Die Blockchain-Technologie als Basis verschiedener Kryptowährungen ist spätestens seit der rasanten Kurssteigerung des Bitcoin im Dezember letzten Jahres in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Grund genug, die Technologie und ihre Anwendungsmöglichkeiten aus einer ganz anderen Perspektive zu beleuchten, nämlich die der öffentlichen Hand im Vergaberecht. Denn Blockchain und sogenannte Smart Contracts könnten die Abwicklung von Vergabeverfahren künftig stark vereinfachen.
Blockchain – Was ist das?
Eine Blockchain besteht aus digitalen Datensätzen, den sogenannten Blöcken („block“), die miteinander verkettet („chain“) sind. Zum besseren Verständnis der Blockchain hilft ein Blick auf die Kryptowährungen, weil dies ihr bisher größter Anwendungsbereich ist.
In den Blockchains von Kryptowährungen sind, vereinfacht gesprochen, alle Finanz-Transaktionen seit der Entwicklung einer digitalen Währung gespeichert – von der Übertragung der ersten generierten Einheit („coin“) an eine digitale Geldbörse („wallet“) bis hin zur aktuellsten Überweisung eines Coins von einem Käufer an einen Verkäufer. Während der Umlauf einer physischen Euro-Münze nicht mehr nachvollzogen werden kann, sobald sie einmal das eigene Portemonnaie verlassen hat, sind die Wege der digitalen Währungseinheiten in der Blockchain lückenlos, für immer und grundsätzlich für jedermann nachvollziehbar.
Eine Transaktion wird innerhalb eines Blocks gespeichert. Weil die Blöcke nur eine begrenzte Kapazität haben, müssen stets neue Blöcke produziert werden („mining“). Dies geschieht durch aufwändige kryptographische Rechenoperationen. Ein neu generierter Block enthält die sogenannte Prüfsumme („hash“) des vorherigen Blocks. Dadurch erhält jeder neue Block seine feste Position am aktuellen Ende der Kette – die Blockchain wächst.
Die Bitcoin-Blockchain liegt in zigtausenden identischen Kopien weltweit verteilt vor. Diese dezentrale Ausrichtung gewährleistet eine hohe Sicherheit vor Manipulationsversuchen. So können etwa einmal übertragene Bitcoins kein zweites Mal übertragen werden, weil in der Blockchain verzeichnet ist, wann sie an wen übertragen wurden. Auch Angriffe gegen die Blockchain des Bitcoin sind kaum erfolgversprechend: Ein Angreifer, der etwa vergangene Transaktionen an sich selbst umleiten möchte, müsste leistungsfähiger sein als 50% der Produzenten von Bitcoin-Blöcken zusammen („51-Prozent-Angriff“), was als praktisch ausgeschlossenes Szenario gilt.
Kurz gesagt, können durch die Blockchain-Technologie neue Datensätze gespeichert werden, die allein durch ihre Existenz beweisen, dass die vorangegangenen Datensätze so und nicht anders gespeichert wurden – die Blockchain bestätigt sich permanent selbst.
Und was sind Smart Contracts?
Smart Contracts sind digitale Abbildungen von Verträgen, die selbständig die Erfüllung von Vertragsbedingungen überwachen (deshalb „smart“) und bei ihrem Eintritt zuvor festgelegte Ereignisse auslösen, beispielsweise Zahlungen freigeben können. Eine Art von Smart Contracts existiert schon seit einiger Zeit im Finanzmarktbereich: Eine Bank verpflichtet sich etwa gegenüber ihrem Kunden, seine Aktien automatisch zum Verkauf anzubieten, wenn ein bestimmter Kurswert unterschritten wird, um Verluste zu begrenzen. Standardisierte Transaktionen lassen sich auf diese Weise automatisch abwickeln.
Smart Contracts lassen sich auch mit der Blockchain-Technologie verknüpfen: Dabei werden etwa Vertragspflichten und die bei Erfüllung der Pflichten auszulösenden Ereignisse in einer Blockchain gespeichert. Haben etwa zwei Parteien eines Kaufvertrags Zweifel an der Zuverlässigkeit des jeweils anderen, können sie die Kaufpreiszahlung über die digitale Geldbörse eines vertrauensvollen Mittelsmanns, etwa einer Bank, laufen lassen, der das Geld beim Eintritt der vordefinierten Bedingung (etwa: Übertragung von Aktien auf Depot des Käufers) automatisiert per Smart Contract an den Verkäufer auszahlt. Die Bank übernimmt in diesem Fall die Rolle eines Quasi-Notars.
Wo macht die Blockchain im Vergaberecht Sinn?
In der Verwaltung reichen die Vorschläge von elektronischen Wahlen bis hin zur vollautomatischen Abwicklung staatlicher Leistungen. Während diese Szenarien bislang nur als grobe Ideen im Raum stehen, gibt es für einige vergaberechtlich relevante Bereiche konkrete Planungen. Dabei geht es hauptsächlich um Modalitäten öffentlicher Register, der Verifizierung und der Herkunftsnachweise.
