (FH), Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht bei der SIBETH Partnerschaft in Frankfurt. Der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt im Vergaberecht und umfasst die Beratung bei öffentlichen Auftragsvergaben sowie bei Konzeptionierung und Durchführung von Ausschreibungen aller Vergabearten im Bau- oder Dienstleistungsbereich. Sie unterstützt Auftraggeber und berät Vergabestellen wie auch Bieter. Ihr Tätigkeitsfeld erstreckt sich auf die projektbegleitende Beratung im privaten Bau- und Architektenrecht, insb. bei Großbauvorhaben und Infrastrukturprojekten, sowie Vertretung vor Behörden und Gerichten. Zerwell ist Referentin verschiedener Seminare und publiziert regelmäßig in Fachzeitschriften.
0 Kommentare