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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 23/11/2014 Nr. 20809

Mitmachen, nicht das beste Angebot abgeben und dennoch Recht bekommen zur Wahl der falschen Verfahrensart (OLG Celle, Beschl. v. 20.09.2014 – 13 Verg 9/14)

EntscheidungEin Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens setzt für seine Zulässigkeit jedenfalls nach den Vorgaben des GWB unter anderem die vorherige Rüge gegenüber dem Auftraggeber und die Antragsbefugnis voraus. Außerdem muss ein Nachprüfungsantrag den Antragsteller im Ergebnis auch in seinen Rechten verletzen. Das OLG Celle hat sich jüngst mit diesen Schranken intensiv beschäftigt und bemerkenswert hierzu ausgeführt, was zu einer Anmerkung auffordert.

§§ 101a, 101b, 107 Abs. 2, 107 Abs. 3 GWB, § 3 Abs. 4 lit. d VOL/A-EG

Sachverhalt

In einem ausdrücklich als beschleunigten Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb benannten Vergabeverfahren wollte ein Auftraggeber die Hauptmaschine für ein Küstenboot beschaffen. Er wandte sich direkt an drei ausgewählte Unternehmen und teilte in der Angebotsaufforderung des Weiteren mit, dass auf Grund der besonderen Dringlichkeit die Informationspflicht nach § 101a GWB entfalle. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Der preisgünstigste Bieter erhielt den Zuschlag (den günstigsten Preis hatte dieser Bieter übrigens schon nach der ersten Angebotsabgabe, d. h. vor den Verhandlungen, die mit allen Bietern stattfanden und wo im Anschluss erneut Angebote abgegeben werden durften).

Ein unterlegener Bieter erkannte aufgrund der abgelaufenen Zuschlagsfrist, dass er offenbar nicht für den Zuschlag vorgesehen war und erhob zunächst gegenüber dem Auftraggeber Einspruch gegen den Zuschlag und führte aus, dass das Angebot des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens nicht den Mindestanforderungen entspräche. Nach anwaltlicher Beratung rügte der unterlegene Bieter etwa eine Woche später zudem die angeblich falsche Wahl der Verfahrensart und den Verzicht auf die Vorabinformation. Der Auftraggeber wies alle Rügen zurück und wollte an der Beschaffung festhalten.

Der anschließende Nachprüfungsantrag des zurückgewiesenen Bieters hatte in der ersten Instanz zunächst keinen Erfolg. Die Vergabekammer wies den Antrag wegen Präklusion nach § 107 Abs. 3 GWB zurück. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Antragstellerin.

Die Entscheidung

Das OLG Celle hält die Beschwerde für zulässig und begründet. Der geschlossene Vertrag zwischen dem preisgünstigsten Bieter (und nunmehrigen Beigeladenen) und dem Auftraggeber wird vom Gericht nach § 101 b Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 GWB für unwirksam erklärt. Dem Auftraggeber wird aufgegeben, ein unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neues europaweites Vergabeverfahren durchzuführen.

Die Antragsbefugnis folgt nach dem OLG im Grunde schon aus der Rüge der falschen Verfahrensart, was eine bieterschützende Norm beträfe. Der im Rahmen des § 107 Abs. 2 GWB vorzuliegende bzw. drohende Schaden sei mit Bezug auf Rechtsprechung des BGH (Az. X ZB 8/09) auch hier nachgewiesen. Zwar habe sich im Vergleich zu der besagten BGH-Entscheidung die dem Verhandlungsverfahren innewohnende Möglichkeit einer Verschlechterung der Chancen nicht zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt. Es reiche jedoch nach der Rechtsprechung des BGH die abstrakte Gefahr einer Verschlechterung (zitiert wird auch der BGH in X ZB 14/06). Dies alles könne aber ohnehin offen bleiben, weil mit dieser Verfahrenswahl die weitere Entscheidung des Auftraggebers verbunden war, auf die Vorabinformation nach § 101a Abs. 2 GWB zu verzichten. Hierdurch sei es der Antragstellerin verwehrt geblieben, ihre Einwendungen vor der Zuschlagserteilung vorzutragen, was der Auftraggeber womöglich zu einem Umdenken gezwungen hätte.

Auch eine Präklusion wird vom OLG nicht angenommen. Der Fehler in Gestalt der falschen Wahl der Verfahrensart sei für die Antragstellerin nicht erkennbar gewesen. Die Beschaffung von Schiffsmaschinen für ein Polizeiboot könne durchaus dringend sein. Es könne offen bleiben, ob die Antragstellerin in Vergabeverfahren versiert sei, denn die Vergabeunterlagen hätten keine konkreten Anhaltspunkte für eine Rüge geliefert. Der Verstoß hätte sich aufdrängen müssen, was hier nicht der Fall gewesen sei. Gleiches gelte für die Rüge der Verletzung der ausgebliebenen Information nach § 101a GWB.

