Der Erhalt von Zuwendungen ist regelmäßig mit der Nebenbestimmung versehen, die vergaberechtlichen Vorschriften zu beachten. Verstöße gegen materiell-rechtliche Vorschriften des Vergaberechts können auch nach Jahren des Erhalts zu einer vollständigen oder teilweisen Rückforderung durch die Fördermittelgeber führen. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ist bereits seit einigen Jahren diesbezüglich unerbittlich. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat diese Linie jüngst in einigen zentralen Rechtsfragen – insbesondere bei der Frage, wann die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG zu laufen beginnt – erneut bestätigt.
§§ 48, 49 VwVfG NRW, § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOB/A 1992, § 25 Nr. 1 Abs. 1b VOB/A 1992
Sachverhalt
Die Klägerin – eine Gemeinde – wandte sich per Anfechtungsklage gegen den im Jahr 2016 erfolgten Widerruf eines Zuwendungsbescheides für ein bereits im Jahr 1993 beauftragtes und begonnenes Bauvorhaben, welches u. a. den Bau eines Zubringers und eines Radweges vorsah. In dem Zuwendungsbescheid war als Auflage vorgesehen, dass die Gemeinde die „Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung an Gemeinden“ (ANBest-G) beachten muss. Die ANBest-G verweisen insofern auf die Vergabegrundsätze für Gemeinden, die u. a. eine Verbindlichkeit der VOB/A 1. Abschnitt (hier in der Fassung der VOB/A 1992) anordnen. Den Widerruf stützte der Fördermittelgeber auf einen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß der Gemeinde. Nach Auffassung des Zuwendungsgebers hätte das bezuschlagte Angebot der Bietergemeinschaft zwingend aufgrund fehlender Unterlagen (Nichtvorlage der Formblätter EFB-Preis 1 und 2 – heute: Formblätter 221, 222 VHB Bund) ausgeschlossen werden müssen.
Entscheidung
Die Klage der Gemeinde hat keinen Erfolg. Das OVG Münster hat die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil nicht zugelassen.
Der Widerrufsbescheid ist innerhalb der Widerrufsfrist erfolgt. Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dabei handelt es sich um eine Entscheidungsfrist, die erst nach vollständiger behördlicher Kenntnis der nach einem objektiven Maßstab für die Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtsfragen zu laufen beginnt. Nach Auffassung des OVG Münster gehört hierzu regelmäßig ein abgeschlossenes Anhörungsverfahren gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG des Zuwendungsempfängers. Die Behörde hat es hiernach selbst in der Hand, für den Beginn der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zu sorgen. Denn unterlässt die Behörde die Anhörung, so läuft die Frist nicht. Auch „Verzögerungshandlungen“ der Behörde führen nicht zu einem Fristbeginn.
Das OVG Münster ist ferner der Auffassung, bei öffentlichen Zuwendungsbescheiden sei das Widerrufsermessen des Zuwendungsgebers regelmäßig zugunsten eines Widerrufs intendiert. Der Zuwendungsgeber müsse bei einem nicht vom Regelfall abweichenden Sachverhalt den Widerruf nicht näher begründen, lediglich sein Ermessen dahingehend ausüben, ob ausnahmsweise von einem Widerruf abzusehen sei. Um dieses Ermessen ausüben zu können, sei regelmäßig eine Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG geboten.
Zudem lag ein Widerrufsgrund vor. Die Klägerin habe gegen die zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe geltende objektive Rechtslage verstoßen. Auf der Grundlage der maßgeblichen VOB/A 1992 sollten die Angebote gemäß § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOB/A 1992 nur die Preise und die geforderten Erklärungen beinhalten. Eine Möglichkeit – oder gar eine Verpflichtung zur Nachforderung i. S. v. § 16a Abs. 1 VOB/A 2019 – bestand zum damaligen Zeitpunkt nicht. Da dem bezuschlagten Angebot der Bietergemeinschaften die notwendigen Formblätter zur Preisaufgliederung fehlten, lag ein zwingender Ausschlussgrund gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1b) VOB/A 1992 vor.
Ob eine Rechtsfrage – hier zur Rechtmäßigkeit des Ausschlusses – in der vergaberechtlichen Literatur oder Rechtsprechung zeitweise umstritten gewesen ist, sei zudem nicht auf der Tatbestandsseite relevant, sondern allenfalls auf Ermessensseite bei der Bewertung, ob ein „schwerer“ Vergaberechtsverstoß vorliegt. Da zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe keine gefestigte Rechtsauffassung bestanden habe, welche das Vorgehen der Gemeinde (kein Ausschluss des Angebots der Bietergemeinschaft) legitimierte, sei der Vergaberechtsverstoß auch ein „schwerer“ gewesen.
Bewertung
Die Entscheidung verdeutlicht wieder einmal, welche verhängnisvolle Auswirkung Vergaberechtsverstöße für den Zuwendungsempfänger haben können.
