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OLG Düsseldorf entscheidet zu Voraussetzungen der Vergabereife (Urteil v. 27.11.2013 – Verg 20/13)

ParagraphEin öffentlicher Auftraggeber soll Aufträge erst dann ausschreiben, wenn er auch tatsächlich davon ausgehen kann, dass er diese vergeben wird. Dieser Grundsatz wird in der deutschen Rechtspraxis unter dem Begriff der Vergabereife diskutiert. In seinem Beschluss vom 27.11.2013 (Az.: Verg 20/13) nimmt das OLG Düsseldorf zu der Frage Stellung, welche Auswirkungen ein nicht bestandskräftiger Bau- und Planfeststellungsbeschluss auf die Vergabereife hat.

§§ 7 Abs. 1 SektVO, § 2 Abs. 5 VOB/A

Leitsatz

„[…] 2. Vergabereife ist vom Auftraggeber in jedem Vergabeverfahren vor der Ausschreibung herzustellen, gleichviel, welchem Rechtsregime das Verfahren unterliegt (hier Sektorenauftragsvergabe).

3. Zur Vergabereife zählen eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung, aber auch, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für einen fristgemäßen Beginn der Ausführung vom Auftraggeber geschaffen worden sind (hier: sofort vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss). […]“

Sachverhalt

Anfang März 2013 schreibt eine der Deutschen Bahn angehörige Vergabestelle im Rahmen eines offenen Verfahrens nach den Vorschriften der Sektorenverordnung (SektVO) die Vergabe von zahlreichen Bauleistungen zum dreigleisigen Ausbau der Bahnstrecke Freilassing – Salzburg aus. Der für den Ausbau der Bahnstrecke notwendige Planfeststellungsbeschluss gem. § 18 AEG liegt zum Zeitpunkt der Bekanntmachung noch nicht vor. Dieser ergeht erst ca. einen Monat später (noch vor Ablauf der Angebotsfrist) am 9. April 2013, ohne allerdings in Bestandskraft zu erwachsen, da über hiergegen eingelegte Rechtsbehelfe noch nicht abschließend entschieden wurde. Da zunächst keines der Angebote als wertungsfähig beurteilt wird, fordert der Auftraggeber im Mai – also nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses – noch einmal zur Abgabe von Angeboten auf.

Ein unterlegener Bieter leitet im Juni 2013 nach vorangegangener Rüge ein Nachprüfungsverfahren ein und macht unter anderem die fehlende Vergabereife des Auftrags geltend.

Die Entscheidung

Der Bieter hat mit dem Vorbringen mangelnder Vergabereife keinen Erfolg (ist im Ergebnis aber aus anderen Gründen erfolgreich).

Bevor sich das OLG mit den Tatbestandsmerkmalen der Vergabereife auseinandersetzt, wirft es die Frage auf, ob die Voraussetzung der Vergabereife auch für Verfahren nach der SektVO gilt. Anders als die VOB/A enthält nämlich die SektVO keine klare Regelung, an die diese Voraussetzung geknüpft werden könnte. Demgegenüber heißt es in § 2 Abs. 5 VOB/A, dass der Auftraggeber erst ausschreiben soll, wenn erstens „alle Vergabeunterlagen fertig gestellt sind“ und wenn zweitens „innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann„. Das OLG Düsseldorf erklärt aber im Ergebnis die Vorrausetzung der Vergabereife auch auf Vergabeverfahren nach der SektVO für anwendbar. Vergabereife kennzeichne der Sache nach einen Umstand, „der vom Auftraggeber in jedem Vergabeverfahren vor der Ausschreibung (Bekanntmachung) herzustellen ist, gleichviel, welchem Rechtsregime das Verfahren unterliegt und ob die jeweilige Verfahrensordnung […] dies ausdrücklich bestimmt.“ Damit macht das OLG Düsseldorf deutlich, dass Vergabereife vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung vorliegen muss.

Das OLG befasst sich sodann mit den Voraussetzungen der Vergabereife. Im Hinblick auf das erste Tatbestandsmerkmal der Fertigstellung aller Vergabeunterlagen führt das Gericht aus, dass zu diesen Unterlagen auch die Leistungsbeschreibung gehört. In der Leistungsbeschreibung – das ergibt sich im Übrigen auch aus § 7 Abs. 1 SektVO – sei die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinn verstehen müssen und ihre Preise ohne umfangreiche Vorarbeiten berechnen können, so dass vergleichbare Angebote zu erwarten seien.