In der Sache sei Dringlichkeit i. S. d. § 3 Abs. 4 lit. d VOL/A-EG nicht gegeben. Akute Gefahrensituationen oder Vermeidung von Schäden für Leib und Leben seien nicht gegeben. Die vorhandene Aktenlage lasse jedenfalls nicht erkennen, dass die beschriebenen Umstände einer Dringlichkeit nicht vorhersehbar gewesen seien, etwa weil damit generell kein Einsatz eines Polizeiküstenboots gewährleistet hätte werden können (ob z. B. Ersatzdienste durch anderweitige Boote nicht in Frage gekommen wären). Eine Heilung des Verstoßes gegen die Informationspflicht komme nicht in Betracht, weil der Zuschlag hier schon erteilt worden sei.

Eine Rechtsverletzung sei in der Sache anzunehmen. Ob die Antragstellerin gegebenenfalls vom Verfahren hätte ausgeschlossen werden müssen, könne offen bleiben, weil wieder mit Bezug auf die BGH-Rechtsprechung eine Neuausschreibung anstehe.

Rechtliche Würdigung

In Nachprüfungsverfahren geht es um subjektiven Rechtsschutz. Gerade um Gerichte nicht unnötig zu beschäftigen, aber auch um Auftraggeber nicht mit ungerechtfertigten Verfahren zu behindern, wurden im vierten Teil des GWB Hürden für die Zulässigkeit und Begründetheit von Nachprüfungsanträgen formuliert. Zum einen die Antragsbefugnis, in der es im Wesentlichen um den Nachweis einer potentiellen Betroffenheit durch den behaupteten Verstoß geht. Zum anderen die Rügeobliegenheit, die es dem Auftraggeber ermöglichen soll, gegebenenfalls vorhandene Fehler zu korrigieren. Im Übrigen setzt eine Entscheidung in der Sache immer voraus, dass sich der festzustellende Verstoß zu Lasten des Antragstellers ausgewirkt hat. Die meisten dieser Hürden hat das OLG Celle jedenfalls im Ergebnis zu Unrecht fallen gelassen.

Antragsbefugnis

Die Antragsbefugnis wird vielfach (und zu Unrecht) wegen der vom OLG Celle zitierten BGH-Rechtsprechung nicht mehr richtig wahrgenommen. Der BGH selbst bezieht sich in seiner vom OLG zitierten Rechtsprechung auf eine Entscheidung des BVerfG aus 2004 (NZBau 2004, 1224). Das BVerfG wiederum hatte zunächst den Obersatz gebildet, dass die Antragsbefugnis anzunehmen ist, wenn der Bieter vor Stellung des Antrags am Verfahren teilgenommen und einen Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat. Ohne ordnungsgemäße Rüge also schon keine Antragsbefugnis. Jedenfalls müsse der nachzuweisende Schaden zumindest darin bestehen, dass sich durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß die Aussichten des Antragstellers verschlechtert könnten. Entscheidend sei die Eignung der gerügten Vergabeverstöße für eine Chancenbeeinträchtigung. Diese Vorgaben hatte der BGH in der Entscheidung X ZB 8/09 aufgenommen und für den Fall der falschen Wahl der Verfahrensart herausgearbeitet, dass bei einem statt eines Offenen Verfahrens zu Unrecht gewählten Verhandlungsverfahren die Möglichkeit eines Unterbietens durch einen anderen Bieter drohe und die Chancenbeeinträchtigung anzunehmen sei. Der BGH prüfte somit im Einzelfall konkret mit Blick auf die Entscheidung des BVerfG die Eignung des Verstoßes für eine Chancenbeeinträchtigung.

Das OLG Celle hat nun mit Blick auf die Entscheidung des BGH in der Rechtssache X ZB 8/09 selbst festgestellt, dass sich diese dem Verhandlungsverfahren innewohnende Möglichkeit nicht zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt habe, denn das Angebot der Beigeladenen habe von Anfang an einen günstigeren Preis ausgewiesen. Dies sei aber irrelevant. Denn angeblich reiche laut BGH die abstrakte Gefahr der Verschlechterung einer Bieterposition aus. Das aber hat der BGH weder in seiner Entscheidung X ZB 8/09 noch X ZB 14/06 ausgeführt, im Gegenteil: Die vergleichbare Entscheidung X ZB 8/09 belegt, dass der BGH im Einklang mit der besagten Entscheidung des BVerfG im Einzelfall die Eignung der gerügten Vergabeverstöße betreffend der Wahl der Verfahrensart für eine Chancenbeeinträchtigung prüft. Insofern liegt das OLG Celle falsch, wenn es den nachzuweisenden (potentiellen) Schaden und damit die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB im zugrundliegenden Fall bejaht.

Richtig war es im Ergebnis gleichwohl, die Antragsbefugnis insgesamt anzunehmen, weil die ausgebliebene Information nach § 101a Abs. 2 GWB der Antragstellerin das Recht nahm, die behaupteten Verstöße gegenüber dem Auftraggeber vorzutragen. Für die Antragsbefugnis reicht dieser zu Recht angenommen Schaden aus.

