Mehr Rechtssicherheit bei Fehlerkorrektur durch eine zweite, beschränkte Angebotsrunde nach Teilaufhebung. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf ist zur Fehlerkorrektur eine Teilaufhebung des Vergabeverfahrens zulässig, wenn die anschließend neu angebotenen Positionen das übrige Preisgefüge nicht beeinflussen.
Eine Geringfügigkeitsschwelle, wie vom OLG Dresden angenommen, gibt es dabei nicht. Dies überzeugt. Nicht überzeugend ist aber die Begründung, warum das Nachverhandlungsverbot nicht verletzt ist. Das OLG Düsseldorf stützt dies darauf, dass alle Bieter dieselben Chancen zur erneuten Kalkulation hatten. Dies ist aber nicht Kern des Nachverhandlungsverbotes im offenen Verfahren, sondern gilt auch für Verhandlungen im Verhandlungsverfahren. Richtigerweise ist das Nachverhandlungsverbot nicht verletzt, da bei einem (teilweisen) Rückversetzen des Verfahrens keine „Nach“verhandlungen stattfinden, sondern sich das Verfahren teilweise wieder vor (erstmaliger) Angebotsabgabe befindet. Dann hätte allerdings entgegen der Auffassung des OLG – ein neuer Submissionstermin stattfinden müssen.
§ 15 VOB/A EG, § 15 VOB/A, § 17 Abs. 1 VOB/A E, § 18 VOL/A EG, § 20 VOL/A EG
Leitsatz
- Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag aufgrund einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat.
- Die Entscheidung, wie und in welchem Umfang der Auftraggeber einen erkannten Ausschreibungsfehler behebt, unterliegt seiner Gestaltungsfreiheit.
- Der Auftraggeber kann eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens auf einzelne Teilpositionen beschränken, wenn diese Teilpositionen die Preisstruktur des Gesamtangebots nicht in relevanter Weise beeinflussen.
- Ob eine solche relevante Beeinflussung vorliegt, ist nicht anhand einer starren prozentualen „Geringfügigkeitsschwelle“, sondern anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb die Errichtung des Rohbaus einschließlich einer Tiefgarage für ein Polizeipräsidium europaweit aus. Auf Bieterfragen stellte er klar, dass der als untergeordnete Teilleistung mitausgeschriebene Bohrpfahlwandverbau nach Sichtfläche zu kalkulieren sei. Er versäumte es aber, die Massenvordersätze des Verbaus anzupassen, die weiterhin auf der statischen Fläche beruhten. Nach Submission forderte er daher die Bieter per Email auf, neue Preise (nur) für die korrigierten Massenvordersätze anzubieten. Aufgrund der ergänzten Angebote rutschte der Antragsteller vom 1. auf den 2. Platz. Der Auftraggeber teilte den Bietern die neuen Endsummen mit und kündigte an, der Beigeladenen, der Erstplatzierten, den Zuschlag zu erteilen. Dem dagegen nach erfolgloser Rüge gerichteten Nachprüfungsantrag des Antragstellers gab die Vergabekammer statt.
Die Entscheidung
Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen hat Erfolg.
1. Zunächst stellt das OLG klar, dass die Wirksamkeit einer (Teil-)Aufhebung eines Vergabeverfahrens nicht an die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 VOB/A EG gebunden ist. Eine Verletzung von § 17 Abs. 1 VOB/A EG hat (nur) zur Folge, dass ein Bieter auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatz, d. h. insbesondere die Kosten der Erstellung des Angebots, geltend machen kann.
Vielmehr gelte auch für einen Auftraggeber die Vertragsfreiheit. Die Aufhebung müsse lediglich auf einem sachlichen Grund beruhen und dürfte nur nicht willkürlich oder nur zum Schein erfolgen. Vorliegend bestehe der sachliche Grund darin, dass die Ausschreibung widersprüchlich und damit fehlerhaft sei und der Fehler erheblich war: Es sei nicht auszuschließen , dass die Bieter unterschiedliche Massen zugrunde legten und die Angebote damit nicht mehr vergleichbar seien.
2. Wie und in welchem Umfang ein Auftraggeber einen Fehler behebt, unterliege seiner Gestaltungsfreiheit, solange er die vergaberechtlichen Gebote der Transparenz, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung beachte und damit einen fairen Wettbewerb sicherstelle.
