Vergabeblog

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Liefer- & Dienstleistungen

Der Angebotspreis eines Auftragnehmers aus einem abgeschlossenen Vergabeverfahren ist kein Geschäftsgeheimnis (VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 14.07.2014 – 1 VK 25/14)

EntscheidungBewirbt sich ein Auftragnehmer im Anschluss an ein abgeschlossenes Vergabeverfahren um einen Nachfolgeauftrag muss er jedenfalls bei europaweiter Ausschreibung davon ausgehen, dass sein Vertragspreis am Markt bekannt ist oder bekannt gemacht werden kann.

Niemand verliert gerne einen Wettbewerbsvorteil. Und wer einmal einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag gewonnen hat, möchte auch den Nachfolgeauftrag erhalten. Idealerweise zum besseren Preis. Darum ist es nur verständlich, wenn ein Bieter sich dagegen wehrt, dass der Auftraggeber seinen Vertragspreis aus dem abgeschlossenen Verfahren den Wettbewerbern im aktuellen Vergabeverfahren mitteilt. Denn diese wissen nun, welchen Preis sie unterbieten müssen. Mit der Frage, ob dieses eine schwerwiegenden Vergabefehler darstellt, hat sich die Vergabekammer Baden-Württemberg in einer aktuellen Entscheidung beschäftigt.

VOL/A 2009 § 17 EG Abs. 3, § 20 EG Abs. 1 d

Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber schreibt in vier Losen Entwässern und Entsorgung von Klärschlamm europaweit im offenen Verfahren aus. Der Angebotspreis geht mit 90 % in die Wertung ein.

Ein Bieter ist bisheriger Auftragnehmer des Loses 2 und bewirbt sich auch in der aktuellen Ausschreibung auf alle vier Lose. Er rügt, dass den Wettbewerbern seine Preise aus dem bestehenden Auftrag mitgeteilt wurden. Der Auftraggeber hält dem entgegen, dass sich die Leistungen unterscheiden und dass die Weitergabe von Preisen aus einem abgeschlossenen Vergabeverfahren keinen Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht im aktuellen Vergabeverfahren darstellen können.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hält den Nachprüfungsantrag für offensichtlich unbegründet und lehnt im Ergebnis die beantragte Aufhebung der Ausschreibung ab.

Zwar handelt es sich bei der Mitteilung der Kalkulation des Mieters aus dem vorhergehenden Verfahren um einen gewichtigen Fehler, der bei sorgfältigen Arbeiten der Vergabestelle nicht passieren durfte. In der Auftraggeber hat eine ungleiche Informationsbasis geschaffen. Dieser Fehler ist jedoch nicht so gewichtig, dass er einen schwerwiegenden Grund für eine Aufhebung des Vergabeverfahren darstellt denn es wurde nicht die aktuellen Angebotspreise im laufenden Vergabeverfahren an die Wettbewerber weitergegeben, sondern nur die früheren Angebotspreise aus einem bereits abgeschlossenen Vergabeverfahren. Die Vergabekammer hält es nicht für zwingend, dass die Antragstellerin in allen Verfahren, bei denen es um die Entsorgung von Klärschlamm geht, unabhängig von der Menge und dem Ort der Auftragsausführung, immer die gleiche Preiskalkulation anwendet. Zwar hätten die übrigen Bieter einen Informationsvorsprung. Dieser Informationsvorsprung beeinflusst den Wettbewerb jedoch nicht so entscheidend, dass die Preiskalkulation der Antragstellerin vorliegenden Verfahren für die übrigen Bieter zwingend vorhersehbar gewesen wäre.

Abgesehen davon wäre der Fehler auch durch eine Aufhebung der Ausschreibung nicht aus der Welt zu schaffen und durch keine anderen zulässigen und geeigneten Maßnahmen zu kompensieren. Der Auftraggeber kann und darf die ungleiche Informationsbasis nicht dadurch bereinigen, dass er der Antragstellerin die früheren Preise der übrigen Bieter mitteilt. Dies würde die weitere Verschlimmerung eines begangenen Fehlers bedeuten und als er das Vergabeverfahren nicht fördern, sondern noch weiter beeinträchtigen. Auch durch eine Aufhebung der Ausschreibung wäre der Fehler nicht aus der Welt zu schaffen und durch keine anderen zulässigen und geeigneten Maßnahmen zu kompensieren. Es wäre insbesondere keine Lösung, alle Bieter, welche durch das Versehen der Vergabestelle einen Wissensvorsprung erhalten haben, von dem weiteren Verfahren auszuschließen, wie es bei der etwas anders gelagerten Projektantenproblematik die ultima ratio ist.