Nahezu alle öffentlichen Register lassen sich über eine Blockchain abbilden. „Die Idee ist insofern naheliegend, als die Blockchain mit ihrer nachweisbaren, transparenten Dokumentation von Transaktionen einer klassischen Registerführung sehr ähnelt.“, heißt es beim Kompetenzzentrum Öffentliche IT (nachfolgend: KIT). Diese Register können dezentral verwaltet und eingesehen werden. Die Vorlage von Registerauszügen im Vergabeverfahren, etwa zum Nachweis einer Eintragung des Bieters in ein Gewerbe- oder Berufsregister, würde überflüssig.
Elektronische Vergabeverfahren (e-Vergabe) erfordern zwei grundlegende Sicherheitsvorkehrungen. Einerseits muss die Vergabestelle die Gewissheit haben, dass der im e-Vergabe-System angezeigte Firmenname des Bieters mit dem tatsächlichen Bieter übereinstimmt, dass also derjenige die Unterlagen eingereicht hat, der sich dafür ausgibt (Authentizität). Andererseits muss die Vergabestelle der Integrität der ihr übermittelten Daten vertrauen können. Die Daten müssen also so gespeichert werden, wie sie der Bieter abgesendet hat. Dafür sorgen relativ umständliche Verschlüsselungs- und Signatursysteme. Die Blockchain-Technologie könnte den Vorgang vereinfachen: Der Nachweis des Absenders und der Integrität der übermittelten Unterlagen ergibt sich aus den Eintragungen in der manipulationssicheren Blockchain. Darüber hinaus muss die Vergabestelle bisweilen die Echtheit eingereichter öffentlicher Urkunden prüfen. Wenn Behörden öffentliche Urkunden auf elektronischem Wege ausstellen und mit Verifizierungsschlüsseln in der Blockchain hinterlegen würden, könnte die Echtheit der übermittelten Urkunde sehr leicht überprüft werden. Beglaubigte Kopien ließen sich so einsparen. Die Echtheit eines Auszugs etwa aus dem Gewerbezentralregister mit hinterlegtem Verifizierungsschlüssel könnte von jedermann überprüft werden.
Ein weiterer Anwendungsfall betrifft Herkunftsnachweise. Häufig müssen in Vergabeverfahren Herkunft und Produktionsbedingungen der gelieferten Waren nachgewiesen werden, etwa bei der Beschaffung oder Verwendung von zertifiziertem Holz und Holzprodukten. Nur selten besteht ein praktikables und funktionierendes System dafür. Nach dem KIT können durch die Blockchain-Technologie aber „Eigentümerwechsel oder eine Verwendung in einem anderen Produkt dargestellt werden. Auf diese Weise können Produktions- und Wertschöpfungsketten oder Wartungszyklen nachvollzogen werden.“ Herkunftsnachweise würden die Bieter nicht mehr vor unlösbare Aufgaben stellen, wenn sie durch Rückgriff auf die Eintragungen einer Blockchain erbracht werden können, und könnten im Vergabeverfahren bedenkenlos verlangt werden.
Gibt es auch Nachteile und Grenzen der Blockchain-Technologie?
Ja, einige. Da die Blockchain-Technologie auf der Lösung kryptographischer Rechenaufgaben basiert, muss hierfür Rechenleistung aufgewendet werden, die Strom verbraucht. Wie viel Strom benötigt wird, hängt von der Beschaffenheit der jeweiligen Blockchain ab. So benötigte das Bitcoin-Netzwerk im Mai 2018 bereits mehr Strom als die gesamte Schweiz – Tendenz steigend. Weil die kryptographischen Aufgaben mit der Zeit immer schwieriger zu lösen sind, steigt der Stromverbrauch exponentiell an. Deshalb gibt es bereits alternative Technologien, die ein sich selbst bestätigendes Datensystem mit geringem Energieverbrauch verbinden, beispielsweise der „IOTA-Coin“ durch die sogenannte „tangle“. Diese reichen aber bei Weitem nicht an die Bedeutung der Bitcoin-Blockchain heran.
Der Einsatz energieintensiver Technologie für öffentliche Zwecke muss daher mit dem Ziel der schonenden Verwendung von Ressourcen abgewogen werden.
Hinzu kommen Sicherheitsbedenken beim Einsatz einer eigenen Blockchain durch die öffentliche Hand. Denn in diesem Fall ist nur eine stark begrenzte Anzahl von Rechenzentren an das System angeschlossen, was die Umsetzbarkeit eines 51-Prozent-Angriffs erleichtert. Das KIT gibt daher zu bedenken: „Je größer ein Blockchain-Netzwerk ist, desto unwahrscheinlicher wird diese Möglichkeit. Insbesondere beim Aufbau einer neuen öffentlichen Blockchain mit wenigen Teilnehmern muss dieser Aspekt berücksichtigt werden.“ Dieses Problem kann umgangen werden, wenn die öffentliche Hand bereits etablierte Blockchain-Technologien verwendet, also das sprichwörtliche Rad nicht neu erfindet.
Werden bald nur noch „smarte“ Verträge vergeben?
