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Abweichende Vertragsbedingungen des Bieters führen nicht zwingend zum Angebotsausschluss! (BGH, Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17)

EntscheidungAbwehrklauseln in den Vergabeunterlagen stehen einem Ausschluss von Angeboten mit abweichend gestellten Vertragsbedingungen grundsätzlich entgegen. Auch ohne Abwehrklausel scheidet ein Angebotsausschluss aus, wenn nach bloßer Streichung der bieterseitigen Bedingungen noch ein wertungsfähiges Angebot vorliegt.

§§ 13 EU Abs. 1 Nr. 5, 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012, § 97 Abs. 1 und 2 GWB

Leitsatz

  1. Gibt der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vor, dass Geschäftsbedingungen des Auftragnehmers nicht Vertragsbestandteil werden, und stellt ein Bieter mit seinem Angebot abweichende Bedingungen, können diese infolge der Abwehrklausel des Auftraggebers im Falle der Auftragserteilung keine rechtliche Wirkung entfalten. Ein Ausschluss des Angebots wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen ist deshalb nicht erforderlich und auch nicht zulässig.
  2. Auch ohne das Vorliegen einer Abwehrklausel kann ein Angebot, dem der Bieter eigene Vertragsbedingungen beigefügt hat, in der Wertung verbleiben, wenn nach bloßer Streichung des Hinzugefügten ein dem maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorliegt.

Sachverhalt

Der beklagte öffentliche Auftraggeber schrieb Straßenbauarbeiten im offenen Verfahren nach dem 2. Abschnitt der VOB/A 2012 aus. Zur Abgabe eines formwirksamen Angebots hatten die Bieter u.a. ein vorformuliertes Angebotsschreiben unterschrieben einzureichen. Geforderter Angebotsinhalt waren des Weiteren die in diesem Angebotsschreiben aufgelisteten, als Vertragsgrundlagen der Angebote gekennzeichneten Unterlagen und Formblätter. Dazu gehörten neben dem Angebotsschreiben, dem Leistungsverzeichnis, den Besonderen Vertragsbedingungen für Bauleistungen auch die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau). In § 8 ZVBBau sind Regelungen zur Abrechnung und zu den Zahlungen der Vergütung enthalten. Danach sollte die Schlusszahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung erfolgen. Dem entgegenstehend versah der klagende Bieter den Endpreis in seinem Angebot mit dem Zusatz „… zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug„.

Der öffentliche Auftraggeber schloss das Angebot mit der Begründung aus, der Bieter habe durch die Einfügung der Klausel „zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“ Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen und demgemäß den Ausschlussgrund des § 16 EU Abs. 1 Buchst. b i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A 2012 verwirklicht.

Das Landgericht hat die daraufhin erhobene Schadensersatzklage des Bieters abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung ebenfalls zurückgewiesen, wobei es der Argumentation des Auftraggebers folgte. Der Bieter habe Änderungen an den Vergabeunterlagen i.S.v. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A 2012 vorgenommen, die den Angebotsausschluss rechtfertigten. Zum Angebotsausschluss nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 führten nicht nur die den technischen Inhalt betreffende Abweichungen von den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers, sondern auch Änderungen vertraglicher Regelungen und namentlich die Beigabe eigener Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Ein solcher Fall liege vor; der Bieter habe mit der eigenen Klausel „zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“ eine Änderung gegenüber den vorgegebenen Zahlungsbedingungen vorgenommen.

Mit der Revision verfolgte der Bieter seine Klageforderung weiter.

Die Entscheidung

Und er hatte Erfolg. Der vom Berufungsgericht angenommene Ausschlussgrund ist nach Ansicht des BGH nicht verwirklicht. Von öffentlichen Auftraggebern in den Vergabeunterlagen verwendete sog. Abwehrklauseln zielten gerade darauf ab, bei Angeboten, denen ein Bieter eigene Vertragsbedingungen, insbesondere Allgemeine Geschäftsbedingungen, beigegeben hat, einen Ausschluss nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5, § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 zu vermeiden.

Aus objektiver Sicht der Bieter sei es abwegig anzunehmen, dass die mit den Vergabeunterlagen vorgegebenen Bedingungen bieterseitig durch eigene Klauseln oder Allgemeine Geschäftsbedingungen ersetzt oder sonst abgewandelt werden dürften. Füge ein Bieter seinem Angebot gleichwohl eigene Vertragsbedingungen bei, deute dies auf ein Missverständnis des Bieters hinsichtlich der Bindungen des öffentlichen Auftraggebers bei der öffentlichen Auftragsvergabe hin. Wäre dem Bieter die Bindung des öffentlichen Auftraggebers an den Inhalt der Vergabeunterlagen bewusst gewesen, hätte er laut BGH auf abweichende Klauseln verzichtet.