Im Hinblick auf das zweite Tatbestandsmerkmal des Beginns der Arbeiten innerhalb der angegebenen Fristen führt das OLG Düsseldorf aus, dass „die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an den Beginn der Leistungsausführung gegeben“ sein müssen. Dazu gehöre zum Beispiel eine gesicherte Finanzierung. Darüber hinaus müsse der Auftraggebervor der Ausschreibung […] alle rechtlichen – gleichviel ob privat- oder öffentlich-rechtlichen – Voraussetzungen dafür schaffen, dass mit den ausgeschriebenen Leistungen innerhalb der in den Vergabeunterlagen angegebenen Fristen begonnen werden kann.

Das Erfordernis der Vergabereife diene vor allem dem Schutz der am Auftrag interessierten Unternehmen. Danach sollen Bieter darauf vertrauen dürfen, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren zulässigerweise mit einem Zuschlag beenden kann und wird. Dies müsse innerhalb der überschaubaren zeitlichen Fristen geschehen können, die für den Zuschlag in Vergabeverfahren im Allgemeinen zu gelten haben.

Das OLG sieht die zuvor aufgestellten Voraussetzungen der Vergabereife als erfüllt an. So sei schon eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung vom Beschwerdeführer nicht bestritten worden. Im Hinblick auf das Merkmal, wonach die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an den Beginn der Leistungsausführung gegeben sein müssen, stellt das OLG Düsseldorf lediglich fest: „Im vorliegenden Fall ist Vergabereife zu bejahen. Die Vergabestelle hat sich bei der Ausschreibung auf die vorliegende Planfeststellung des Eisenbahn-Bundesamts vom 9. April 2013 gestützt.“ Abschließend verneint das OLG Düsseldorf die Frage, ob die noch ausstehende Bestandskraft des Bau- und Planfeststellungsbeschlusses die Vergabereife beeinträchtigt. Es komme nicht auf die Erfolgsaussichten hiergegen eingelegter Rechtsbehelfe an. Es reiche aus, dass der Beschluss sofort vollziehbar sei und durch die ausgeschriebenen Leistungen umgesetzt werden dürfe. Das Gericht entscheidet sich also gegen einen Inzidentprozess über die Rechtmäßigkeit von Planfeststellungsentscheidungen. Die Überprüfung eines solchen Beschlusses sei nämlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht komplex gelagert und sei deshalb nicht ohne Grund den Verwaltungsgerichten übertragen.Deutsches VergabenetzwerkRechtliche Würdigung

Die Bedeutung der Entscheidung des OLG Düsseldorf liegt darin, dass das Gericht den Grundsatz der Vergabereife ausdrücklich auf Vergabeverfahren nach der SektVO für anwendbar erklärt. Des Weiteren nimmt es – soweit ersichtlich – erstmals Stellung zu den Auswirkungen eines noch nicht bestandskräftigen, aber sofort vollziehbaren Bau- und Planfeststellungsbeschlusses auf die Vergabereife. Danach lässt die fehlende Bestandskraft eines solchen Beschlusses die Vergabereife unberührt.

Misslich ist allerdings, dass der Beschluss einen wichtigen Aspekt im Unklaren lässt. Das OLG fordert, dass der Auftraggeber vor(!) der Ausschreibung alle rechtlichen – explizit auch öffentlich-rechtlichen – Voraussetzungen für den Beginn der Leistungserbringung innerhalb der Verfahrensfristen schaffen muss. „Vor der Ausschreibung“ impliziert dabei einen Zeitpunkt noch vor der Veröffentlichung einer Bekanntmachung, da die Vergabestelle vorliegend die Ausschreibung spätestens mit der Veröffentlichung als einer nach außen gerichtete Maßnahme zur Ermittlung eines Auftragnehmers begonnen hat (vgl. zum materiellen Verständnis zum Beginn eines Vergabeverfahrens: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 01.08.2012 – Verg 10/12). Im vorliegenden Fall war der Planfeststellungsbeschluss jedoch erst nach der Bekanntmachung ergangen; das Verfahren wurde also schon begonnen, bevor alle öffentlich-rechtlichen Genehmigungen vorlagen.