Rechtliche Würdigung

1.Die Vergabekammer beruft sich in ihrer Entscheidung zu Unrecht auf einen Beschluss des OLG Karlsruhe vom 16.6.2010 (15 Verg 4/10). Zwar hat das OLG Karlsruhe tatsächlich entschieden, dass die Weitergabe von Daten aus einem beendeten Vergabeverfahren bestehenden Vertragsverhältnis keine Verletzung des Geheimwettbewerbs in einem vorliegenden aktuellen Vergabeverfahren darstellt. In dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Sachverhalt kam es aber erst nach Angebotsabgabe zu der Weitergabe dieser Daten. In einer Beschlussvorlage an den Kreistag nach Auswertung der Angebote waren auch die Preise des ursprünglichen Auftragnehmers enthalten. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe war richtig, weil hierdurch die Angebote der Wettbewerber nicht mehr beeinflusst werden konnten.

2. Ganz anders im vorliegenden Fall. Die Bieter stehen untereinander im Preiswettbewerb. Während der bisherige Auftragnehmer bestrebt sein wird seinen Preis zu verbessern, werden die Wettbewerber versuchen, den ihnen bekannten alten Preis zu unterbieten. Die Argumentation der Vergabekammer, dass der Verstoß nicht schwerwiegend sei, weil nicht sicher sei, ob der bisherige Auftragnehmer die Art und Weise seiner Kalkulation aus dem bestehenden Auftrag auch im aktuellen Vergabeverfahren über eine ähnliche Leistung anwendet, ist angesichts dieser Wettbewerbssituation lebensfremd. Das Ergebnis der Entscheidung der Vergabekammer ist nur vor dem Hintergrund verständlich, dass es keinen praktikablen Weg gibt, den Fehler im Vergabeverfahren zu korrigieren.

3. Mit dieser Begründung macht die Vergabekammer ihre im Ergebnis zutreffende Entscheidung angreifbar. Denn die Notwendigkeit, den angenommenen Fehler durch die lebensferne Argumentationen und gezwungen wirkende Begründungen für unbeachtlich zu erklären, ergibt sich daraus, dass die Vergabekammer – zu Unrecht von einem Vergabefehler ausgeht.
Sind die Preise der Wettbewerber einmal am Markt bekannt, ist der bisherige Auftragnehmer faktisch benachteiligt. Diese Benachteiligung stellt aber rechtlich keinen Vergabefehler dar. Sie ist das gewollte Ergebnis der Abwägung von Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz. Anders ist es nicht zu verstehen, dass die amtlichen Formulare zur Bekanntmachung über vergebene Aufträge die Angabe des endgültigen Gesamtauftragswertes, alternativ des niedrigsten und höchsten Angebotes, vorsehen. Zwar lässt es § 23 EG Abs. 1 Satz 2 VOL/A zu, dass bestimmte Angaben über die Auftragsvergabe nicht mitgeteilt werden, wenn die Weitergabe den fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen beeinträchtigen würde. Da aber gleichzeitig die Verwendung der die Preisangabe fordernden Standardformulare vorgeschrieben ist, kann die vorstehend zitierte Ausnahmeregelung nicht zum Regelfall (Nichtnennung des Gesamtpreises) werden. Die nachwirkende Geheimhaltungspflicht (§ 17 EG Abs. 3 VOL/A) wird durch die Transparenzpflicht (§ 23 EG Abs. 1 VOL/A) eingeschränkt.

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Praxistipp

Bieter müssen jedenfalls bei europaweiten Ausschreibungen davon ausgehen, dass im Zuschlagsfalle ihr Vertragspreis europaweit bekannt gemacht wird. Bei ihrer Kalkulation für den Nachfolgeauftrag sind sie gut beraten, wenn sie unterstellen, dass dieser Preis den Markt bekannt ist. Auftraggeber, die zu einer solchen Veröffentlichung verpflichtet sind, kann es nicht verwehrt werden, diese Information den konkurrierenden Bietern auch im aktuellen Vergabeverfahren mitzuteilen.

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Über Oliver Weihrauch

Oliver Weihrauch arbeitet seit 1995 als Rechtsanwalt, Referent und Autor im Bereich des Vergaberechts. Als of counsel in der Sozietät caspers mock Anwälte berät und vertritt er von Bonn aus bundesweit Auftraggeber und Bieter in Vergabeverfahren und Nachprüfungsverfahren. Im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) ist er im Vorstand der Regionalgruppe Köln|Bonn|Koblenz.

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