Für die Einhaltung der Zuschlagskriterien langt eine Eigenerklärung. Die Vergabestelle muss die Angaben des Bieters über die Einhaltung der Mindestanforderungen der Zuschlagskriterien nicht vorher – etwa im Rahmen einer Teststellung – überprüfen. Dies kann erst bei der Vertragsausführung durchgeführt werden. Die (noch nicht rechtskräftige) Entscheidung der Vergabekammer des Bundes bestätigt die bei IT-Ausschreibungen zunehmende Praxis, sich auf die Eigenerklärungen der Bieter im Vergabeprozess zu verlassen und die Überprüfung der Angaben auf die Vertragsebene zu verlagern.
§§ 127 Abs.1, Abs. 4 GWB, § 58 VgV
Sachverhalt
Das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern (BMI) schrieb im offenen Verfahren einen Rahmenvertrag aus. Auftragsgegenstand ist die Erbringung von Liefer- und Dienstleistungen für Software zur Schnittstellenkontrolle (SSK) mit dem Ziel, das Ausbringen von Schadsoftware auf externen Datenträgern zu unterbinden. Der geschätzte Gesamtwert des Auftrags ist mit 24.000.000 EUR netto für eine Laufzeit von vier Jahren angegeben.
Der abzuschließende Rahmenvertrag und die Leistungsbeschreibung beziehen sich auch auf die Einhaltung und Gewährleistung des „Mindeststandards des BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) für Schnittstellenkontrollen nach § 8 Absatz 1 Satz 1 BSIG„. Dieser sieht vor:
„Zur Umsetzung des Mindeststandards ist zu prüfen, ob die umgesetzten Maßnahmen zur Schnittstellenkontrolle alle Sicherheitsanforderungen (siehe Kapitel 2) vollständig erfüllen oder ob ggf. noch ergänzende Softwareprodukte beschafft werden müssen. Eigene Prüfungen nach Teststellung und Installation in einer dem geplanten Einsatzszenario entsprechenden Umgebung werden empfohlen.“ (Seite 5)
Die Bieter bestätigten mit dem Ausfüllen eines Fragenkatalogs und der Abgabe der Eigenerklärungen die Einhaltung der Mindestanforderungen.
Nur ein zuschlagsfähiges Angebot verblieb in der Wertung. Ein ausgeschlossener Bieter rügte unter anderem, dass die Vergabestelle keine vergaberechtskonforme Überprüfung des geforderten Mindeststandards des BSI vornehme. Das BMI sei im Wege der Selbstbindung der Verwaltung zum Einsatz solcher Produkte verpflichtet, die nachweislich sämtliche Anforderungen des Mindeststandards erfüllten. Wenn das BMI aber keine eigene Prüfung der Anforderungen vorsehe und sich auf die Erklärungen der Bieter verlasse, verstoße es gegen die ihr nach dem BSI-Gesetz ableitbare Verpflichtung zur Einhaltung und Umsetzung der Mindeststandards obliegenden Prüfpflicht. Ohne Überprüfung könne die Umsetzung von umfangreichen Sicherheitsaspekten vor Erteilung des Zuschlags nicht gewährleistet werden, so dass nach Sinn und Zweck der in den Mindeststandards niedergelegten Prüfpflicht der Auftraggeber eine aktive Überprüfung vornehmen müsse. Dies gewährleiste der in den Vergabeunterlagen vorgesehene vom Bieter auszufüllende Fragenkatalog nicht. Ein wirksamer Wettbewerb sei damit ausgeschlossen.
Nachdem der Rüge des Bieters (auch zur intransparenten Eignungsanforderung und vergaberechtswidriger Wertung) nicht abgeholfen wurde, wehrt er sich vor der Vergabekammer.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg. Die Vergabekammer stellt im Hinblick auf die unterlassene Prüfpflicht klar, dass ein Auftraggeber vergaberechtlich nicht verpflichtet ist, die Entscheidung über die Einhaltung der Zuschlagskriterien vorher zu überprüfen oder eine Teststellung der Angebote im Hinblick auf den in den Vergabeunterlagen geforderten BSI-Mindeststandard vorzunehmen.
