Wer Schadensersatz leisten muss, hat den Geschädigten so zu stellen, als wenn es nicht zu dem Schaden gekommen wäre. Beim Erfüllungsinteresse sind dies entgangener Gewinn, Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten.
Ausschreibungen können bei Vorliegen eines sachlichen Grundes immer aufgehoben werden. Liegen die Voraussetzungen des § 17 (EG) Abs. 1 VOB/A vor, bleibt die Aufhebung für den Auftraggeber sogar folgenlos. Andernfalls schuldet er dem Bieter Schadensersatz. Kann der Bieter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass er bei ordnungsgemäß durchgeführtem Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hätte, schuldet der Auftraggeber sogar Schadensersatz in Höhe des Erfüllungsinteresses. Das ist der Gewinn, aber auch der nicht realisierte Deckungskostenbeitrag für Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten.
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2; VOB/A 2006 § 26 Nr. 1 b, c
Sachverhalt
Der Auftraggeber hebt eine Ausschreibung auf, weil er den Abschluss einer notwendigen Baudurchführungsvereinbarung mit der Deutschen Bahn übersehen hat. Nachdem diese Baudurchführungsvereinbarung zustande gekommen ist, erfolgt eine zweite, inhaltsgleiche Ausschreibung.Der Bieter, der in der ersten Ausschreibung das günstigste Angebot abgegeben hat, kommt bei der zweiten Ausschreibung nicht zum Zug. Er klagt nun auf Schadensersatz einschließlich Wagnis/Gewinn und Allgemeiner Geschäftskosten, weil er in der laufenden Saison keinen Ersatzauftrag mehr akquirieren konnte.
Die Entscheidung
Das OLG gibt dem Kläger Recht. Die Aufhebung der Ausschreibung war erforderlich, weil der Auftraggeber die für die Erbringung der Leistung notwendige Baudurchführungsvereinbarung nicht abgeschlossen hat. Mit der Wiederholungsausschreibung hat er klargestellt, dass an der Beauftragung weiterhin ein Interesse besteht. Die unterbliebene Herbeiführung der Baudurchführungsverordnung stellt eine schuldhafte Verletzung des durch die Ausschreibung begründeten Vertrauenstatbestandes dar. Die Aufhebung der Ausschreibung wegen der fehlenden Baudurchführungsvereinbarung ist vergaberechtlich nicht gerechtfertigt. Da der Bieter bei ordnungsgemäßem Vergabeverfahren mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Zuschlag erhalten hätte und die Maßnahme unverändert durchgeführt werden soll, haftet der Auftraggeber auf Schadensersatz in Höhe des Erfüllungsinteresses.
Zum Erfüllungsinteresse gehören nicht nur der entgangenen Gewinn, sondern auch die kalkulierten Deckungsbeiträge für Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten.
Rechtliche Würdigung
Das Vergabeverfahren war wegen der nicht abgeschlossenen Baudurchführungsvereinbarung nicht vergabereif (§ 2 EG Abs. 5 VOB/A, so dass dem OLG Saarbrücken darin zugestimmt werden kann, dass für die Aufhebung der Ausschreibung kein rechtfertigender Grund vorlag. Auch die Haftung auf das Erfüllungsinteresse wird man bei der gegebenen Sachlage bejahen müssen. Zutreffend ist zudem die Auffassung, dass neben dem entgangenen Gewinn auch die Deckungsbeiträge für Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten ersatzfähige Schadensersatzpositionen im Rahmen des Erfüllungsinteresses sind. Letzterer deshalb, weil der Bieter im aktuellen Kalkulationszeitraum keinen Ersatzauftrag akquirieren konnte.
Zu weitgehend ist allerdings die Auffassung des OLG Saarbrücken, dass der Auftraggeber nur dann auf Schadensersatz haftet, wenn der Bieter auf die Einhaltung der Vergaberegeln durch den Auftraggeber vertraut hat und der Auftraggeber den Vergaberechtsverstoß zu vertreten hat. Von diesen Voraussetzungen haben sich BGH (Urteil vom 9.6.2011 – X-ZR 143/10) und EuGH (Urteil vom 30.9.2010 – Rs. C-314/09) bereits verabschiedet. Ihnen stehen das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und die Rechtsmittelkoordinierungsrichtlinie der EU entgegen.
Praxistipp
Der Bieter hat es ordnungsgemäß kalkuliert. Seine Angebotskalkulation wies Posten für Wagnis und Allgemeine Geschäftskosten ausdrücklich aus. Auch wenn die Gesamtkalkulation im Prozess von einem Sachverständigen bestätigt werden musste, eine richtige Vorgehensweise.
Oliver Weihrauch arbeitet seit 1995 als Rechtsanwalt, Referent und Autor im Bereich des Vergaberechts. Als of counsel in der Sozietät caspers mock Anwälte berät und vertritt er von Bonn aus bundesweit Auftraggeber und Bieter in Vergabeverfahren und Nachprüfungsverfahren. Im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) ist er im Vorstand der Regionalgruppe Köln|Bonn|Koblenz.
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