Präklusion

Die Präklusion nach § 107 Abs. 3 GWB, wonach eine vor dem Nachprüfungsantrag ausgebliebene Rüge gegenüber dem Auftraggeber zur Unzulässigkeit des Antrags führen soll, ist eine in vielfache Hinsicht unklare Vorschrift. Schon die Europarechtskonformität steht seit einer jüngeren Entscheidung des EuGH in Frage. Die Vorschrift ist aber unabhängig davon seit ihrem Inkrafttreten wegen mehrerer unbestimmter Rechtsbegriffe umstritten.

Das OLG Celle hatte hier nun entgegen der Vorinstanz keine Präklusion erkannt. Auch dies ist kritisch zu sehen. Unabhängig von dem Streit über angebliche Unterschiede zwischen Erkennbarkeit und Kenntnis eines Vergabeverstoßes bzw. subjektiver oder objektiver Maßstäbe im Rahmen von § 107 GWB muss jedenfalls Wissen um einen Sachverhalt bestehen, der den Schluss auf einen Vergaberechtsverstoß erlaubt und der es wiederum bei vernünftiger Betrachtung als gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (OLG Frankfurt, 11 Verg 8/13). Ein realistischer Maßstab ist anzulegen (OLG Jena, 9 Verg 3/13). Gerade bei Fragen der Verfahrensart und geringerer Anforderungen an die Erkennbarkeit aus § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB (statt Kenntnis aus § 107 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB) genügen durchschnittliche Anforderungen (VK Rheinland-Pfalz, VK 2-10/13). Die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit ist außergewöhnlich, und zwar unabhängig davon, was die jeweiligen Unterlagen aussagen. Wenn dann auch noch die Informationspflicht ausgesetzt wird, so kann man von einer fast exotischen Handhabung sprechen. Verzichtet ein Bieter dann auf seine Rügemöglichkeit, dann tut er dies unter Missachtung seiner Sorgfaltspflichten zumindest fahrlässig (vgl. Hofmann, in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2014, § 107, Rn. 34) und verletzt seine Mitwirkungspflichten (vgl. OLG Brandenburg, Verg W 13/08; VK Saarland, 1 VK 01/2010). Es ist mit Blick auf die Begründung des OLG Celle auch erstaunlich, dass einerseits im Rahmen der Prüfung der Präklusion die Beschaffung von Schiffsmaschinen durchaus hinreichend dringlich sein sollen, andererseits in der Begründetheitsprüfung – wegen der hohen Anforderungen (Gefahr für Leib und Leben / Fälle höherer Gewalt) relativ eindeutig ein solcher Fall nicht vorgelegen haben soll.

Insgesamt mutet es angesichts von Sinn und Zweck der Präklusion merkwürdig an, wenn ein in Vergabeverfahren erfahrener Bieter trotz eines derart außergewöhnlichen Verfahrens keinen Anlass zur Rüge gehabt haben soll.

Rechtsverletzung

Die Begründetheitsprüfung findet beim OLG Celle im Grunde nicht statt. Mit Verweis auf die BGH-Rechtsprechung wird die Rechtsverletzung letztlich nicht geprüft. Das begegnet Bedenken.

Selbst wenn das OLG Celle für die Zulässigkeit sämtliche Schranken zu lösen scheint, ruft § 114 GWB gleichwohl im Rahmen der Begründetheitsprüfung dazu auf, die konkrete Rechtsverletzung festzustellen. Denn ansonsten ginge es nicht mehr um subjektiven Rechtsschutz, sondern um objektive Rechtskontrolle. Mag der Auftraggeber in diesem Fall keine überzeugende Begründung für die Verfahrensart und auch den Wegfall der Information gefunden haben, so hätte doch der wohl im Raum gestandene Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren wegen Veränderung der Vergabeunterlagen geprüft werden müssen. Denn im Falle des zwingenden Ausschlusses hätten sich die fehlerhafte Verfahrensart und die fehlende Vorabinformation nicht zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt, so wie es das OLG München jüngst in einem vergleichbaren Fall entschieden hat (OLG München, Verg 31/12). Unabhängig davon war aber schon der gegenüber dem Bestbieter von Anfang an höhere Preis Grund genug, die Rechtsverletzung auszuschließen. Damit wäre der Antrag abzuweisen gewesen.

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Praxistipp

Schlüsse für die Praxis sind für die Auftraggeberseite insofern zu ziehen, als diese Entscheidung anmahnt, Gründe für die Verfahrensart sorgfältig zu prüfen und den Wegfall der Information nach § 101a Abs. 2 GWB im Regelfall nicht anzustreben.

Bietern bleibt anzuraten, sich den Verlockungen einer direkten Einladung zu Verhandlungen unter der Prämisse, auf die Information nach § 101a Abs. 2 GWB zu verzichten, nicht ohne charmant formulierter Rüge nachzugehen. Denn die Entscheidung des OLG Celle bietet mit sorgfältigem Blick auf die Rechtsprechung des BGH/BVerfG, aber auch anderer Obergerichte, keine Sicherheit, dass bei ausbleibendem Erfolg eines Angebots ein Nachprüfungsantrag Aussicht auf Erfolg hätte.

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