Ob ein fairer Wettbewerb bei einer Teilaufhebung oder nur bei einer vollständigen Aufhebung sichergestellt sei, könne entgegen der Auffassung des OLG Dresden (Beschl. 23.07.2013, Verg 2/13) nicht anhand einer prozentual festgelegten Geringfügigkeitsschwelle von 15 % der Auftragssumme festgemacht werden, sondern nur im Einzelfall daran, ob die betroffenen Positionen die übrige Preisstruktur mitbestimmten und das Preisgefüge des Angebots in relevanter Weise berührten. Der Auftraggeber habe dies zu prüfen, wobei an die Prüfungstiefe gerade bei komplexen Ausschreibungen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürften. Dievom Auftraggeber durchgeführte Prüfung hätte nur durch eine konkrete und ggf. zu beweisende Gegendarstellung durch den Antragsteller entkräftet werden können. Dies sei dem Antragsteller nicht gelungen.
3. Ein Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot (§ 15 Abs. 3 VOB/A EG) liege nicht vor, weil alle Bieter die gleiche Chance hatten, ihre Preise neu zu kalkulieren.
4. Auch einer erneuten Submission habe es nicht bedurft, da die nur teilweise Eröffnung einer zweiten Angebotsrunde nicht zu neuen Angeboten im Sinne des § 14 VOB/A führten.
5. Der vom Auftraggeber gewählte Kommunikationsweg per E-Mail sei inzwischen üblich und auch vergaberechtlich zulässig.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf überzeugt, jedenfalls im Ergebnis.
1. Dass der Auftraggeber grundsätzlich darin frei ist, den Zuschlag nicht zu erteilen und die Ausschreibung aufzuheben, ist bereits länger Gewissheit (zuletzt: BGH, Urt. v. 18.2.2003, X ZB 43/02, vgl. aber auch OLG München · Beschluss vom 4. April 2013 · Az. Verg 4/13). Selbstverständlich können Auftraggeber daher eine Ausschreibung wegen eigener Fehler aufheben, sonst wären sie gezwungen, eine Entscheidung der Vergabekammern abzuwarten und rechtswidrige Entscheidungen zu treffen. Kosten der vergeblichen Angebotserstellung müssen sie dabei tragen.
2. Dass eine Teilaufhebung zur Korrektur des Fehlers mit einer neuen eingeschränkten Angebotsrunde aber zu besonderen Problemen führen kann, ist evident: Die Bieter können Teilpositionen in Kenntnis der Angebotssummen der Mitbieter neu anbieten und damit versuchen, ggf. nur geringfügige Preisdifferenzen auszugleichen. Dies muss aber in Kauf genommen werden: Bei einer vollständigen Aufhebung ist diese Gefahr noch größer.
Richtig ist aber selbstverständlich, dass die neu angebotenen Preispositionen keinen Einfluss auf die übrigen Preise haben dürfen. Die Bieter wären sonst in der zweiten Runde an Preise gebunden, auf die der Fehler jedenfalls indirekt auch Einfluss hatte. Dass hierfür keine allgemeine Geringfügigkeitsschwelle von 15 % gelten kann, liegt auf der Hand: Auch wenn die betroffenen Positionen nur einen kleinen Umfang ausmachen, kann der Einfluss auf das gesamte Preisgefüge groß sein. Aufgrund der Rechtsprechung des OLG Dresden wären die Auftraggeber gerade gehalten, die betroffenen Preispositionen möglichst gering zu halten, um noch unter der Schwelle von 15 % zu bleiben. Damit wüchse die Gefahr, dass beeinflusste Preispositionen nicht nochmals angeboten werden können, obgleich dies erforderlich wäre.
3. Überraschend ist aber die Feststellung, dass das Nachverhandlungsverbot nicht verletzt sei. Dies überzeugt, die kurze Begründung, „die Bieter [hätten] alle die gleiche Chance [gehabt], ihr Angebot neu zu kalkulieren“, aber nicht.
Bislang war, soweit ersichtlich, nahezu einhellige Meinung, dass eine Aufklärung eines Angebots nach § 15 Abs. 1 VOB/A EG aufgrund des Nachverhandlungsverbotes nicht dazu führen dürfte, Bietern eine inhaltliche Änderung oder Ergänzung ihrer Angebote zu ermöglichen, aber auch bei einer zulässigen Aufklärung alle Bieter gleich zu behandeln seien (zuletzt: OLG Celle, B. v. 14.01.2014 – Az.: 13 Verg 11/13). Dies kehrt das OLG Düsseldorf nun um: Werden alle Bieter gleich behandelt, so wird das Nachverhandlungsgebot nicht verletzt.