Schon aus § 8 Abs. 1 Satz 1 BSI-Gesetz ergäbe sich keinerlei Prüfpflicht bei der Beschaffung von IT für Einrichtungen des Bundes. Das BMI kann den vom BSI erarbeiteten Mindeststandard ganz oder teilweise als allgemeine Verwaltungsvorschriften für alle Stellen des Bundes erlassen, wobei eine Umsetzung in Form einer Verwaltungsvorschrift bisher nicht erfolgt sei (ob überhaupt eine Verwaltungsvorschrift im Außenverhältnis als bieterschützende Anspruchsgrundlage im Vergabeverfahren geltend gemacht werden kann, lässt die VK Bund offen).
Eine technische Prüfung vor der Zuschlagserteilung müsse nicht erfolgen. Wenn die Bieter sich mit Abgabe des Angebots vertraglich zur Einhaltung dieses Standards verpflichten würden, genüge dies den Anforderungen nach § 127 Abs. 1 und 4 GWB i.V.m. § 58 VgV zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots und gewährleiste einen wirksamen Wettbewerb.
Schon der Wortlaut der Ziffer 1 des BSI-Mindeststandards verweise mit „umgesetzte Maßnahmen“ auf eine nachgelagerte Prüfung, wenn der Abruf der Leistung durch einen Berechtigten des Vertrags stattgefunden hat. Zudem könne anhand der Einsatzszenarien bei verschiedenen abrufberechtigten Bundesbehörden eine konkrete Überprüfung sinnvollerweise erst vor Ort beim Bedarfsträger erfolgen. Eine Prüfung durch eine zentrale Vergabestelle ohne Einbindung der einzelnen Bedarfsträger wäre somit nicht zielführend für den konkreten Bedarf.
Die Einhaltung der BSI-Mindeststandards wird demnach gegenüber den abrufberechtigten Bedarfsträgern geschuldet. Aus der vertraglichen Einbeziehung des BSI-Mindeststandards ergäbe sich eine nachgelagerte Prüfung durch Teststellungen im Rahmen der Vertragsdurchführung. Jeder Bieter habe mit seinem Angebot zugesichert, dass er die Anforderungen in der Leistungsbeschreibung einschließlich des BSI-Mindeststandards einhalten werde. Sollte die Leistung nicht vertragsgerecht erfolgen, setzte er sich erheblichen Nachbesserungs- oder/und Schadensersatzforderungen der Bedarfsträger bis hin zu einer Kündigung des Rahmenvertrags aus.
Rechtliche Würdigung
Die noch nicht rechtskräftige Entscheidung entspricht zwar – zumindest bei dem vorliegenden Sachverhalt – den Vorgaben der Rechtsprechung zu § 127 GWB im Rahmen der Beschaffungshoheit der Vergabestellen.
In der Praxis wird jedoch damit die Überprüfung komplett auf die Vertragsebene verlagert. Sofern die Angaben des Bieters nicht zutreffen, kann die Vergabestelle zwar Schadenersatz- oder Minderungsansprüche bis hin zur Kündigung geltend machen. Damit ist jedoch weder der Vergabestelle noch den Bedarfsträgern gedient, die eine Software geliefert bekommen wollen, die den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entspricht und keine Mängelprozesse führen wollen.
Praxistipp
Wenn anhand der konkreten Einsatzszenarien klar ist, dass eine Testellung nicht sinnvoll bzw. zielführend ist oder die ausgeschriebene Leistung vorwegnehmen würde, sollte hinterfragt werden, mit welchen anderen Mechanismen eigenen Angaben der Bieter überprüft werden können, um etwaigen unliebsamen Überraschungen nach Vertragsschluss vorzubeugen.
Das BMI hat vorliegend eine großvolumige Software-Beschaffung im siebenstelligen Bereich im offenen Verfahren ausgeschrieben.
Durch die Wahl eines (hier mit Sicherheit zulässigen) Verhandlungsverfahrens hätte man zumindest eine Möglichkeit gehabt, die Angaben der Bieter im umfangreichen Anforderungskatalog in der Verhandlungsrunde kritisch zu hinterfragen, auch wenn dies keine Teststellung ersetzt.
Anmerkung der Autorin
Gegen die Entscheidung wurde sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf, Az. Verg 34/19, eingelegt.
Monika Prell
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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