Zur Zulässigkeit der Direktvergabe ohne vorherige EU-Bekanntmachung – Die VK Bund ist in dieser Entscheidung auf die Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb im Rahmen des § 14 Abs.4, 6 VgV eingegangen und hat hierbei die Anforderungen an die Markterkundung neu justiert.
VgV § 14 Abs. 4, 6
Sachverhalt
Eine überwiegend vom Bund finanzierte Forschungseinrichtung beschaffte eine Röntgenkleinwinkelstreuanlage (SAXS-Anlage) direkt. Die Beschaffung wurde erst nach Zuschlag EU-weit bekannt gemacht. Diese Anlage sollte von der Auftraggeberin im Rahmen der Forschung eingesetzt werden. Die Direktvergabe rechtfertigte die Auftraggeberin damit, dass nur das beauftragte Unternehmen (im Folgenden: die Beigeladene) in der Lage sei, den Beschaffungsbedarf zu erfüllen. Die Auftraggeberin gab an, Röntgenoptik und Strahlstabilität seien von der Beigeladenen patentiert. Die Auftraggeberin dokumentierte in den Vergabeunterlagen, welche Anforderungen für ihre Forschungszwecke gestellt wurden und welche Maßnahmen zur Markterkundung unternommen wurden. Darunter war neben einer zweiwöchigen (Internet-)Recherche auch eine Diskussion mit Fachkollegen und externen Experten. Allerdings hat die Auftraggeberin nicht mit allen vier Unternehmen gesprochen, die grundsätzlich solche Anlagen weltweit herstellen.
Antragstellerin des Nachprüfungsverfahrens ist eines dieser vier Unternehmen, die ähnliche SASX-Anlagen herstellen. Nach Kenntniserlangung des Zuschlags rügte diese das Vorgehen der Auftraggeberin, da solche Geräte im Regelfall in Absprache mit dem Käufer spezialisiert würden und legte schließlich einen Nachprüfungsantrag ein.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag statt und erklärte den Vertrag zwischen der Auftraggeberin und der Beigeladenen für unwirksam, denn die Voraussetzungen für eine Direktvorgäbe lägen nicht vor.
Der Ausnahmetatbestand in § 14 Abs. 4 Nr. 4 VgV, der das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb für Lieferleistungen, die ausschließlich zu Forschung-, Versuchs-, oder Entwicklungszwecken hergestellt werden, ermöglicht, greife nicht, denn die SAXS-Anlagen kämen auch in der Industrie zum Einsatz. Darüber hinaus forsche die Auftraggeberin nicht an dem Gerät, sondern setze es als Hilfsmittel zur Erforschung anderer Objekte ein.
Allein das Bestehen von Patenten rechtfertige auch nicht, dass die Leistung wegen „des Schutzes von ausschließlichen Rechten, insbesondere von gewerblichen Schutzrechten“ im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit c) VgV nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden könne. Die Auftraggeberin sei insofern in der Darlegungspflicht. Dieser sei sie hier nicht nachgekommen.
Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit b) VgV seien auch nicht erfüllt. Dieser setzt voraus, dass „der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, […] weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist […]“. Als Ausnahmevorschrift von der Ausschreibungspflicht nach § 119 Abs. 2 S.1 GWB sei diese Vorschrift entsprechend der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung (Urteil v. 15.10.2009 Rs. C-275/08) grundsätzlich eng auszulegen. Da das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung den Wettbewerb sogar vollständig ausschließe, dürfte auf dieses „nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen“ (vgl. 50. Erwägungsgrund RL 2014/24/EU) zurückgegriffen werden.
Erschwerend kämen die kumulativen Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs. 6 VgV hinzu. Demnach sei § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit b) nur anwendbar, sofern es „keine vernünftigen Alternativen oder Ersatzlösungen gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist“.
Diese Voraussetzungen müssten, wie vom EuGH in der Entscheidung C-275/08 festgestellt, objektiv vorliegen und der Auftraggeber sei in der Darlegungs- und Beweispflicht. Der Auftraggeber müsse vorher ermitteln, ob tatsächlich nur ein Unternehmen den Beschaffungsbedarf decken kann. An diese Ermittlung seien ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen, insbesondere seien nach der Rechtsprechung „ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene“ notwendig und es müssen „stichhaltige Beweise“ vorgebracht werden. Sowohl die Bestimmung des Beschaffungsbedarfs als auch der Umfang der Markterforschung durch den Auftraggeber seien in diesen Fällen nachprüfbar. Insbesondere dürfe eine mangelhafte Dokumentation des Auftraggebers nach der Rechtsprechung des BGH nicht nachgeholt werden. Die Auftraggeberin sei den Anforderungen nicht gerecht geworden, insbesondere der Erfahrungsaustausch mit Fachkollegen und die Internetrecherche seien nicht hinreichend. Als weiteres Argument führt die VK an, dass es sich bei den SASX-Anlagen nicht um standardisierte Massenware handle und regelmäßig besondere Anfertigungen angepasst an potentielle Kunden entwickelt und in kurzer Zeit fortentwickelt würden. Auch die Auftraggeberin habe im konkreten Fall Verhandlungen zur Optimierung des Geräts mit der Beigeladenen geführt. Unstreitig gäbe es weltweit nur vier Hersteller, sodass konkrete Anfragen an jedes dieser Unternehmen auch keinen unzumutbar hohen Aufwand darstellten.
