Lässt sich die Bedeutung einer widersprüchlichen Erklärung nicht im Wege der Auslegung zweifelsfrei ermitteln, dürfen Angebote trotzdem nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. Grundsätzlich muss der Auftraggeber den Bieter zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots auffordern und ihm Gelegenheit geben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen. Eine Klarstellung offensichtlicher Unrichtigkeiten durch den Bieter führt nicht zu einer Änderung der Vergabeunterlagen und verstößt auch nicht gegen das Nachverhandlungsverbot.
§§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 49 Abs. 3 VwVfG; §§ 13, 15, 16 VOB/A
Leitsatz
Der öffentliche Auftraggeber muss und darf Angebote, die widersprüchliche Angaben enthalten, nicht ohne weiteres von der Wertung ausnehmen, ohne das Bieterunternehmen zuvor zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert und ihm Gelegenheit gegeben zu haben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen (wie OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21. Oktober 2015 – VII – Verg 35/15 -, juris Rn. 34 ff.).
Eine Korrektur offensichtlicher Unrichtigkeiten durch das Bieterunternehmen führt nicht zu einer Änderung der Vergabeunterlagen und verstößt auch nicht gegen das Nachverhandlungsverbot.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über den teilweisen Widerruf einer Zuwendung wegen eines behaupteten Verstoßes gegen vergaberechtliche Regelungen. Der Auftraggeber (im vorliegenden Verfahren die Klägerin) erhielt mit Bescheid der Beklagten eine Zuwendung aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). In den Nebenbestimmungen wird u. a. darauf hingewiesen, dass die als Anlage beigefügten Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung an kommunale Körperschaften (ANBest-K) Bestandteil des Bescheids sind. Der Auftraggeber schrieb daraufhin Dachdecker- und Dachklempnerarbeiten“ aus. Mit dem Angebot abzugeben waren von den Bietern u.a. die ausgefüllten Formblätter 233 und 234 (Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen) und 221 oder 222 (Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation oder Kalkulation über die Endsumme).
In seinem Angebot erklärte der Bieter und spätere Auftragnehmer (ein Dachdeckerunternehmen), dass er Leistungen, die er nicht in den Formblättern 233 und/oder 234 angegeben habe, im eigenen Betrieb ausführen werde. Die Formblätter 233 und 234 (Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen) waren dem Angebot unausgefüllt beigefügt. Auch das Formblatt 221 (Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation) war nicht ausgefüllt. Dem Antrag war aber allerdings ein vom Zuschlagsbieter eigenständig erstelltes Blatt mit Angaben zur Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation beigefügt. Darin finden sich Angaben über den Verrechnungslohn und Zuschläge sowie unter der Überschrift Ermittlung der Angebotssumme neben eigenen Lohn- und Stoffkosten auch die Angaben: Nachunternehmerleistungen (unmittelbare Herstellungskosten in Euro) 15.832,04 (Angebotssumme in Euro)„. Weiter beigefügt waren dem Angebot eine Aufgliederung der Einheitspreise nach EFB 223 sowie ein Leistungsverzeichnis, in dem die Preise für die Einzelpositionen angegeben sind. Diese Unterlagen enthalten keinen Hinweis auf die Beteiligung anderer Unternehmen. In einem Bietergespräch erklärte der Bieter, dass er keine Nachunternehmer zur Erbringung der Leistungen einsetzen werde. Später bat der Auftraggeber um Aufklärung zum Einsatz von Nachunternehmern, da im Formblatt Ermittlung der Angebotssumme Nachunternehmerleistungen angegeben seien. Der Bieter erklärte daraufhin, dass die Angaben unter der Überschrift Ermittlung der Angebotssumme nur Gegenstand einer internen Berechnung seien und keine Nachunternehmer eingesetzt werden. Daraufhin beauftragte der Auftraggeber den Bieter mit den in Rede stehenden Dachdeckerleistungen.
Die Beklagte erachtete dieses Vorgehen als vergaberechtswidrig und widerrief teilweise die Zuwendung. Das Angebot des Bieters hätte zwingend vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen. Dem Bieter sei in unzulässiger Weise zugestanden worden, seine widersprüchlichen Angaben im selbst erstellten Formblatt Preisermittlung und im Formblatt 233 (Nachunternehmerverzeichnis) einander anzupassen. Das Angebot hätte wegen der widersprüchlichen Angaben zwingend nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A ausgeschlossen werden müssen.
Mit Widerspruchsbescheid wies der Beklagte den Widerspruch des Auftraggebers gegen den Bescheid zurück. Auf die von dem Auftraggeber erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Gegen das Urteil hat der Beklagte einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Daraufhin hat der Senat die Berufung zugelassen und nunmehr über diese entschieden.