In solchen Fällen ermögliche es die Abwehrklausel dem öffentlichen Auftraggeber, das Angebot des Bieters in der Wertung zu belassen. Denn aufgrund der Abwehrklausel können abweichende Bedingungen des Bieters nicht Vertragsbestandteil werden.

Die für Konflikte aus der wechselseitigen Einbeziehung kollidierender Allgemeiner Geschäftsbedingungen im privaten Geschäftsverkehr außerhalb der öffentlichen Auftragsvergabe entwickelten Lösungsmöglichkeiten seien hier nicht einschlägig. Der öffentliche Auftraggeber habe deshalb nicht zu befürchten, dass der Bieter sich im Falle eines Zuschlags mit Erfolg auf die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen könnte, oder dass sie im Umfang der Kollision auf die gesetzlichen Regelungen verwiesen wären.

Dementsprechend hätte der öffentliche Auftraggeber keinen Anlass, das Angebot des Bieters wegen vermeintlicher Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen. Allenfalls hätte der Auftraggeber vorsorglich zur Klarstellung gegenüber dem Bieter auf den Vorrang der für die Schlusszahlung geltenden Klauseln in den ZVBBau hinweisen können.

Das Angebot des Bieters hätte zudem auch ohne die auftraggeberseitige Abwehrklausel nicht auf § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 gestützt ausgeschlossen werden können, weil dem Auftraggeber sich die Regelung des Bieters als Missverständnis hätte aufdrängen müssen. So hätte der Auftraggeber die Abweichungen von den Vergabeunterlagen ohne Verstoß gegen § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2012 aufklären und so das Angebot auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen zurückführen können, sofern der Bieter im Rahmen der Aufklärung von den beigegebenen eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen Abstand genommen hätte.

Davon zu unterscheiden seien allerdings Fälle mit manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen im eigentlichen Sinne, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben wird und bei Hinwegdenken dieser Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt.

Rechtliche Würdigung

Laut BGH ist die vom öffentlichen Auftraggeber verwendete Abwehrklausel im Lichte der Neuregelungen seit der VOB/A 2009 zu verstehen. Diese Regelungen dienen, so der BGH, dazu, den Ausschluss von Angeboten aus nur formalen Gründen zu verhindern. So sei es erklärtes Ziel der Normen, im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund hat der BGH die zur alten Gesetzgebung ergangene „vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung“ nunmehr aufgegeben. Der Ausschlussgrund der Änderungen an den Vergabeunterlagen sei fortan dem aufgezeigten Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen entsprechend angepasst auszulegen und anzuwenden.

Praxistipp

Mit der vorliegenden Entscheidung des BGH wird die bislang strenge Entscheidungspraxis zum Ausschluss von Angeboten wegen vom Bieter abweichend gestellter bzw. abgeänderter Vertragsbedingungen aufgegeben. Zur Förderung des Wettbewerbs und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Vielzahl von Fällen abweichend gestellter eigener Vertragsbedingungen auf Missverständnissen der Bieter über die Bedeutung der Vergabeunterlagen basieren, erscheint die Entscheidung auch folgerichtig.

Die in der Vergabepraxis von den öffentlichen Auftraggebern verwendeten Vertragsbedingungen beinhalten bereits heute regelmäßig sogenannte Abwehrklauseln, welche einem Ausschluss von Angeboten entgegenstehen, die mit abweichenden Vertragsbedingungen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bieter versehen sind. Bei Zweifeln über das Vorliegen eines Missverständnisses, empfiehlt sich für den öffentlichen Auftraggeber ein abweichendes Angebot im Rahmen des Zulässigen aufzuklären.

Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Martin Götte verfasst.

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Über Martin Götte

Martin Götte ist auf das Immobilien- und Baurecht spezialisierter Rechtsanwalt in der Kölner Kanzlei LLR Legerlotz Laschet und Partner Rechtsanwälte.

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Über Bastian Gierling

Bastian Gierling ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei LLR - Legerlotz Laschet Rechtsanwälte PartG mbB in Köln. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Beratung und Vertretung von öffentlichen Auftraggebern in allen Fragen des Vergaberechts sowie von Unternehmen und Gebietskörperschaften im Öffentlichen Bau- und Planungsrecht. Dabei erstreckt sich sein Tätigkeitsfeld auch auf die baubegleitende Rechtsberatung bei großen Bau- und Infrastrukturprojekten der öffentlichen Hand.

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5 Kommentare

  1. René M. Kieselmann

    Danke für den schönen Beitrag. Interessant wäre noch der Hinweis, ob es sich um positiven oder negativen Schadensersatz im Verfahren handelte und wie der ausgeschlossene Bieter platziert war.

