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Gasfernnetzbetreiber unterliegen nicht dem Vergaberecht! (OLG Celle, Beschluss v. 08.08.2013 – 13 Verg 7/13)

ParagraphIst das bloße Bereitstellen und Betreiben von Gasnetzen durch ein privates Unternehmen nach den einschlägigen energierechtlichen Vorschriften bereits ausreichend, um den persönlichen Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts zu begründen? Impliziert diese Tätigkeit bereits die notwendige marktbezogene Sonderstellung? Das OLG Celle konnte in dem vorliegenden Verfahren (Beschl. v. 08.08.2013 – 13 Verg 7/13) die Gelegenheit nutzen, um zu diesen Fragen, die neben dem Vergaberecht auch das Energierecht berühren, Stellung zu nehmen.

Richtlinie 2004/17/EG Art. 2 Abs. 2, Abs. 3; GWB § 98 Nr. 4; EnWG §§ 4, 43, 45, 46

Der Anwendungsbereich des Vergaberechts erstreckt sich durch § 98 Nr. 4 GWB auch auf die sogenannten Sektorenauftraggeber, also auf solche natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts, die beispielsweise auf dem Gebiet der Energieversorgung tätig sind und die weiteren Voraussetzungen des § 98 Nr. 4 GWB erfüllen. Gem. § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB ist eine solche Voraussetzung, dass die Tätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt wird, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden. § 98 Nr. 4 Hs. 2 GWB definiert solche Rechte in Übernahme der Begriffsbestimmung des Art. 2 Abs. 3 der RL 2004/17/EG als

„[..] Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird.“

Wann liegen jedoch bei einer Tätigkeit auf dem Gebiet der Energieversorgung solche Rechte konkret vor? Die Rechtsprechung musste hierzu bisher kaum Stellung beziehen und das OLG Celle konnte wertvolle Ausführungen treffen, wann keine solchen besonderen oder ausschließlichen Rechte vorliegen.

Sachverhalt

Die Antragsgegnerinnen dieses Nachprüfungsverfahrens sind Gasfernnetzbetreiber, die den Neubau eines Weserdükers (eine Unterführung) zur Gasdurchleitung europaweit im Verhandlungsverfahren ausschrieben. Die Antragstellerin hat die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beantragt, nachdem die Antragsgegnerinnen beabsichtigten, den Zuschlag auf das Angebot einer anderen Bieterin zu erteilen. Die VK Lüneburg hat die Antragsgegnerinnen in dem angefochtenen Beschluss als Auftraggeberinnen i.S.v. § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB angesehen. Sie begründete dies damit, dass der gemäß § 43 EnWG erlassene Planfeststellungsbeschluss ein ausschließliches Recht im Sinne des § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB verschaffe. Hiergegen wandten sich die Antragsgegnerinnen mit der sofortigen Beschwerde.

Entscheidung

Die Antragsgegnerinnen obsiegten! Der Nachprüfungsantrag wurde durch das OLG als unzulässig verworfen. Nach Ansicht des Vergabesenates werden einem privaten Gasnetzbetreiber bei seiner Tätigkeit keine besonderen oder ausschließlichen Rechte gewährt. Das OLG Celle verwies zunächst auf den Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2004/17/EG. Dieser führt Folgendes aus:

„Eine angemessene Definition der besonderen und der ausschließlichen Rechte ist geboten. Diese Definition hat zur Folge, dass es für sich genommen noch kein besonderes und ausschließliches Recht im Sinne dieser Rechtlinie darstellt, wenn ein Auftraggeber zum Bau eines Netzes oder der Einrichtung von Flughafen- bzw. Hafenanlagen Vorteil aus Enteignungsverfahren oder Nutzungsrechten ziehen kann oder Netzeinrichtungen auf, unter oder über dem öffentlichen Wegenetz anbringen darf.“

An diesen Grundsätzen orientierte sich das OLG Celle und kam zunächst zu dem Schluss, dass ein Planfeststellungsbeschluss gem. § 43 EnWG keine besonderen oder ausschließlichen Rechte gewähre. Das Planfeststellungsverfahren als solches gewähre einem Einzelnen überhaupt keine Rechte. Vielmehr stelle das Planfeststellungsverfahren (lediglich) ein verwaltungsrechtliches Instrument dar, um bestimmte Bauprojekte rechtlich und tatsächlich durchführen zu können. Lediglich im Rahmen eines solchen Planfeststellungsbeschlusses sei es dann möglich, dass einem Investor gegebenenfalls einzelne Rechte zuerkannt werden, wie z.B. nach § 45 EnWG die Enteignung.

