Am 15.01.2014 hat das EU-Parlament die neuen Richtlinien für das öffentliche Beschaffungswesen angenommen. Verabschiedet wurden insgesamt drei neue Richtlinien, die die bisherigen EU-Vergaberichtlinien ersetzen werden – die “klassische” Vergaberichtlinie (bisher RL 2004/18/EG), die Richtlinie für Sektorenvergaben (bisher RL 2004/17/EG) und die Konzessionsrichtlinie (kein Vorgänger). Für all jene, die wirklich an eine Vereinfachung geglaubt haben, sei bereits vorweggenommen: Die Richtlinien werden nicht etwa übersichtlicher oder kürzer, sondern differenzierter und länger. So bringt es allein die allgemeine Vergaberichtlinie auf 598 Seiten, während ihre Vorgängerin noch mit 127 Seiten auskam! Diese Richtlinie wird, wie bisher, die größte Bedeutung erlangen. Grund genug, ein wenig Ordnung in den neuen Vorschriften-Dschungel zu bringen. Im ersten Teil des Beitrags ein Überblick über 5 der 10 wichtigsten Neuerungen:
1. In-House-Geschäfte – Artikel 12
Die Anforderungen an vergaberechtsfreie In-House-Geschäfte werden nun erstmals europaweit gesetzlich geregelt. Im Wesentlichen übernimmt die Richtlinie die in den vergangenen 25 Jahren seit der „Teckal“-Entscheidung (18.11.1999, Rs. C-107/98) herausgebildete Rechtsprechung des EuGH.
Neu ist allerdings, dass auch bisher ungeklärte In-House-Fälle ausdrücklich für ausschreibungsfrei erklärt werden, nämlich:
· Aufträge zwischen Tochtergesellschaften verschiedener Auftraggeber
· Aufträge zwischen Enkelgesellschaften verschiedener Auftraggeber
· Aufträge von Tochtergesellschaften an die beherrschende Muttergesellschaft (sog. „Bottom-Up-Vergabe“).
Außerdem ist – entgegen der bisherigen strengen Rechtsprechung des EuGH – eine private Beteiligung an dem Auftragnehmer nicht mehr schädlich, wenn mit ihr keine Einflussmöglichkeit verbunden ist. Diese Ausnahme betrifft private Pflichtmitglieder von Zweck- oder Abwasserverbänden, die es in Deutschland häufig gibt.
Schließlich enthält die Richtlinie erstmals Hinweise zur Berechnung des Drittgeschäfts, das künftig bis zu 20 % (bisher: 10 %) des Umsatzes ausmachen darf.
2. Interkommunale Kooperationen – Artikel 12
Erstmals werden auch die Voraussetzungen für Interkommunalen Kooperationen gesetzlich geregelt. Auch hier übernimmt die Richtlinie im Wesentlichen die folgenden von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien:
· es muss sich um die Erfüllung allen Beteiligten gemeinsam obliegenden Aufgabe handeln
· es dürfen keine Privaten an der Kooperation beteiligt sein
· die Zusammenarbeit wird ausschließlich durch Überlegungen des öffentlichen Interesses bestimmt
Außerdem ist erforderlich, dass die beteiligten Auftraggeber weniger als 20 % der Kooperationstätigkeit am Markt erbringen.
In Artikel 12 nicht ausdrücklich erwähnt ist die vierte vom EuGH in der „Lecce“-Entscheidung genannte Voraussetzung (19.12.2012, Rs. C-159/11), wonach kein privater Dienstleistungserbringer durch die Kooperation besser gestellt wird. Dies dürfte aber keine Auswirkungen haben, denn in Erwägungsgrund (32) der Richtlinie wird dieser Punkt – etwas unglücklich versteckt – wieder aufgegriffen.
3. Neues Verfahren „Innovationspartnerschaft“ – Artikel 31
Mit der Innovationspartnerschaft nach Artikel 31 der Richtlinie tritt ein neues Vergabeverfahren zu den bisher bekannten Verfahren hinzu. Eine Innovationspartnerschaft betrifft die Entwicklung innovativer Produkte oder Dienst-/Bauleistungen für Anforderungen, die von den bereits vorhandenen Lösungen nicht erfüllt werden können. Das Verfahren ist zweistufig ausgestaltet und beginnt – wie Nichtoffene und Verhandlungsverfahren sowie Wettbewerbliche Dialoge – mit einer vorgeschalteten Eignungsprüfung, bei der mindestens drei Bewerber ausgewählt werden müssen (Art. 65 der Richtlinie).