Nein, der Anwendungsbereich der Smart Contracts ist aktuell noch begrenzt.
Denn eine Blockchain kennt weder Ermessen noch Graubereich. Verträge zu komplexeren Vergabeverfahren lassen sich nicht ohne Weiteres in ein einfaches Wenn-Dann-Schema überführen. Von daher heißt es beim KIT: „Die in jedem Vertragswerk erforderliche Flexibilität geht bei deterministischer Auslegung beispielsweise verloren, weshalb sich grundsätzlich nur vergleichsweise triviale Regelungen abbilden lassen.“ Lediglich bei der Abwicklung von Verträgen über den Kauf von Alltagsgegenständen oder die Erbringung von leicht nachweisbaren Dienstleistungen (z.B. Reinigungs- oder Sicherheitsdienstleistungen) könnte meines Erachtens auf Smart Contracts zurückgegriffen werden. Zeichnet beispielsweise ein Sicherheitsmitarbeiter seine täglichen Kontrollgänge über das Gelände einer Behörde an den einzelnen Meldestellen per Transponder auf und werden diese Daten in einer Blockchain gespeichert, kann ein Smart Contract am Monatsende durch einen automatisierten Abgleich der geleisteten mit den geschuldeten Kontrollgängen die Auftragserfüllung feststellen und die monatliche Vergütung anweisen. Eine manuelle Prüfung der Leistungserbringung durch Behördenmitarbeiter ist zur Zahlungsanweisung nicht mehr nötig – die Effizienz steigt.
Treten allerdings Komplikationen auf (z.B. eine Schlechtleistung), werden menschliche Eingriffe in das Smart-Contract-System erforderlich. Einige Autoren weisen zudem auf die Unvereinbarkeit eines automatisch vollziehenden Vertrags mit einigen Instituten des deutschen Zivilrechts (bspw. der ex-tunc-Nichtigkeit) hin.
Ist der Einsatz von Blockchain-Technologie beim neuen Wettbewerbsregister sinnvoll?
Das ist zumindest zweifelhaft. Denn weder Struktur noch Logik des Wettbewerbsregisters eignen sich für einen Blockchain-Einsatz.
Am 01.06.2017 hat der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Einführung eines bundesweiten Wettbewerbsregisters“ (WRegG) beschlossen, das seit dem 29.07.2017 in Kraft getreten ist. Das Bundeskartellamt richtete zuletzt einen Aufbaustab ein, der nun an der technischen Umsetzung des Registers arbeitet. Seinen Betrieb soll das Wettbewerbsregister 2020 aufnehmen.
Das Wettbewerbsregister ist als rein zentral geführtes Register konzipiert: Allein das Bundeskartellamt trägt die ihm gemeldeten Tatsachen ein und speichert sie. Die Blockchain-Technologie basiert aber auf dezentral gelagerten Datensätzen. Zwar wäre es prinzipiell unter Beibehaltung der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundeskartellamts möglich, die Blockchain des Wettbewerbsregisters bundesweit verteilt zu speichern, etwa auf Servern eines jeden Gewerbeaufsichtsamts. Das Konzept des Wettbewerbsregisters müsste dafür aber – in der Aufbauphase – vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Der technische Aufwand hierfür steht in keinem Verhältnis zum erzielbaren Vorteil der Transparenz und Nachverfolgbarkeit der Registereinträge.
Hinzu kommt, dass diese Vorteile zugleich einen Nachteil mit sich bringen: Die Blockchain kennt keine Löschtaste. Einmal gespeicherte Eintragungen können, ähnlich den Eintragungen in einem Grundbuch, nicht entfernt werden. Möglich ist nur eine neue Eintragung, die die in Bezug genommene widerruft. Trägt die Registerbehörde beispielsweise fälschlicherweise ein Unternehmen wegen einer schweren Straftat in das Wettbewerbsregister ein, bleiben Ein- und Austragung in der Blockchain hinterlegt. Dass ein Unternehmen wegen einer schweren Straftat im Wettbewerbsregister stand, bleibt also für immer in der Blockchain gespeichert – unabhängig von der Richtigkeit der Eintragung. Bei Registern mit erheblicher Stigmatisierungsgefahr sollte die Blockchain-Technologie daher nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen.
Fazit: Verwaltungsvereinfachung, aber keine Revolution
Die Beispiele zeigen: Die Blockchain-Technologie kann zu einer deutlichen Verfahrensvereinfachung führen. In einigen Bereichen wird sich die Technologie sicherlich durchsetzen und auch Vergabestellen und Kanzleien erreichen. Es besteht kein jedoch kein Grund zur Panik. Denn all dies wird nicht über Nacht geschehen. Außerdem ist die Technologie kein Universalwerkzeug, sondern muss mit Bedacht eingesetzt werden.
An der Blockchain-Technologie wird aber unter Hochdruck gearbeitet. In Zukunft sind deshalb weitere Anwendungen denkbar. Vergaberechtler sollten die Diskussion daher mit Interesse verfolgen, ohne sich verrückt machen zu lassen.
Dr. Daniel Soudry, LL.M.
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
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