Wann ein Auftraggeber nachfordern und aufklären darf, gehört zu den praxisrelevantesten Fragen des Vergaberechts. Das OLG Dresden (Beschluss vom 17.01.2014; AZ.: Verg 7/13) scheint die bislang eher strenge Rechtsprechung in Bezug auf Nachforderungen bei körperlich vorliegenden Referenzen etwas abzuschwächen.
§ 13 Abs. 1 Nr. 4 EG VOB/A, § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 EG VOB/A
Leitsatz (nicht amtlich)
Sachverhalt
Bei einer europaweiten Ausschreibung im offenen Verfahren nach VOB/A bestimmte die europaweite Bekanntmachung, dass für den Nachweis der Eignung entweder eine Eintragung in das Präqualifikationsverzeichnis oder aber eine Eigenerklärung gemäß Formblatt 124 erforderlich war. Mit diesem Formblatt musste der Bieter unter anderem die Erklärung abgeben, dass er in den letzten 3 Geschäftsjahren vergleichbare Leistungen ausgeführt habe. Wenn ein nicht präqualifizierter Bieter in die engere Wahl kam, musste er diesem Formblatt zufolge Referenzbescheinigungen mit bestimmten Angaben in Bezug auf 3 Referenzen vorlegen. Aus der Bekanntmachung ergab sich, dass diese Bescheinigungen erst auf Anforderung des Auftraggebers innerhalb von 6 Kalendertagen vorzulegen waren.
Der im Ergebnis erfolgreiche Bieter legte bereits mit seinem Angebot drei Referenzen vor. Der Auftraggeber forderte ihn daraufhin u.a. zu ergänzende Angaben zu den vorgelegten Referenzen und zur Vorlage einer so bezeichneten dritten Referenz binnen einer Frist von 6 Tagen auf, welche das Unternehmen auch fristgemäß einreichte.
Ein unterlegener Wettbewerber griff die anschließende Vergabeentscheidung an und machte insbesondere geltend, dass der ausgewählte Bieter noch nicht drei Jahre am Markt tätig sei und in der Vergangenheit keine vergleichbaren Leistungen erbracht habe. Nachdem die Vergabekammer bestätigte, dass nur zwei und nicht wie gefordert drei der eingereichten Referenzen vergleichbar mit der ausgeschriebenen Leistung seien, argumentierte der Auftraggeber vor dem Oberlandesgericht unter anderem, dass der Bieter gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 EG VOB/A die unzureichende Referenz austauschen durfte. Zudem sei in Bezug auf fehlende Angaben eine Aufklärung zulässig gewesen. Wäre diese erfolgt, dann hätte auch sie ergeben, dass die bereits vorgelegte Referenz den Eignungsanforderungen entsprach
Die Entscheidung
In diesem Punkt gab das OLG Dresden dem Auftraggeber teilweise Recht. Im Ergebnis kam es darauf zwar nicht mehr an, es bestätigte im vorliegenden Fall aber die grundsätzliche Möglichkeit der Nachforderung in Bezug auf die vorgelegten Referenzen.
Rechtliche Würdigung
Nachforderungsanspruch auch bei Unterlagen, die erst auf Aufforderung vorzulegen sind
Das Gericht erklärte, dass eine Nachforderung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 EG VOB/A nicht nur auf Erklärungen und Nachweise Anwendung findet, die bereits mit dem Angebot vorzulegen sind, sondern grundsätzlich auch auf solche, die erst auf Anforderung vorzulegen sind. Grundsätzlich also bestand im vorliegenden Fall nach unaufgeforderter Einreichung der Referenzen immer noch ein Anspruch auf Nachforderung.
