Nach wie vor ist eine äußerst praxisrelevante Frage heiß umstritten: dürfen Nebenangebote zugelassen werden, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist? Mehrere Obergerichte haben die Frage teils divergierend beantwortet mit dem unbefriedigenden Ergebnis, dass die Anwendung von Vergaberecht vom jeweiligen Bundesland abhängig ist. Mit seinem Vorlagebeschluss macht das OLG Jena (Beschluss vom. 16.09.2013 – 9 Verg 3/13) nun den Weg für eine höchstrichterliche Klärung frei.
Sachverhalt
Bauleistungen für eine Straßenbahn sollten nach dem günstigsten Preis vergeben werden, wobei die Abgabe von Nebenangeboten ausdrücklich zugelassen war. Der Zuschlag sollte einem Nebenangebot erteilt werden. Der Rüge eines Konkurrenten, wonach die Einbeziehung von Nebenangeboten in die Wertung, bei der einziges Kriterium der Preis ist, unzulässig sei, wurde unter Hinweis auf Präklusion nicht abgeholfen.
Die Entscheidung
Das OLG Jena hielt den Nachprüfungsantrag für zulässig. Es ordnet das Thema Zulassung von Nebenangeboten bei reiner Preiswertung als Rechtsfrage ein, die sich nicht unmittelbar aus den einschlägigen Rechtsgrundlagen ergebe und auch nicht regelmäßig und außerdem erst seit 2010 kontrovers diskutiert werde. Einen möglichen Vergaberechtsverstoß habe der Bieter daher nicht erkennen müssen.
Der Sache nach hält das Gericht die Rüge für begründet und folgt damit der Linie des OLG Düsseldorf (02.11.2011, Az. Verg 22/11). Nebenangebote hätten nicht in die Wertung einbezogen werden dürfen, weil der Preis das einzige Zuschlagskriterium war. Zur Begründung stellt das OLG auf Art. 24 Abs. 1 der Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR) 2004/18/EG ab, wonach öffentliche Auftraggeber Varianten (Nebenangebote) zulassen können, die nach dem Kriterium des wirtschaftlichsten Angebotes vergeben werden. Da die Richtlinie in Art. 53 Abs. 1 VKR klar zwischen einer Vergabe nach dem wirtschaftlich günstigsten Angebot oder nach dem niedrigsten Preis unterscheide, komme eine Zulassung von Nebenangeboten bei einer reinen Preiswertung nicht in Betracht. Der Begriff des wirtschaftlichen Angebotes sei kein Oberbegriff auch für das Kriterium des günstigsten Preises, sondern setze neben dem Preis ein weiteres Zuschlagskriterium voraus.
Abgesehen von diesen systematischen Erwägungen hält das OLG eine qualitative Bewertung der in den Nebenangeboten vorgenommenen inhaltlichen Abweichungen für sachgerecht. Eine reine Preiswertung erscheine nur dann sinnvoll, wenn nur inhaltsgleiche Angebote abgegeben würden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Zuschlag auf die zwar preislich günstigste, aber inhaltlich-technisch schlechtere Variante erfolgen müsste.
Aufgrund der Divergenz zu einer Entscheidung des OLG Schleswig (15.04.2011, Az. 1 Verg 10/10), das den Begriff des wirtschaftlich günstigsten Angebotes in der VKR als Oberbegriff für alle Wertungskriterien ansieht und daher die Bewertung von Nebenangeboten nach dem Preis als zulässig erachtet, hat das OLG Jena die Sache dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Rechtliche Bewertung
Das OLG Jena hat sich von der Entscheidung des BGH vom 23.01.2013 (Az. X ZB 8/11) nicht einschüchtern lassen. Der BGH hatte in dem Verfahren zwar nur noch über die Kosten zu entscheiden. Gleichwohl hat er sich kritisch mit der Linie des OLG Düsseldorf auseinandergesetzt. Die grammatikalische Auslegung des OLG Düsseldorf sei nicht zwingend. Technische Mindestanforderungen könnten auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden. Insofern erscheine es möglich, die aufgrund von Mindestanforderungen vergleichbaren Nebenangebote allein nach dem Preis zu bewerten. Dem hält das OLG Jena entgegen, man könne zwar dem Risiko, ein günstiges, aber technisch minderwertiges Angebot bezuschlagen zu müssen, in Einzelfällen mit Mindestanforderungen begegnen. Das sei aber bei komplexen Vergaben kaum möglich.
Dieses Argument des OLG Jena ist nicht von der Hand zu weisen. Auftraggeber können nicht immer alle möglichen Varianten vorhersehen, was aber nötig wäre, um geeignete Mindestanforderungen definieren zu können. Insofern wäre eine sachgerechte Lösung, nach dem Ansatz des BGH bei technisch überschaubaren Leistungen die Lösung (ggf. in Teilbereichen) den Bietern zu überlassen, hierfür Mindestanforderungen vorzugeben und letztlich nach dem Preis zu entscheiden. Werden hingegen Leistungen ausgeschrieben, bei denen die Definition von Mindestanforderungen aufgrund des Leistungsumfangs oder der Komplexität nicht machbar ist, sollte ein nichtmonetäres Kriterium hinzukommen. Freilich dürfte schwierig abzugrenzen sein, wann der ein- oder der andere Fall vorliegt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Allgemeine Rundschreiben Nr. 7/2013 des BMVBS, das als Lösung des Dilemmas ein Kriterium Verkürzung Vertragsfrist, bewertet mit 1 %, vorschlägt. Dieser Vorschlag ist mit Vorsicht zu genießen. Abgesehen davon, dass eine Marginalisierung des technischen Kriteriums vergaberechtlich nicht zulässig sein dürfte (vgl. Beitrag von Dr. Matthias Krist), könnte mit dem Kriterium Vertragsfrist eben nur eine Abweichung von der Vertragsfrist bewertet werden, aber nichts sonst. Das OLG Jena verlangt jedoch eine qualitative Bewertung der im Nebenangebot vorgenommenen inhaltlichen Abweichungen vom Leistungsverzeichnis. Das setzt ein Kriterium voraus, dass die Bewertung unterschiedlicher inhaltlicher Abweichungen erlaubt. Das sollten Vergabestellen bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien bedenken.Praxistipp
Wer Nebenangebote rechtssicher zulassen möchte, sollte bis zu einer höchstrichterlichen Klärung neben dem Preis mindestens ein nichtmonetäres Zuschlagskriterium wählen. Dabei sollten sich Vergabestellen nicht an dem zweifelhaften Rundschreiben des BMVBS orientieren, sondern ein Kriterium wählen, mit dem die konkret zugelassenen Abweichungen inhaltlich bewertet werden können.
Die Autorin Sonja Stenzel ist Rechtsanwältin in Berlin und bei der BG Kliniken - Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung gGmbH tätig.
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