    Reply

  2. Wannagat Aribert

    Drehen wir uns hier im Kreis? Wenn ich in meinen Vergabeunterlagen dazu entschließe keine AGB’s des Bieter zuzulassen, hat doch das nicht nur Einfluss auf die Veränderungen der Vergabeunterlagen, sondern auch auf das Thema „Vergleichbare Angebote“. In der Praxis sind die AGB’s der verschiedenen Bieter im Detail oft unterschiedlich. Aus meiner Sicht, also zu kurz gedacht

    Reply

    • Bastian Gierling

      Sehr geehrter Herr Aribert,

      nach dem Ergebnis der vorliegenden Entscheidung kommen die eigenen Vertragsbestimmungen oder AGB der Bieter überhaupt nicht zum tragen. D.h., diese sind infolge des Vorliegens von Abwehrklauseln oder nach dem dem Ergebnis einer entsprechenden Angebotsaufklärung kein Bestandteil des Angebots. Somit stellt sich in diesen Fällen die Frage nach der Vergleichbarkeit der Angebote grundsätzlich nicht.

      Beste Grüße
      Bastian Gierling

      Reply

  3. Bastian Gierling

    Sehr geehrter Herr Kollege Kieselmann,

    danke für Ihre Nachfragen, welche ich gerne wie folgt beantworte:

    1. Mit der vorliegenden Klage wurde ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch geltend gemacht.

    2. Auf welchem Rang der ausgeschlossene Bieter im Falle der Wertung seines Angebotes gelegen hätte, ist nicht bekannt.

    Gerne möchte ich jedoch ergänzen, dass der Bieter gegen den Angebotsauschluss Rüge erhoben hatte, aber – auch nachdem der Auftraggeber dieser nicht abhalf – kein Nachprüfungsverfahren gegen den Angebotsausschluss einleitete. Der Bieter hat also ausschließlich Schadenersatzklage erhoben. Diese wurde – nachdem die ersten beiden Instanzen diese abgewiesen hatten – nunmehr durch den BGH zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

    Interessant ist ion diesem Zusammenhang sicher die ausdrücklich in der Entscheidung erfolgte Klarstellung des BGH, dass – entgegen so mancher Literaturmeinung – ein Bieter grundsätzlich nicht verpflichtet ist, bereits im laufenden Vergabeverfahren gegen Vergabestöße des Auftraggebers vorzugehen, um später auf Schadenersatz klagen zu können. Durch eine unterlassene Rüge oder die unterlassene Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens tritt also keine „Präklusion“ für die (spätere) Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen ein.
    Diesem Umstand sollten sich Bieter und insbesondere auch die öffentlichen Auftraggeber im Rahmen der Verfahrensdurchführung stets bewusst sein.

    Beste kollegiale Grüße aus Köln
    Bastian Gierling

    Reply

  4. Andreas Simmert

    Im letzten Satz der RdNr. 26 führt der BGH aus, dass manipulative Eingriffen in die Vergabeunterlagen im eigentlichen Sinne grundsätzlich anders lägen, da ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben werde und bei Hinwegdenken solcher Abweichungen kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegen würde.

    In der Praxis ergeben sich häufig die beiden nachstehenden Fallgestaltungen:

    1. Bieter streicht aus dem Leistungsverzeichnis eine Leistungsposition raus.

    2. Bieter fügt zusätzlich Leistung zum Leistungsverzeichnis hinzu.

    In beiden Fällen wird der Umfang der Leistung abgeändert. In beiden Fällen kann der manipulative Eingriff hinweggedacht werden und würden somit vollständige, den Vergabeunterlagen entsprechende Angebote vorliegen, oder? Hieße das dann im Umkehrschluss, dass nach Hinwegdenken der Abweichungen die Angebote nicht auszuschließen sind?

    Stünde einer solchen Rechtsauffassung nicht § 15 EU Abs. 3 VOB/A entgegen, wonach eine Änderung der Angebote unstatthaft ist? Bei den beiden Fallgestaltungen liegt kein Widerspruch innerhalb des Angebotes vor wie bei angebotenen eigenen Vertragsbedingungen des Bieters. Im Falle des inneren Widerspruchs würde eine im Ergebnis schon vorliegende Willenserklärung nur bestätigt.

    Wenn der Bieter im Rahmen einer Aufklärung von seinen Änderungen Abstand nehmen sollte, welche Auswirkungen hätte das auf den Preis? Verhandlungen über den Preis sind nach § 15 EU Abs. 3 VOB/A ebenfalls unzulässig (wobei der Bieter theoretisch zumindest den angebotenen Gesamtpreis beibehalten könnte). Und in welchem Verhältnis stünden solche nachträglich abgeänderten Angebote zu §§ 13 EU Abs. 1 Nr. 3, 16a EU Abs. 2 VOB/A?

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