Die bisherigen Entscheidungen betreffen weitgehend die Frage der Nachforderung von in der Ausschreibung angeforderten Nachweisen und Informationen. In solchen Fällen würden die Bieter, die ihr Angebot vollständig vorgelegt haben, diskriminiert. Die Aussage des OLG Düsseldorf ist also auf den hier entschiedenen Fall einer Teilaufhebung wegen Fehlern des Auftraggebers zu beschränken. Sonst könnte das Nachverhandlungsverbot dadurch umgangen werden, dass mit allen Bietern Nachverhandlungen geführt werden. Dies ist aber gerade nicht die Natur eines offenen Verfahrens, sondern den anderen Verfahren, insbesondere dem Verhandlungsverfahren, vorbehalten.
Die Ausnahme für Teilaufhebungen lässt sich daher nicht damit begründen, dass kein Bieter diskriminiert wird. Sie überzeugt aber im Ergebnis trotzdem. Sonst müsste eine vollständige Aufhebung erfolgen. Hierdurch würde das Nachverhandlungsverbot evident nicht verletzt. Gleiches muss aber auch bei einer Teilaufhebung gelten: Auch dann wird das Verfahren teilweise zurückversetzt, es wird auch dann gerade nicht „nach“verhandelt. Dass die Bieter dabei die Gebote der anderen Bieter in der ersten Angebotsrunde berücksichtigen, ist auch bei einer vollständigen Aufhebung der Fall. Die daraus resuliterende Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung wird durch eine Teilaufhebung sogar eingeschränkt.
4. Die mit der Teilaufhebung verbundene Rückversetzung des Verfahrens hat allerdings auch zur Folge, dass nach der zweiten Angebotsrunde neue Angebote vorliegen und daher ein neuer Submissionstermin erforderlich wird.
Praxistipp
1. Wird ein Fehler erst nach Submission erkannt, so zeigen die Entscheidungen von OLG Düsseldorf und OLG Dresden einen Weg, die Fehlerfolgen gering zu halten: Die Bieter werden aufgefordert, nur die betroffenen Teile des Angebots neu zu erstellen. Dabei muss der pragmatische Auftraggeber aber vorerst sowohl OLG Düsseldorf (keine Beeinflussung des übrigen Preisgefüges) als auch OLG Dresden (Geringfügigkeitsschwelle von 15 %) beachten, sonst riskiert er eine Vorlage zum BGH und damit – jedenfalls – eine weitere Verzögerung der Ausschreibung. Als Praxisleitschnur dürfte – nach überzeugender Auffassung des OLG Düsseldorf – jedenfalls dann eine Teilaufhebung zulässig sein, wenn der betroffene Teil als eigenständiges Los hätte ausgeschrieben werden können oder ausgeschrieben wurde.
2. Immer dann, wenn sonst eine vollständige Aufhebung erwogen wird, also nicht nur bei der Korrektur von Fehlern, sollte eine Teilaufhebung mit einer zweiten Angebotsrunde geprüft werden. Das Nachverhandlungsverbot wird zwar auch nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf von großer Relevanz sein: Es ist nicht anzunehmen, dass das OLG Düsseldorf seinen Rechtssatz auf andere Fälle des „Nachverhandelns“ erweitert. Bei einer Teilaufhebung greift das Nachverhandlungsgebot grundsätzlich nicht. Im Einzelfall ist aber stets zu prüfen, ob eine Umgehung des Nachverhandlungsverbotes gegeben ist oder die vergaberechtlichen Grundsätze verletzt werden.
Dr. Peter Neusüß
Der Autor Dr. Peter Neusüß ist Rechtsanwalt der Sozietät Sparwasser & Heilshorn Rechtsanwälte, Freiburg. Herr Dr. Peter Neusüß berät im Bereich des Vergabe-, Bau-, Abfall- und Energierechts insbesondere die öffentliche Hand, aber auch private Unternehmen. Er begleitet und unterstützt öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren von der Vorbereitung einschließlich der Einbindung der (kommunalen) Gremien über die Erstellungder Vergabeunterlagen und Bieterinformationen bis hin zur Zuschlagserteilung und vertritt sie, soweit erforderlich, in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und den Oberlandesgerichten.
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