Versieht ein Bieter die vom Auftraggeber geforderte Urkalkulation mit einem Sperrvermerk, kann der Auftraggeber das Angebot aus diesem Grund nicht ausschließen, sondern ist zur Nachforderung verpflichtet.
VOB/A 2012 § 13 Abs. 1 Nr. 5; § 16 Abs. 1 Nr. 3; VOB/A 2016 § 16a
Leitsatz
- Ein Ausschluss eines Bieters aus dem Vergabeverfahren ist nicht möglich, wenn dieser entgegen den Vorgaben der Vergabebedingungen eine Urkalkulation mit einem Sperrvermerk vorlegt.
- In diesem Fall ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, eine den Vergabebedingungen entsprechende Urkalkulation gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2012 (jetzt § 16a VOB/A 2016) nachzufordern.
- Die Berechnung der Höhe des Schadensersatzes erfolgt in Anlehnung an die Berechnung der Vergütung nach § 649 BGB.
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Baumaßnahme öffentlich nach VOB/A ausgeschrieben. In der Leistungsbeschreibung hieß es in Ziffer 1.5:
Der Bieter hat, in einem separat beiliegenden und verschlossenen Umschlag, eine detaillierte Angebotskalkulation dem Angebot beizufügen. … Der Auftraggeber ist berechtigt den Umschlag zu öffnen und die Kalkulation bei Bedarf einzusehen. Diskretion wird seitens des Auftraggebers gewährleistet.
Bieter A gab darauf ein Angebot ab. Diesem war in einem verschlossenen Umschlag die Urkalkulation beigefügt, wobei auf dem Umschlag ein Vermerk angebracht war, wonach ein Öffnen des Umschlags nur im Beisein des Bieters und potentiellen Auftragnehmers gestattet war. Das Angebot des A war von drei eingereichten Angeboten das preislich günstigste. Der AG teilte jedoch dem A mit, dass sein Angebot von der Wertung ausgeschlossen wird, weil es nicht alle in den Vergabeunterlagen gestellten Bedingungen erfüllt. A klagte darauf auf Schadensersatz in Höhe von ca. 30.000 EUR. Nach Abweisung seiner Klage durch das LG ging A in Berufung zum OLG.
Die Entscheidung
Das OLG gibt Bieter A Recht und bejaht einen Schadensersatzanspruch in Bezug auf die nicht verdienten Allgemeinen Geschäftskosten (9.400 EUR) sowie den Gewinnanteil (11.700 EUR) aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Der AG hat hier das Angebot des A zu Unrecht aus dem Verfahren ausgeschlossen. Wäre das Angebot nicht ausgeschlossen worden, hätte A den Zuschlag erhalten müssen, da das von ihm abgegebene Angebot das preislich günstigste gewesen ist.
Rechtliche Würdigung
Im vorliegenden Fall hat A durch die Anbringung des Sperrvermerks auf dem Umschlag, in dem sich die geforderte Urkalkulation befand, gegen Ziffer 1.5 der Leistungsbeschreibung und damit gegen die Vergabebedingungen verstoßen; dieser Verstoß hat aber nicht gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A zum Ausschluss des Angebots der Klägerin führen können, weil es sich bei der Anbringung des Sperrvermerks nicht um „Änderungen an den Vergabeunterlagen“ i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A gehandelt hat.
Eine „Änderung an den Vergabeunterlagen“ verlangt nach Wortsinn und allgemeinem Verständnis eine Einwirkung des Bieters auf die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Unterlagen. Der Begriff beinhaltet damit unmittelbare Eingriffe mit verfälschendem Inhalt. Es ist allerdings anerkannt, dass von dem Begriff auch andere Eingriffe erfasst werden, mit denen keine unmittelbare Einwirkung auf die Unterlagen verbunden ist wie z.B. das Beifügen eigener AGB bzw. anderer Änderungen im Begleitschreiben oder das Hinzufügen einer neuen Position. Entgegen dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A begründen nicht nur physische Änderungen an den vom Auftraggeber erstellten Dokumenten, sondern auch inhaltliche Abweichungen von den als verbindlich vorgegebenen technischen, kaufmännischen und rechtlichen Bedingungen des Auftrags einen Ausschluss wegen unzulässiger Änderungen an den Vergabeunterlagen. Gleichwohl ist der vorliegende Fall anders zu beurteilen. Denn das Anbringen des Sperrvermerks stellt keine „Änderung an den Vergabeunterlagen“ dar, sondern ist als formaler Mangel des eingereichten Angebots einzustufen, der der Nachforderung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A unterliegt.
Der AG war daher gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A verpflichtet, von A zu verlangen, die Urkalkulation ohne Sperrvermerk einzureichen bzw. den Sperrvermerk aufzuheben. Denn mit dem Aspekt der Gleichbehandlung ist es nicht vereinbar, wenn ein Bieter, der gar keine Urkalkulation vorgelegt hat, vom AG aufgefordert wird, diese nachzureichen, weil die Unterlage fehlt, während die Einreichung der Urkalkulation mit einem Sperrvermerk zu einem zwingenden Ausschluss des Angebotes führen soll. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs des A, der die nicht verdienten Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) sowie den Gewinnanteil umfasst, wird in Anlehnung an § 649 BGB gemäß § 287 ZPO geschätzt.
Praxistipp
Auch wenn der o.g. Fall noch nach altem Vergaberecht entschieden wurde, gelten die dort genannten Grundsätze weiterhin, nicht zuletzt, da der bisherige § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2012 identisch ist mit § 16 a VOB/A 2016. Wie die Entscheidung zeigt, sollte der Auftraggeber vor Ausschluss eines Angebotes sorgfältig prüfen, ob er nicht zur Nachforderung von entsprechenden Unterlagen verpflichtet ist; Auftragnehmer sollten dagegen äußerst vorsichtig sein, geforderte Unterlagen überhaupt mit Sperrvermerken zu versehen.
Michael Werner
Michael Werner ist Rechtsanwalt und bei der DEGES GmbH in Berlin tätig. Herr Werner ist Experte im deutschen und europäischen Vergaberecht sowie im Bauvertragsrecht. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war Herr Werner langjähriger Leiter der Rechtsabteilung des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. und Mitglied im Deutschen Vergabe – und Vertragsausschuss des Bundes (DVA).
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