Diese zeitliche Abfolge hatte die zuvor befasste VK Bund (Beschl. v. 19.07.2013 – VK 1-54/13) explizit unter dem Gesichtspunkt der Vergabereife geprüft. Sie hatte jedoch unter Berufung auf ein früheres Urteil des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 17.11.2008, VII-Verg 52/08) entschieden, dass ein Auftraggeber seiner Verpflichtung zur Herstellung der Vergabereife dann nachkommt, „wenn er die Zulässigkeit des Beschaffungsvorhabens unter allen bei der Vorbereitung erkennbaren Gesichtspunkten überprüft und dem Prüfungsergebnis angemessen Rechnung getragen hat.“ Ausreichend war für die VK Bund, dass die Vergabestelle „im Rahmen einer Prognose ermittelt hat, ob die erforderlichen Genehmigungsvoraussetzungen im Zeitpunkt des Baubeginns vorliegen werden„. Deswegen war es nach ihrer Ansicht unschädlich, dass der Beschluss noch nicht vorlag. Vielmehr bestätigte der später ergangene Beschluss die Prognose der Vergabestelle. Demnach kam es auch nicht auf die Bestandskraft der Planfeststellung an.

Was hat das OLG Düsseldorf also entschieden, wenn es – hier unterstellt – die zeitliche Abfolge nicht etwa verkannt hat? Ein Erklärungsversuch, der sich an frühere Rechtsprechung und an Stimmen in der juristischen Literatur anlehnt, liegt darin, dass das Gericht zunächst den Grundsatz formuliert, dass alle Genehmigungen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung vorzuliegen haben, Ausnahmen von diesem Grundsatz allerdings zulässig sind (vgl. hierzu z.B. auch die Beschlüsse des OLG Düsseldorf v. 17.11.2008, VII-Verg 52/08 und des OLG Celle v. 12.05.2005, 13 Verg 6/05). D.h., dass Genehmigungen auch erst später vorliegen können, ohne dass die Vergabereife eines Verfahrens beeinträchtigt wird, im vorliegenden Verfahren z.B. zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe der zweiten Angebote. Ob dieser Zeitpunkt sogar noch später hätte liegen können, hat das OLG Düsseldorf in diesem Beschluss nicht entschieden. Demgegenüber hat die VK Bund in ihrer Entscheidung ein weites Verständnis gezeigt, indem sie den Zeitpunkt des Baubeginns für das Vorliegen der Genehmigungen als maßgeblich und bis dahin eine Prognose für ausreichend hält. Das dürfte den Bedürfnissen der Auftraggeber in der täglichen Vergabepraxis Rechnung tragen, denn insbesondere bei komplexen und dadurch langwierigen Vergabeverfahren könnte ein Abwarten aller Genehmigungen den Verfahrensgang „in nicht mehr zumutbarer Weise“ behindern, wie die VK Bund überzeugend ausführt.

Deutsches VergabenetzwerkPraxistipp

Um die Vergabereife eines Auftrags herbeizuführen, sollte der Auftraggeber grundsätzlich alle öffentlich-rechtlichen Genehmigungen für die Auftragsausführung einholen. Es spielt allerdings keine Rolle, wenn einem Bau- und Planfeststellungsbeschlusses noch die Bestandskraft fehlt, sofern er sofort vollziehbar ist.

Weiter müssen diese Genehmigungen grundsätzlich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung vorliegen. Allerdings kann es zulässig sein, dass Genehmigungen auch erst zu einem späteren Zeitpunkt erteilt werden. Maßgeblich sind dabei zum einen die Gründe, warum ein Abwarten der Genehmigungserteilung nicht möglich ist (z.B., dass das Vergabeverfahren äußerst komplex und langwierig ist) und zum anderen die Frage, ob der Auftraggeber die Gründe transparent den Bietern mitgeteilt hat, so dass diese sich darauf einstellen können. Beides ist in jedem Falle im Vergabevermerk nachvollziehbar zu begründen.

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Über Dr. Georg Queisner

Der Autor, Herr Dr. Georg Queisner, ist als Rechtsanwalt in der internationalen Kanzlei PWC Legal in Berlin tätig. Er berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Darüber hinaus publiziert Herr Queisner regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Er ist Mitglied der Regionalgruppe Berlin/Brandenburg des DVNW.

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