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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 14/12/2014 Nr. 21042

Qualitätsbezogene Zuschlagskriterien müssen mit Auftragsgegenstand (nur) in Verbindung stehen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.11.2014 – VII-Verg 30/14)

EntscheidungDie Formulierung in § 19 EG Abs. 9 VOL/A, wonach Zuschlagskriterien durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sein müssen, meint nicht, dass sich ein qualitätsbezogenes Zuschlagskriterium unmittelbar aus dem Leistungsgegenstand ableiten lassen muss. Das OLG Düsseldorf verwirft die enge Auslegung der 1. VK Bund und stellt klar, dass es genügt, wenn ein qualitätsbezogenes Zuschlagskriterium mit dem Auftragsgegenstand im weiteren Sinn zusammenhängt und damit in Verbindung steht.

§ 19 EG Abs. 9 VOL/A, Art. 53 Abs. 1 RL 2004/18/EG, Art. 67 Abs. 2 RL 2014/24/EU

Sachverhalt

Eine gesetzliche Krankenkasse schrieb eine Rabattvereinbarung nach § 130 Abs. 8 SGB V über den Wirkstoff Interferon beta 1-b im offenen Verfahren aus. Ein Bieter rügte, dass für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots neben dem Preiskriterium (angebotener Rabatt) als qualitätsbezogenes Kriterium ein freiwillig anzubietendes Patientenprogramm (kostenfreie Applikationshilfen und Patienten-Compliance, kostenlose Zusatzleistungen v. a. für Ärzte) zählen soll. Die 1. VK Bund (Beschluss vom 10.9.2014, VK 1-66/14) gab dem Nachprüfungsantrag statt, da das Kriterium Patientenprogramm nicht den nach § 19 EG Abs. 9 VOL/A erforderlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand habe. Auftragsgegenstand sei der unter Gewährung eines bestimmten Rabatts zu liefernde Wirkstoff. Daher müssten sich die Kriterien zur Bewertung der Qualität der Angebote unmittelbar aus diesem Auftragsgegenstand ableiten lassen. Bei dem fakultativ anzubietenden Patientenprogramm sei das nicht der Fall.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf verwirft diese Auslegung von § 19 EG Abs. 9 VOL/A als zu eng. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 53 Abs. 1 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG, wonach beim Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot (Unter-)Kriterien zu verwenden sind, die mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen. Dieses Verständnis bestätigt Art. 67 Abs. 2 Satz 1 der neuen Basisvergaberichtlinie 2014/24/EU, denn danach müssen qualitätsbezogene Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Der Erwägungsgrund 93 der Richtlinie 2014/24/EU stellt schließlich klar, dass ein Zusammenhang des Zuschlagkriteriums mit nur mittelbaren oder sogar nur sekundären Zielen der Ausschreibung genügt. Es sind keine Beweggründe oder Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der für die Ausarbeitung der VOL/A zuständige Vergabe- und Vertragsausschuss mit der Formulierung in § 19 EG Abs. 9 VOL/A die zugrunde liegenden unionsrechtlichen Vorschriften einschränken oder verschärfen wollte.

Rechtliche Würdigung

Methodisch ist die Leichtigkeit bedenklich, mit der das OLG Düsseldorf den Wortlaut des § 19 EG Abs. 9 VOL/A unter Hinweis auf das Richtlinienrecht beiseite räumt. Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 1.12.2008 X ZB 31/08) muss das nationale Recht Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung sein. Nur wenn das deutsche Vergaberecht gegen das Unionsrecht verstößt was das OLG Düsseldorf im entschiedenen Fall nicht feststellt , ist das Rückgriff auf das EU-Primärrecht oder das auf seiner Grundlage erlassene Sekundärrecht (Richtlinie) zulässig. Angesichts der Diskrepanz zum parallelen § 17 EG Abs. 7 Satz 2 VOB/A (die Kriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen) scheint es durchaus denkbar, dass der Vergabe- und Vertragsausschluss mit der Wortwahl in § 19 EG Abs. 9 VOL/A  bewusst eine engere Formulierung (gerechtfertigt) gewählt hat, um der Freiheit des Auftraggebers bei der Bestimmung von nichtpreislichen Zuschlagskriterien klare Grenzen zu setzen.
Es ist außerdem wenig verständlich, weshalb das OLG Düsseldorf seine großzügige Auslegung nicht gleich auf Art. 67 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU stützt. Dort hat der Unionsgesetzgeber legaldefiniert, wann Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen, nämlich wenn sie sich in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium auf die zu vergebende Leistung beziehen, einschließlich bestimmter Faktoren, die zusammenhängen mit der Herstellung oder Bereitstellung von bzw. dem Handel mit solchen Leistungen (), auch wenn derartige Faktoren sich nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstands auswirken. Im Klartext hat der Auftraggeber damit die volle Freiheit, denn irgendein Zusammenhang zwischen Zuschlagskriterium und Auftragsgegenstand wird sich wohl immer finden.

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Praxistipp

Auftraggeber haben eine nahezu schrankenlose Freiheit bei der Festlegung von qualitätsbezogenen (nichtpreislichen) Zuschlagskriterien. Die Entscheidung ist zwar zur VOL/A-EG ergangen, sie ist aber auch für Bauvergaben nach VOB/A-EG und für die Auslegung von parallelen Regelungen in einigen Landesvergabegesetzen (z. B. § 3 Abs. 5 Satz 2 TVgG NRW) relevant. Im Interesse der Bieter ist diese Entgrenzung dagegen nicht, denn sie begünstigt eine willkürliche, wenn nicht gar missbräuchliche Handhabung bei der Festlegung von Zuschlagskriterien.
Für die Rechtsanwendung ist schließlich der Hinweis des OLG Düsseldorf auf die Vorwirkung der Basisvergaberichtlinie 2014/24/EU interessant. Gerichte und nationalen Stellen wie die Vergabekammern müssen die bestimmten und unbedingten (d. h. vorbehaltlosen) Regelungen der Richtlinie schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 18.4.2016 beachten.

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Dr. Martin Kunde

Dr. Martin Kunde ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei Carl Hilger Becker & Partner Rechtsanwälte PartG mbB in Düsseldorf. Er berät Bieter und Auftraggeber im Vergaberecht und privaten Baurecht.

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