Die Entscheidung
Die zulässige Berufung des Beklagten bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil er rechtswidrig ist und den Auftraggeber in seinem Recht verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für einen teilweisen Widerruf des Zuwendungsbescheids lagen nicht vor. Der hier allein in Betracht kommende Widerrufsgrund liegt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht vor. Der Auftraggeber hat nicht gegen die Auflage des Bewilligungsbescheids, vergaberechtliche Regelungen zu beachten (vgl. Nr. 3.1 ANBest-K), verstoßen.
Es entspricht gefestigter vergaberechtlicher Rechtsprechung, dass vom Bieter Angaben dazu verlangt werden können, welche Teile der angebotenen Leistung von Nachunternehmern erbracht werden sollen und welcher Teil des Angebotspreises auf diese Nachunternehmerleistungen entfällt, und dass der Bieter diese verlangten Angaben vollständig und widerspruchsfrei vorzunehmen hat und sein Angebot bei Widersprüchen von der Wertung auszuschließen sein kann. Hier lag ein Widerspruch auf den ersten Blick deshalb vor, weil im Antrag und in den Formblättern 233 und 234 keine Nachunternehmerleistungen angegeben waren, in den beigefügten Angaben zur Preisentwicklung bei Zuschlagskalkulation jedoch Nachunternehmerleistungen aufgeführt werden.
Damit waren die Erklärungen zu Nachunternehmerleistungen aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Angebotsempfängers (vgl. §§ 133, 157 BGB) zunächst widersprüchlich. Im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten bestand aber keine Verpflichtung, das Angebot von der Vergabe auszuschließen. Vielmehr war der Auftraggeber berechtigt und auch verpflichtet, den von einem Ausschluss seines Angebots betroffenen Bieter zuvor zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen. Gemäß der Intention der VOB/A 2009, Angebotsausschlüsse aus lediglich formalen Gründen nach Möglichkeit zu vermeiden, darf der öffentliche Auftraggeber Angebote, die bei Vorliegen formaler Mängel wegen widersprüchlicher Angaben (Erklärungen oder Nachweise) an sich ausschlusswürdig“ sind, nicht ohne weiteres von der Wertung ausnehmen, ohne dass von einem Ausschluss bedrohte Bieterunternehmen zuvor zu einer Aufklärung über den Inhalt des Angebots aufgefordert und ihm Gelegenheit gegeben zu haben, den Tatbestand der Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen. Das OVG ergänzt, dass auch der Bundesgerichtshof in seinem (kontrovers diskutierten) Urteil vom 18.06.2019 zum Az. X ZR 86/17 bei Widersprüchen im Angebot (im Fall: zu der Verwendung eigener allgemeiner Geschäftsbedingungen) – obiter – davon ausgeht, dass eine Klarstellung des Angebotsinhalts erfolgen müsse.
Die fristgemäß erfolgte Erklärung des Bieters beinhaltete auch nur eine Klarstellung des Inhalts und keine unzulässige Abänderung des Angebots. Werden Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen, führt dies gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b und § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A zum Ausschluss von der Vergabe. Hier handelt es sich indes um die Behebung einer offensichtlichen Unrichtigkeit und nicht die Abänderung des Angebots oder der Vergabeunterlagen. Der Bieter hat in seinen Angaben zur Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation fälschlich den Begriff Nachunternehmerleistungen“ anstelle z.B. des Begriffs Leistungen des Betriebsteils Klempnerei“ verwand. Es geht deshalb nicht um eine materielle Änderung von Angaben, sondern die Behebung eines Schreibversehens. Im vorliegenden Fall erfolgte lediglich eine Korrektur einer formal fehlerhaften Angabe; der Bieter wollte sich nicht den Einsatz von Nachunternehmern offenhalten. Der Auftraggeber hat somit zutreffend nach der zulässigen und gebotenen Aufklärung des Bieters, der das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hatte, den Zuschlag erteilt. Mangels Vergabefehler war ein Widerruf der Zuwendung wegen eines Auflagenverstoßes nicht gerechtfertigt.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) ist zutreffend. Das OVG hat sich mit der Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen erfreulich eingehend auseinandergesetzt und eine dieser Spruchpraxis vollumfänglich Rechnung tragende Entscheidung getroffen. Dies ist zu begrüßen, da es in Anbetracht der in den letzten ca. 10 Jahren deutlich zugenommenen Bedeutung des Vergaberechts im Zuwendungsverhältnis für die Rechtssicherheit wichtig ist, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei ihrer Würdigung von vergaberechtlichen Fragen auf einer Linie mit der Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen liegt. Die mitunter verbreitete Auffassung, dass die Verwaltungsgerichte als vermeintlich fachfremde Gerichtsbarkeit das Vergaberecht nicht hinreichend verstehen bzw. einen strengeren Rechtmäßigkeitsmaßstab anlegen, wird damit entgegengewirkt. Die vorstehende Entscheidung des OVG Sachsen ist zu begrüßen, da das OVG einen im behördlichen Verfahren noch bejahten Vergaberechtsverstoß letztinstanzlich zurecht verneint hat.