Das neue Verfahren soll Auftraggebern ermöglichen, mit einer Ausschreibung ein bestimmtes Problem anzugehen, ohne Lösungen vorzugreifen, und so sich und den Bietern Spielraum für die Entwicklung gemeinsamer Initiativen lassen. Sie erinnert an den Wettbewerblichen Dialog und dürfte damit eher die Ausnahme bleiben.
4. Gebot der Losvergabe – Artikel 46
Das Gebot der Losvergabe wird erstmals EU-weit geregelt.
Die Richtlinie unterscheidet in Artikel 46 zwischen zwei möglichen Wegen: Entweder gibt der Auftraggeber vor, dass Bieter nur für eine bestimmte Anzahl von Losen Angebote einreichen dürfen („Angebotslimitierung“). Oder aber die Bieter dürfen für eine unbegrenzte Anzahl von Losen Angebote einreichen, können jedoch nur für eine vorab festgelegte Höchstzahl von Angeboten den Zuschlag erhalten („Zuschlagslimitierung“). Dem Wortlaut nach stehen beide Alternative gleichberechtigt nebeneinander. Damit entspricht die Richtlinie im Wesentlichen der bisherigen nationalen Rechtsprechung zu den Arten der losweisen Vergabe (vgl. Soudry, Vergabeblog vom 16.01.2013).
Ein Hinweis zur Dokumentation findet sich in Artikel 46 Abs. 1 UAbs. 2 (und auch an anderen Stellen): Danach müssen Auftraggeber beim Absehen von einer Losvergabe lediglich die „wichtigsten“ Gründe für ihre Entscheidung angeben. Demgegenüber spricht der derzeit geltende § 24 Abs. 2 lit. h) EG VOL/A allgemeiner von den „Gründen“. Es darf allerdings vermutet werden, dass diese Feinheit keine größeren Auswirkungen zeitigt und all diejenigen Entscheidungen, die vom gesetzlichen Regelfall abweichen, weiter wie bisher zu dokumentieren sind. Zudem erlaubt die deutsche Rechtsprechung in laufenden Vergabenachprüfungsverfahren ein Nachschieben von Gründen (vgl. OLG Düsseldorf, 26.11.2008, VII-Verg 54/08) Etwaige Fehler dürften sich daher selten auswirken.
5. Bietereignung – Artikel 57 ff.
Die Eignungsprüfung soll vereinfacht werden.
Wie bisher enthält Art. 57 der neuen Richtlinie zwingende und fakultative Ausschlussgründe. Letztere erfordern eine Einzelfallprüfung. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung muss einem betroffenen Bieter vor seinem Ausschluss jedoch immer die Möglichkeit gegeben werden, seine Eignung nachzuweisen. Erstmals ausdrücklich geregelt: Der Ausschluss von Unternehmen, die bei früheren Aufträgen durch erhebliche Schlechtleistungen aufgefallen sind (Artikel 57 Abs. 4 lit. g)).
Artikel 58 stellt im Einklang mit der europäischen und deutschen Rechtsprechung klar, dass jegliche Eignungsnachweise
· zweckmäßig sein,
· in einem sachlichen Zusammenhang mit dem konkreten Auftrag stehen und
· in einem angemessenen Verhältnis zu dem Auftragsgegenstand stehen müssen.
Zwar ist die Anforderung eines Mindestumsatzes, wie bisher, zulässig, um die Eignung überprüfen zu können. Dieser darf jedoch höchstens das Zweifache des Umsatzes des auszuschreibenden Auftrages betragen. Nur in besonderen Ausnahmefällen darf ein höherer Umsatz gefordert werden. Das ist etwa bei besonders hohen Risiken im Zusammenhang mit dem Auftrag der Fall.
Eine Vereinfachung erhofft sich der EU-Gesetzgeber von der Einführung einer „Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung“ (Art. 59 der Richtlinie). Mithilfe eines elektronischen Standardformulars können Bieter die Erklärung abgeben. Die Vorlage weiterer Nachweise und Erklärung verlangt der Auftraggeber im Regelfall dann nur noch von dem Unternehmen an, das er für den Zuschlag in Aussicht genommen hat.
Im zweiten Teil des Beitrags lesen Sie unter anderem über
· die Zuschlagskriterien
· den Umgang mit ungewöhnlich niedrigen Angeboten und
· Vertragsänderungen.
Dr. Daniel Soudry, LL.M.
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
Schreibe einen Kommentar