Der öffentliche Auftraggeber ist nicht verpflichtet das Angebot eines Bieters wegen schwerer Verfehlung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB auszuschließen, wenn etwaige Verfehlungen des Geschäftsführers nicht zu umweltrechtlichen Sanktionen geführt haben und strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt wurden. Darüber hinaus kann das Handeln eines Nachunternehmers für sich genommen keinen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB begründen.
§ 124 Abs. 1 Nr. 1, 3 GWB
Sachverhalt
Gegenstand des Beschlusses war ein Vergabeverfahren, bei dem die Antragstellerin rügte, dass der Zuschlag an die Beigeladene erteilt werden sollte. Die Antragstellerin beantragte das Nachprüfungsverfahren und nachfolgend sofortige Beschwerde. Sie beanstandet u.a., dass das Angebot der Beigeladenen vom Vergabeverfahren auszuschließen gewesen sei, da eine schwere Verfehlung in Person der Beigeladenen vorliege, § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Die Beigeladene habe bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umweltrechtliche Verpflichtungen verstoßen. Die Antragstellerin bezog sich dabei auf ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der Beigeladenen wegen unerlaubten Umgangs mit Abfällen (§ 326 StGB). Der Beigeladenen wurde vorgeworfen, dass ihr Nachunternehmen rechtswidrig Abfälle aus der Abfallverbrennung entsorgt haben soll.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Das Gericht entschied, dass die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zu Recht zurückwies.
Das Angebot der Beigeladenen sei nicht nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB wegen schwerer Verfehlung auszuschließen gewesen. Der Begriff der schweren Verfehlung stelle einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, bei dessen Auslegung der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zukomme. Schwere Verfehlungen sind erhebliche Rechtsverstöße, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit eines Bewerbers grundlegend in Frage zu stellen. Sie müssen schuldhaft begangen worden sein und erhebliche Auswirkungen haben.
Im vorliegenden Fall war zum einen zu berücksichtigen, dass es nicht zu umweltrechtlichen Sanktionen gegen die Beigeladene kam. Zum anderen wurden beide strafrechtliche Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts bzw. gegen Geldauflage nach § 153 a Abs. 2 StPO eingestellt. Durch die Einstellung nach § 153 a StPO werde deutlich, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch die Erteilung von Weisungen und Auflagen beseitigt werden könne.
Die Prognoseentscheidung des öffentlichen Auftraggebers, dass etwaige Verfehlungen der Beigeladenen nicht als schwer zu bewerten seien und somit die Integrität des Unternehmens nicht in Frage stellten, liege somit im Rahmen des Beurteilungsspielraums und sei rechtlich nicht zu beanstanden.
Zudem behandelte das OLG Celle die Frage, ob ein möglicherweise strafbares Verhalten des Nachunternehmens dem öffentlichen Auftraggeber zugerechnet werden könne. § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB umfasse nach Ansicht des Gerichts jedoch nur Verstöße des Bieterunternehmens, das durch seine Organe handelt und nicht das Handeln von Nachunternehmen. Das Handeln eines Nachunternehmens könne für sich genommen keinen Ausschlusstatbestand nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB begründen.
Es sei zwar möglich, dass ein Verstoß der gesetzlichen Kontrollpflichten des Hauptauftragnehmers gegenüber dem Nachunternehmen einen Verstoß i.S.d. § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB darstelle, allerdings kam ein solcher Verstoß der Beigeladenen nicht in Betracht.
Rechtliche Würdigung
Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „schweren Verfehlung“ des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB kommt dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
Die Entscheidung des OLG Celle zeigt, dass im Rahmen dieser gerichtlichen Überprüfung die Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu berücksichtigen ist. Insbesondere die Einstellung nach § 153 a StPO sowie die Unschuldsvermutung wirken sich somit auf das Vergaberecht aus. Dass die Schwere der Schuld einer Einstellung nach § 153 a StPO nicht entgegensteht indiziert, dass strafrechtlich jedenfalls nicht von einer schweren Schuld der Beigeladenen ausgegangen wurde. Auch der Verhängung von umweltrechtlichen Sanktionen kann eine Indizwirkung zukommen.
Im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip und die Einheit der Rechtsordnung ist die Entscheidung des OLG Celle zu begrüßen.
Praxistipp
Die Entscheidung unterstreicht die besondere Bedeutung des dem Auftraggeber zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums. Als Herr des Vergabeverfahrens hat der Auftraggeber zu prüfen, ob von dem Bieter eine sorgfältige, ordnungsgemäße und gesetzestreue Auftragsausführung zu erwarten ist. Bezieht der Auftraggeber wesentliche Aspekte, wie die Einstellung von strafrechtlichen Verfahren in seine Erwägungen ein und sind keine Ermessensfehler ersichtlich, ist seine Vergabeentscheidung gerichtlich regelmäßig nicht zu beanstanden.
Aus Sicht des Bieters ist an der vorstehenden Entscheidung besonders interessant, dass dieser per se nicht wegen Handlungen seines Nachunternehmens ausgeschlossen werden darf. Bieter müssen jedoch stets die ihnen obliegenden Kontrollpflichten gegenüber Nachunternehmen beachten.
Dominik R. Lück
Der Autor Dr. Dominik R. Lück ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Köhler & Klett Rechtsanwälte in Köln. Dort ist er Leiter des vergaberechtlichen Fachbereichs und verfügt über langjährige Erfahrung im Vergaberecht und in den Bereichen des Umweltrechts, insbesondere des Abfallrechts.
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