Bei widersprüchlichen Angebotsinhalten gilt im Grundsatz mithin Folgendes:
Bei einem infolge einer Widersprüchlichkeit wahrscheinlichen Eintragungsfehler, der einer Klärung mittels Auslegung nicht zugänglich ist, reduziert sich das ansonsten bestehende Aufklärungsermessen also zu einer Aufklärungspflicht. Der Bieter ist vom Auftraggeber zu einer Aufklärung des Angebots aufzufordern und ihm ist Gelegenheit zu geben, die Widersprüchlichkeit nachvollziehbar auszuräumen. Dieser Grundsatz entspricht dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 02.08.2017 zum Az. Verg 17/17 im Zusammenhang mit der Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen. Das OLG Düsseldorf hebt zutreffend hervor, dass eine Klarstellung des Angebotsinhalts zwar zulässig ist, nicht aber seine nachträgliche Änderung. Bei Preisangaben hat dies zur Folge, dass von einer zulässigen Klarstellung des Angebotsinhalts nur auszugehen ist, wenn der tatsächlich gemeinte (richtige) Preis durch Auslegung des Angebotsinhalts gemäß §§ 133, 157 BGB bestimmt werden kann.
Auf zwei weitere Aspekte, welche in der vorliegenden Entscheidung ebenfalls thematisiert worden sind, soll an dieser Stelle kurz gesondert hingewiesen werden:
1. Auslegung
Anders als noch das erstinstanzliche Verwaltungsgericht hat das OVG eine Klärung des Widerspruchs im Angebot des Bieters im Wege der Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB zutreffend verneint. Insofern weist das OVG zutreffend daraufhin, dass sich ein Grundsatz, dass Unterlagen früherer Wertungsstufen oder die zum Angebotsinhalt selbst gehörenden Unterlagen bei der Auslegung vorrangig zu berücksichtigen sind, nicht begründen lässt. Die Tatsache, dass der Bieter auch bei vergangenen gegenüber dem Auftraggeber abgegebenen Angeboten und erbrachten Leistungen keine Nachunternehmer benannt oder herangezogen hatte, lässt einen eindeutigen Rückschluss auf dieses Vergabeverfahren ebenfalls nicht zu. Dies gilt schließlich auch für den Grundsatz der bieterfreundlichen Auslegung“. Die Heranziehung von Nachunternehmern ist nicht vergaberechtswidrig, so dass nicht zugunsten des Bieters von einer Nichtheranziehung von Nachunternehmern ausgegangen werden kann. Maßgeblich bleibt mithin so zutreffend das OVG der objektive Empfängerhorizont. Bei objektiver Betrachtung bleibt das abgegebene Angebot widersprüchlich, so dass es einer Klärung mittels Auslegung nicht zugänglich ist. Zur Auflösung des Widerspruchs bedurfte es deshalb der Aufklärung.
2. Erklärung zu Nachunternehmerleistungen
Das in Rede stehende Angebot des Bieters enthielt die geforderten Preise und Preisaufstellungen. Fehlend oder widersprüchlich waren nur die geforderten Erklärungen zu den Nachunternehmerleistungen, die aber selbst nicht Teil des Angebots waren und damit auch keine Preisangaben sind. Für die Erklärungen zu den Nachunternehmerleistungen gilt somit nicht § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, sondern § 13 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A, wonach die Angebote die geforderten Erklärungen und Nachweise enthalten müssen. Ein Verstoß gegen § 13 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A ist bei den Ausschlussgründen in § 16 VOB/A nicht genannt und führt deshalb nicht zwingend zum Ausschluss.
Praxistipp
Bei der Prüfung der Angebotsinhalte hat der öffentliche Auftraggeber bei Eintragungsfehlern, Unklarheiten oder Widersprüchen vor einem Ausschluss zunächst zu prüfen, ob die Unklarheit mittels einer Auslegung des Angebotsinhalts gemäß §§ 133, 157 BGB ausgeräumt werden kann. Lässt sich der Bedeutungsgehalt einer (vermeintlich) widersprüchlichen Erklärung nicht im Wege der Auslegung zweifelsfrei ermitteln, ist der Auftraggeber vergaberechtlich nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, von dem betreffenden Bieter Aufklärung über den Angebotsinhalt zu verlangen. Dieser Grundsatz gilt grundsätzlich in allen Vergabeverfahren und unabhängig vom Vergabegegenstand.
Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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