Manche Bieter lassen sich von (vermeintlichen) Unklarheiten oder Widersprüchen in der Leistungsbeschreibung dazu verleiten, die Vorgaben einseitig im Sinne einer bestimmten Lösung zu interpretieren, anstatt den Auftraggeber zunächst um Klärung zu bitten. Das OLG Frankfurt stellt klar, dass die Bieter den Auftraggeber in der Angebotsphase auf Unklarheiten oder Widersprüche in der Leistungsbeschreibung hinweisen müssen. Diese Obliegenheit wird durch die Pflicht des Auftraggebers zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 7 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A) nicht abgeschwächt.
§ 7 EG Abs. 1 Nr. 1 VOB/A; § 7 EG Abs. 2 VOB/A; § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A; § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. b VOB/A
Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren nach VOB/A-EG die Lieferung und Montage von Aufzugs-Förderanlagen für zwei Gebäudeteile P 69 (Alte Physik) und J 69 (Jügelbau) europaweit aus. Im Leistungsverzeichnis fand sich für beide Gebäudeteile der Hinweis: „In dem Türrahmen der obersten Tür ist jeweils das Steuerungs-/Bedienpaneel zur Steuerung zu integrieren“. Für den Gebäudeteil P 69 erfolgte außerdem der Hinweis: „Die Schaltschränke sind als verbindungssteife, allseitig geschlossene stahlblechgekapselte Profilstahlkonstruktionen mit Fronttüren und Frontblenden nach Erfordernis auszubilden. Sie befinden sich jeweils im Bereich der obersten Haltestelle in der Mauervorlage integriert am Türrahmen“. Das Angebot des Antragstellers sah die Lieferung eines Schaltschranks vor, der in das in den Aufzugschacht umgebende Mauerwerk einzubauen war. Die Vergabestelle schloss das Angebot wegen unzulässiger Änderungen an den Vergabeunterlagen aus.
Die Entscheidung
Der Vergabesenat bestätigt den Ausschluss des Angebots nach § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. b, § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A. Zwischen den Parteien war unstreitig, dass das Steuerungs-/Bedienpaneel und Schaltschrank eine Einheit bilden. Der Einbau des Schaltschranks in das den Aufzugschacht umgebende Mauerwerk entspricht nicht den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses, wonach das Steuerungs-/Bedienpaneel „in den Türrahmen der obersten Tür zu integrieren“ und der Schaltschrank sich „im Bereich der obersten Haltestelle in der Mauervorlage integriert am Türrahmen“ zu befinden habe.
Die Leistungsbeschreibung muss aus der Sicht der potentiellen Bieter ausgelegt werden, wobei nicht auf einen einzelnen Bieter, sondern auf den angesprochenen Empfängerkreis insgesamt abzustellen ist (Auslegung nach dem sog. „objektiven Empfängerhorizont“, §§ 133, 157 BGB). Damit korrespondiert § 7 EG Abs. 2 VOB/A, wonach der Auftraggeber bei der Leistungsbeschreibung die verkehrsüblichen Bezeichnungen verwenden muss. Die Bieter dürfen und müssen daher davon ausgehen, dass ein in der Leistungsbeschreibung verwendeter Begriff die verkehrsübliche Bedeutung hat. Der Begriff „Türrahmen“ umfasst nach dem Duden den in der Mauer verankerten äußeren Rahmen, an dem die Türflügel befestigt sind. Dieser Wortsinn umfasst aber nicht darüber hinaus auch das die Tür umgebende Mauerwerk.
An diesem eindeutigen Auslegungsergebnis ändern die vom Antragsteller geäußerten brandschutztechnischen Bedenken ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass die ausgeschriebene Lösung technisch ungewöhnlich ist. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob die (eindeutig) ausgeschriebene Leistung den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Wenn der Antragsteller der Meinung war, dass eine Integration von Steuerungs-/Bedienpaneel im bzw. am Türrahmen nicht möglich sei, durfte er sich nicht einfach über den (eindeutigen) Wortlaut der Leistungsbeschreibung hinwegsetzen und eine andere Lösung anbieten, sondern hätte sich zunächst um Aufklärung bemühen müssen.
Rechtliche Würdigung
Der Bieter darf erkannte Widersprüche und Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung nicht einseitig im Sinne einer bestimmten, ihm genehmen Lösung interpretieren. Der Bieter riskiert dann, dass Auftraggeber und Nachprüfungsinstanzen diese Auslegung nicht teilen, und damit den Ausschluss seines Angebots. Wenn ein Bieter Widersprüche im Leistungsverzeichnis zu erkennen glaubt, muss er den Auftraggeber auf dieses Defizit hinweisen und Aufklärung verlangen.
Das OLG Frankfurt hält außerdem fest, dass die Übereinstimmung der ausgeschriebenen Lösung mit den anerkannten Regeln der Technik kein Kriterium für die Auslegung der Leistungsbeschreibung ist. Ob das in dieser Allgemeinheit so zutrifft, ist eher zweifelhaft. Jedenfalls muss ein Bieter in der Angebotsphase keinen Bedenkenhinweis (§ 4 Abs. 3 VOB/B) erteilen, denn diese bauvertragliche Pflicht entsteht erst mit der Zuschlagserteilung (OLG Bremen, Beschluss vom 04.09.2003 Verg 5/2003). Spätestens vor der Ausführung muss der Auftraggeber aber schriftlich darauf hingewiesen, wenn die vorgesehene Ausführung nicht mit den anerkannten Regeln der Technik übereinstimmt. Andernfalls riskiert der Auftragnehmer, wegen Mängeln seiner Bauleistung in die Gewährleistung genommen zu werden.
Praxistipp
Der harte Preiswettbewerb, vielleicht auch gepaart mit dem trügerischen Gefühl fachlicher Überlegenheit, verleitet manchen Bieter zu gewagten Interpretationen der Leistungsbeschreibung. Die Entscheidung des OLG Frankfurt führt deutlich die Risiken dieser Strategie vor Augen. Letztlich legt der Bieter damit das Schicksal seines Angebots in die Hände der Nachprüfungsinstanzen.
Dr. Martin Kunde ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei Carl Hilger Becker & Partner Rechtsanwälte PartG mbB in Düsseldorf. Er berät Bieter und Auftraggeber im Vergaberecht und privaten Baurecht.
0 Kommentare