Der Vergabesenat stellt darüber hinausgehend aber auch fest, dass

„weder die Möglichkeit der Enteignung gem. § 45 EnWG, noch Gebrauchsrechte am öffentlichen Wegenetz gem. § 46 EnWG, noch Wegenutzungsrechte, noch das Genehmigungserfordernis des § 4 EnWG besondere oder ausschließliche Rechte i.S.v. § 98 Nr. 4 GWB begründen.“

Das OLG schließt sich bei diesen Ausführungen ausdrücklich der entsprechenden Ansicht in der Literatur an (vgl. statt vieler Ziekow, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2011, § 98 GWB Rn. 181).

Deutsches VergabenetzwerkPraxishinweis

Der Vergabesenat bestätigt mit der Entscheidung die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur. Vorbehaltswirkungen für die Tätigkeitsausübung, wie sie durch § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB vorausgesetzt werden, sind nach den drei Legislativpaketen der EU zum gemeinsamen Energiebinnenmarkt (zuletzt RL 2009/73/EG für den Erdgasbinnenmarkt und RL 2009/72/EG für den Elektrizitätsbinnenmarkt) nur noch schwer vorstellbar. Damit werden private Strom- und Gasnetzbetreiber nicht durch das Vergaberecht erfasst. Die Tatsache, dass andere Unternehmen von einer solchen Sektorentätigkeit beispielsweise aus wirtschaftlichen Gründen abgehalten werden, und so Betreiber von Energieversorgungsnetzen quasi reflexartig bevorteilt werden, ist gerade nicht ausreichend (vgl. hierzu Schröder, NZBau 2012, 541 (543)). Voraussetzung ist jedoch stets, dass keine qualifizierte Staatsnähe i.S.v. § 98 Nr. 4 Alt. 2 GWB („beherrschender Einfluss“) vorliegt.

Das OLG äußerte sich in einem knappen Nebensatz auch zu einer interessanten Frage, die bislang in der Rechtsprechung und der Literatur weitestgehend unbeleuchtet blieb und auch in dem vorliegenden Vergabenachprüfungsverfahren nicht entscheidungserheblich war: Ist ein europäischer Mitgliedstaat als Gebietskörperschaft im Sinne von § 98 Nr. 1 GWB zu erfassen, sodass ein möglicherweise beherrschender Einfluss auf eine Gesellschaft in Deutschland die Auftraggebereigenschaft dieses Unternehmens im Sinne des § 98 GWB auslöst? Das OLG Celle erachtet dies, sollte man die Frage bejahen wollen, entgegen der Ansicht der Vergabekammer, als zweifelhaft. Weitere Feststellungen musste der Vergabesenat leider nicht treffen. Es bleibt abzuwarten, wann sich für die Rechtsprechung erneut die Gelegenheit ergibt, dieses Thema zu beleuchten.

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Über Dr. Thomas Mösinger und Patrick Thomas

Der vorliegende Beitrag wurde von Rechtsanwalt Dr. Thomas Mösinger und Rechtsanwalt Patrick Thomas gemeinsam verfasst. Dr. Thomas Mösinger ist Partner der Sozietät HFK Rechtsanwälte LLP in Frankfurt a.M. und Teil des Fachteams für Vergaberecht. Er begleitet seit Jahren Auftraggeber und Bieter in allen Phasen des Beschaffungsprozesses sowohl bei nationalen, wie auch bei europäischen Vergabeverfahren. Neben dem Vergaberecht bilden das Beihilfenrecht sowie das Städtebaurecht Schwerpunkte seiner Tätigkeit. Er ist zudem seit 2010 ständiger Lehrbeauftragter der FH Mainz für Vergabe- und Vertragsrecht. Der Autor, Patrick Thomas, ist Rechtsanwalt in der Sozietät HFK Rechtsanwälte LLP in Frankfurt a.M. und Teil des Fachteams für Vergaberecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der vergaberechtlichen Beratung von Auftraggebern und Bietern aus der Versorgungswirtschaft, aber auch aus den Bereichen Verteidigung und Sicherheit. Einer seiner Interessensschwerpunkte liegt zudem auf den Schnittmengen, die sich zwischen dem Vergabe- und dem Energierecht ergeben. Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren wieder.

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