Die Entscheidung ist bereits hinsichtlich der zeitlichen Sphären bemerkenswert: Die Auftragsvergabe erfolgte im Kern bereits im Jahr 1993 und ist damit fast 30 Jahre alt. Durch bloßen Zeitablauf erlangen Zuwendungsempfänger somit keine Gewissheit, die Zuwendungen in voller Höhe behalten zu dürfen. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist hier keine Hilfe. Durch das Anknüpfen an eine erfolgte Anhörung des Zuwendungsempfängers hat es der Zuwendungsgeber durch eigenes untätig bleiben in der Hand, den Beginn der Jahresfrist zu verhindern. Dies ist kritisch zu sehen, da auch eine Verwirkung des Widerrufsrechts durch die Behörde nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen dürfte.
Soweit das OVG Münster zudem von einem intendierten Ermessen zugunsten eines Widerrufs ausgeht, ist dies keinesfalls in der Rechtsprechung unumstritten. Das OVG Koblenz hat dies jüngst ebenfalls für eine Aufhebung eines Zuwendungsbescheides ausdrücklich abgelehnt (Urteil vom 10.12.2019 – 6 A 10517/19).
Sehr einfach macht es sich das Gericht weiterhin, indem es im Rahmen der Prüfung des materiellen Vergaberechtsverstoßes die gegenteilige Rechtsprechung verschiedener Nachprüfungsinstanzen zu dem vorliegenden Ausschlussgrund als nicht relevant qualifiziert. In dem vorliegenden Fall ist eine endgültige Klärung der maßgeblichen Rechtsfrage zum Angebotsausschluss erst durch eine BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2005 (immerhin 12 Jahre nach der Auftragsvergabe!) eingetreten. Der Zuwendungsempfänger muss laut des OVG Münster in gutem Glauben an eine gefestigte Rechtsmeinung gehandelt haben. Diese Anforderungen erscheinen überzogen. Was eine gefestigte Rechtsmeinung ist, dürfte in vielen Fällen insbesondere für den Rechtslaien kaum zu beurteilen sein. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es gerade im Vergaberecht nicht selten zu unerwarteten Änderungen in der Rechtsprechung kommt. Man denke hier nur an die aktuelle BGH-Entscheidung, wonach ein Ausschluss eines Angebots aufgrund der Beifügung von Bieter-AGB – entgegen jahrelanger Praxis und ganz überwiegender Rechtsprechung – nur noch im Ausnahmefall in Betracht kommen soll (Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17, Vergabeblog.de vom 16/09/2019, Nr. 41982). Nach Auffassung des Verfassers muss es genügen, dass der Fördermittelempfänger eine zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe vertretbare Rechtsauffassung seiner Entscheidung zugrunde legt.
Praxistipp
Beim Einsatz von Zuwendungen ist besondere Vorsicht bei der Durchführung von Vergabeverfahren angesagt. Dies gilt gerade bei der Beantwortung von Fragen, die zum Zeitpunkt der relevanten vergaberechtlichen Entscheidung kontrovers diskutiert werden. Hier empfiehlt es sich, den Entscheidungsprozess besonders sorgfältig und unter Darlegung der verschiedenen Erwägungen zu dokumentieren. Hilfe von der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wenn „das Kind erstmal in den Brunnen gefallen ist“ – sprich: der Widerrufsbescheid da ist –, ist jedenfalls nicht zu erwarten.
Sascha Opheys ist Rechtsanwalt und Partner im Düsseldorfer Büro von BEITEN BURKHARDT und Mitglied der Praxisgruppe Government & Public Sector. Sein Tätigkeitsbereich umfasst die Beratung in- und ausländischer Unternehmen sowie öffentlicher Einrichtungen in allen vergabe-, beihilfe- und zuwendungsrechtlichen Fragen. Zu seinen Schwerpunkten zählt die Beratung öffentlicher Auftraggeber bei Infrastrukturprojekten und komplexen Auftrags- und Konzessionsvergaben, insbesondere in den Branchen IT, Healthcare und Verkehr (ÖPNV/SPNV). Dies umfasst sowohl die umfassende Beratung und Begleitung bei der Durchführung des Vergabeverfahrens als auch die Vertretung in Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern und Oberlandesgerichten. Daneben tritt er als Referent in Seminaren und In-house-Schulungen auf und publiziert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.
Das Plädoyer des Autors Sascha Opheys nach mehr Bodenhaftung im Zuwendungsrecht kann man nur unterstreichen. Teilweise werden absurde Vorgaben schon in Förderbescheiden gemacht und diese mit absurd-theoretischen Ausführungen von Prüfern im Rahmen der Kontrolle von Verwendungsnachweisen etc. unterstrichen. Die Kontrollinstanzen exekutieren hier teilweise unerbittlich, unterstützt durch eine Rechtsprechung, die (auch wiederum EU-seitig angetrieben) ebenfalls beinhart ist. Die Verhältnismäßigkeit (die auch rechtlich Grundlage des Verwaltungshandelns sein sollte) bleibt völlig auf der Strecke. Bedenklich ist dies v.a. auch angesichts der über Jahre hinaus laufenden hohen Verzinsung (!) von Rückzahlungsbeträgen. Die Zinsen übersteigen teilweise die Rückzahlungssumme…!
Nichts spricht gegen wirtschaftliche Verwendung von (Förder-)Mitteln, angesichts der teilweise nur schwierig einzuhaltenden formalen Vorgaben muss auch bei der Rückforderung die Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Hier muss ggf. noch de lege ferenda etwas geändert werden.