Die Auftraggeberin hatte darüber hinaus argumentiert, dass § 14 Abs. 6 VgV nur verpflichte, „vernünftige Alternativen“ hinsichtlich der Bestimmung des Leistungsgegenstandes zu prüfen. Eine Prüfung „vernünftiger Alternativen“ hinsichtlich der Alternativlosigkeit des Unternehmens der Leistungserbringung sah die Auftraggeberin im Rahmen des § 14 Abs. 6 VgV für nicht erforderlich. Die VK entkräftet diesen Interpretationsansatz der Auftraggeberin nicht ausdrücklich. Sie weist jedoch darauf hin, dass hieraus nicht der Schluss gezogen werden könne, dass der Leistungserbringer auch einzigartig im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit b) VgV sei. Eine Einschätzung über „vernünftige Alternativen“ könne nur vollständig beurteilt werden, wenn erforscht wurde, welche Produkte von welchen Herstellern auf dem Markt vorhanden seien. Alles andere würde den Wettbewerb künstlich einengen, was dem Grundsatz der Wettbewerbsoffenheit entgegenstehe.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung vermag im Ergebnis nicht zu überraschen, allerdings gibt sie einige hilfreiche Hinweise zur Konkretisierung der unbestimmten Voraussetzungen einer Direktvergabe insbesondere im Hinblick auf die „sehr außergewöhnlichen Umstände“ oder den Umfang der Markterkundung. Dementsprechend lohnt sich die Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung durchaus. Weder die Fachgespräche noch die zweiwöchige Recherche haben im vorliegenden Fall die Anforderungen an eine umfassende Markterkundung erfüllt. Insbesondere hat die VK darauf hingewiesen, dass es jedenfalls bei nur vier Anbietern weltweit für den Auftraggeber zumutbar wäre, diese auch explizit auf ihre Produkte anzusprechen. Erst dann wäre den Anforderungen an die Markterkundung Rechnung getragen. Dies sollte bei vergleichbaren Fällen berücksichtigt werden.
Bezüglich des Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bei Leistungen, die ausschließlich zu Forschungszwecken beschafft werden, hat die VK konkretisiert, dass es sich auch bei in diesem Bereich eingesetzten Geräten nicht um industrielle Massenprodukte handeln dürfe oder dieses Gerät jedenfalls selbst Gegenstand der Forschung sein müsse. Dies war vorliegend nicht der Fall, da die SASX-Anlagen auch in der Industrie eingesetzt werden und nicht an den Geräten selbst geforscht werden sollte. Damit wird eine Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Jahre 2010 (Verg 46/09) bestätigt, die feststellte, dass die zu liefernden Leistungen selbst Gegenstand der Forschung sein müssen. § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB nimmt bereits eine Reihe von Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen vom Vergaberecht aus, sofern diese selbst vergütet und selbst verwertet werden. Durch das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bei Lieferleistungen für Forschung und Entwicklung können zwar weitere Beschränkungen in diesem Bereich gemacht werden. Allerdings entbindet dies nicht von der engen tatbestandlichen Auslegung der Vorschriften zur Direktvergabe, denn es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift. Tendenziell ist eine Beschaffung im Forschungskontext, auf die das Vergaberecht nach dem GWB anwendbar ist, auch nicht über § 14 Abs. 4 Nr. 4 VgV von der Ausschreibungspflicht befreit. Nur weil eine Leistung mit Forschung in Berührung kommt, ist ein Einfallstor für die Direktvergabe somit noch lange nicht eröffnet.
Im Kontext der restriktiven Handhabung von Ausnahmevorschriften reiht sich die VK Bund mit dieser Entscheidung in die einschlägigen Grundsatzentscheidungen ein. Auch die Darlegungs- und Beweispflicht für das Vorliegen von Ausnahmen begründenden Umständen beim Auftraggeber und die damit verbundene Dokumentationspflicht, die nicht ohne weiteres nachgeholt werden kann, sollten inzwischen allgemein bekannt sein.
Praxistipp
Der Beschluss ist als abermaliger Hinweis auf den begrenzten Anwendungsbereich der Direktvergabe zu verstehen. Auch wenn der ein oder andere Auftraggeber die Ausnahmen des § 14 VgV allzu schnell für einschlägig hält, sind die tatbestandlichen Anforderungen sehr hoch und in der Praxis nur mit Recherche- und Begründungsaufwand zu belegen. Die Anmerkungen zur Markterkundung sollten auch beherzigt werden, jedenfalls als Negativbeispiele. Konkrete Anfragen und eine Erkundung aller perspektivisch in Betracht kommenden Produkte und Unternehmen sind jedenfalls bei einer überschaubaren Anzahl von in Frage kommenden Bietern notwendig. Andernfalls droht wie hier die nachträgliche Feststellung, dass der geschlossene Vertrag unwirksam ist.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau stud. jur. Neele Schauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kanzlei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt am Main / Berlin, verfasst.
Tim Kuhn ist seit 2018 als Rechtsanwalt bei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt am Main, im Bereich des Vergaberechts tätig. Seine Schwerpunkte liegen einerseits in der Erstellung von Ausschreibungen für (Sektoren-)Auftraggeber und andererseits in der bundesweiten Beratung von Bietern in sämtlichen Stadien des Vergabeverfahrens, insbesondere in Nachprüfungsverfahren vor verschiedenen Vergabekammern und der anschließenden Beschwerdeinstanz bei dem Oberlandesgericht.
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