Ab einem Preisabstand von 20% zum nächsthöheren Angebot werden wohl die meisten Auftraggeber Zweifel an der Auskömmlichkeit des besten Angebots haben und in eine vertiefte Preisprüfung eintreten. Doch was gilt für den Graubereich zwischen 10% und 20%? Einen solchen Fall hatte die Vergabekammer Bremen zu entscheiden.
VOB/A 2016 § 16 EU Abs. 1 Nr. 1, § 16d EU
Leitsatz (sofern vorhanden)
Sachverhalt
Bei einer europaweiten Bauausschreibung im offenen Verfahren war das Angebot des Bestbieters 18% günstiger als das nächsthöhere Angebot. Der Bieter auf dem zweiten Rang griff den beabsichtigten Zuschlag an, da das Angebot ungewöhnlich niedrig sei.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg!
Die Vergabekammer Bremen stellte fest, dass der Preisabstand von 18% zum zweitplatzierten Angebot noch nicht einmal die nähere Prüfung erfordert hätte, die § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A bei ungewöhnlich niedrigen Angebotspreisen vorschreibt.
Die Rechtsprechung habe insoweit unterschiedliche Aufgreifschwellen herausgebildet. Eine vertiefte Prüfung wird teils erst bei einem Preisabstand von 20%, teils aber auch schon bei ein Abstand von 10% zum nächsthöheren Angebot angenommen. Bei einem Preisabstand von 18% ist nach Ansicht der Vergabekammer anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob eine vertiefte Prüfung erforderlich ist. Es sei dabei auch darauf abzustellen, ob ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung vorliege. Maßstab sei der Vergleich des Angebotspreises mit der ordnungsgemäßen Kostenschätzung des Auftraggebers. Von dieser Schätzung wich der Angebotspreis vorliegend nur 5% und damit geringfügig ab.
Abgesehen davon ließen die in der Vergabeakte enthaltenen Unterlagen und Stellungnahmen des Bieters auch erkennen, dass das Angebot auskömmlich sei.
Rechtliche Würdigung
Zu Recht lehnt die Vergabekammer Bremen eine schematische Anwendung bestimmter Aufgreifschwellen ab und beschränkt sich nicht darauf, den Abstand zum nächsthöheren Angebotspreis zu betrachten. Je nach betroffenem Markt und Komplexität des Vorhabens können sich nämlich durchaus deutliche Schwankungen in der Preisgestaltung ergeben. Es erscheint sachgerecht, in Zweifelsfällen die ordnungsgemäße Kostenschätzung des Auftraggebers bei der Prüfung der Preise mit einzubeziehen. Dieser Vergleich ist auch weniger anfällig für Verzerrungen, die etwa bei mehreren Angeboten zu Dumpingpreisen entstehen können.
Praxistipp
Die Kostenschätzung des Auftraggebers bietet im Rahmen der Preisprüfung eine gute ergänzende Orientierung. Eine vorsorgliche Aufklärung ist in Zweifelsfällen hingegen nicht ohne weiteres zu empfehlen. Denn selbst, wenn sich infolge dieser Aufklärung Zweifel an der Auskömmlichkeit ergeben, darf der Auftraggeber das Angebot trotzdem nicht ausschließen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass er zur Aufklärung nicht berechtigt war (vgl. Pfarr: OLG Karlsruhe: Aufklärungsverbot bei weniger als 10% Preisabstand (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.08.2014 15 Verg 7/14), Vergabeblog.de vom 9/10/2014, Nr.20267).
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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