Nachforderung bei fehlenden Referenzangaben zulässig
Eine Nachforderung sei darüber hinaus nicht nur dann zulässig, wenn Referenzen ganz fehlten oder formal fehlerhaft eingereicht worden seien. Vielmehr sei eine Nachforderung auch bei inhaltlichen Unzulänglichkeiten möglich, die in ihrer Qualität einem formellen Mangel gleichkommen. Das OLG Dresden bejahte dies allgemein in Bezug auf fehlende Typen- und Fabrikatsangaben sowie in Bezug auf die im vorliegenden Fall als fehlend angesehene Bestätigung der Art der Gebläseeinheiten.
Nachforderung einer neuen Referenz?
Im Ergebnis wirkte sich dies jedoch nicht aus, da das OLG Dresden anders als die Vergabekammer nur eine der eingereichten Referenzen als vergleichbar mit den ausgeschriebenen Leistungen ansah, nämlich die nachgereichte Referenz. Das Gericht bestätigte insoweit zwar nicht ausdrücklich, dass der Auftraggeber im vorliegenden Fall eine weitere Referenz als dritte Referenz nachfordern durfte, obwohl bereits Referenzbescheinigungen über drei Referenzen physisch vorlagen. Andererseits bezog es die nachgereichte Referenz in die Prüfung der Vergleichbarkeit ein, was bei einer unwirksamen Nachforderung inkonsequent wäre.
Einordnung der Entscheidung
Das OLG Dresden scheint in dieser Entscheidung eine großzügigere Linie zu verfolgen als zuvor andere Vergabekammern und Senate.
Bislang galt als Richtschnur: Nachgefordert wird nur, was fehlt und es fehlt nur, was entweder gar nicht vorliegt oder formal fehlerhaft ist. Formal fehlerhaft waren Erklärungen oder Nachweise zwar auch bislang schon, wenn sie unvollständig waren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2011, AZ.: VII Verg 56/10). Damit waren bislang aber keine sachlich fehlenden Informationen gemeint, die sich erst im Rahmen einer inhaltlichen Prüfung zeigen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 14.01.2014, AZ.:13 Verg 11/13). Die Nachforderung sollte gerade keine inhaltliche Nachbesserung von Referenzen ermöglichen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2012, AZ.: Verg 108/11). Dies entspricht auch der Linie des Europäischen Gerichtshofs, der eine Nachforderung in Bezug auf Dokumente zugelassen hat, die bereits bei Angebotsabgabe vorliegen (EuGH, Urteil vom 10.10.2013, AZ.: Rs. C-336/12). Bei körperlich vorliegenden, aber inhaltlich nicht ausreichenden Referenzangaben hat das OLG Celle daher eine Nachforderung abgelehnt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24.04.2014, AZ.: 13 Verg 2/14).
Die Differenzierung des OLG Dresden zwischen verschiedenen Arten der inhaltlichen Unzulänglichkeit ist insoweit neu. Eine genaue Definition der Mängel, die formellen Mängeln gleichkommen, enthält die Entscheidung aber leider nicht. Der Verweis auf Typen- und Fabrikatsangaben könnte auf formularmäßig geforderte Angaben hindeuten. Andererseits würde dies in Bezug auf diese Definition ebenfalls beispielhaft genannte Bestätigung der in Rede stehenden Gebläseeinheiten wohl nicht zutreffen. Wie weit der eröffnete Spielraum tatsächlich reicht, bleibt daher offen.
Praxistipp
Grundsätzlich ist die großzügige Tendenz der Entscheidung zu begrüßen. In vielen Fällen ist es schwer, die Grenzlinie zwischen formaler und inhaltlicher Unvollständigkeit trennscharf zu ziehen. Dennoch ist die Entscheidung mit Vorsicht zu genießen. Insbesondere wird man aus ihr nicht herauslesen können, dass bei fehlenden Angaben eine vollständig neue Referenz nachgefordert werden darf. Dies schon deswegen, weil sich die Wertung der nachgereichten Referenz im entschiedenen Fall auf das Entscheidungsergebnis nicht auswirkte. Es ist darum davon auszugehen, dass das Verbot der inhaltlichen Nachbesserung von Referenzen nach wie vor gilt und der Nachforderung Grenzen setzt.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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