SLAs – vielseitiger als mancher denkt! Ursprünglich kennt man Service Level Agreements (SLA) (dt.: Dienstgütevereinbarung) aus IT- Dienstleistungsverträgen. Im Fahrwasser der „Information Technology Infrastructure Library“ (ITIL) gewannen SLAs zunehmend an Bedeutung und spielen heute nicht nur in der IT, sondern auch bei anderen Dienstleistungsverträgen wie z.B. Reinigungsdienstleistungen eine zentrale Rolle in der Vertragsgestaltung. SLAs bilden das Scharnier zwischen den juristischen Vertragsanteilen und den Fachanteilen der Leistungsbeschreibung und dienen gleichzeitig häufig als Grundlage etwaiger Pönalenregelungen.
Das bekannteste Service Level Agreement betrifft die Verfügbarkeit einer Leistung oder eines technischen Systems, meist ausgedrückt als Prozentzahl wie „99 % Verfügbarkeit“. Andere SLAs können die Erreichbarkeit einer Servicehotline sein (wie viele Anrufe werden in einem bestimmten Zeitraum angenommen) oder Termintreue (wie viele Aufträge werden im vereinbarten Bearbeitungszeitraum erledigt). Typischerweise sollte ein SLA auf einer Kennzahl für die Dienstgüte – also die Qualität der Leistungserbringung – basieren. Sehr häufig werden aber auch quantitative SLAs umgesetzt, beispielsweise eine bestimmte Reinigungsleistung pro Zeiteinheit.
Service Level Engineering
Das Aufstellen eines effektiven SLA-Systems ist eine komplexe ingenieursmäßige Leistung, welche hohe fachliche und methodische Kompetenz erfordert, da viele Fehler gemacht werden können. In diesem und dem Folgebeitrag werden eine Reihe klassischer Fehler vorgestellt, die dem Autor häufig in der Praxis begegnen. In der pointierten Darstellung mögen sie manchmal übertrieben wirken, doch sind sämtliche Beispiele der täglichen Ausschreibungspraxis entnommen.
Fehler 1: Unzureichende Festlegungen
Bei der IABG stellen wir Bewerbern für die Vergabeberatung regelmäßig folgende Aufgabe:
„Bitte kommentieren Sie folgendes SLA: Die Verfügbarkeit des Systems soll 99 % betragen.“
Auf den ersten Blick sieht diese Klausel ganz gewöhnlich aus und in der Tat sieht man gerade diese Formulierung in Vergabeunterlagen sehr häufig als (abschließende) Festlegung eines SLAs. Bei näherem Hinsehen erkennt man aber, dass diese Regelung noch bei weitem kein ausreichendes SLA darstellt, weil elementare Festlegungen fehlen.
Abbildung: SLA als filigran ausbalanciertes Regelungssystem (Quelle: Holländer, IABG)
Abgesehen von der Sollformulierung, die in einer Vergabeunterlage ohnehin nichts zu suchen hat, fehlen für ein vollständiges SLA die Definitionen der Begriffe (hier: Verfügbarkeit), die Einbettung in potenzielle weitere SLAs (hier z.B. die maximale Ausfallzeit pro Vorfall), sämtliche Festlegungen zur Messung sowie die Konsequenzen bei Verletzung des SLAs.
Fehler 2: Fehlender Zeitbezug
Der Klassiker der SLA-Fehler: Was bedeutet eigentlich 99 % Verfügbarkeit? Wenn dies nicht näher spezifiziert wird, meint der Auftraggeber in der Regel „pro Monat“. Der Auftragnehmer hingegen versteht darunter gerne „pro Jahr“. Der Unterschied ist dramatisch, denn 99 % Verfügbarkeit bezogen auf den Monat erlaubt eine (kumulierte) Ausfallzeit von 7,2 Stunden. Auf ein Jahr bezogen wäre jedoch sogar eine Ausfallzeit von 3,65 Tagen für den Auftragnehmer folgenlos! Aber könnte sich Ihre Organisation einen dauerhaften Ausfall von 3,65 Tagen erlauben?
99 % Verfügbarkeit | Pro Bürotag | Pro 24h Tag | Pro Monat | Pro Jahr |
Zulässige Ausfallzeit | 6 Minuten | 14,4 Minuten | 7,2 Stunden | 87,6 Stunden |
Abbildung: Zulässige Ausfallzeiten in Abhängigkeit vom Zeitbezug
Fehler 3: Verwechslung von Reaktionszeit und Wiederherstellzeit
Ein Auftraggeber bestand auf einer bundesweiten Wiederherstellzeit technischer Einrichtungen von wenigen Stunden durch den Auftragnehmer. Ein Bieter im diesbezüglichen Vergabeverfahren kommentierte trocken, dass er dann wohl einige Helikopter für den Vor-Ort-Kundendienst benötigen würde. Tatsächlich meinte der Auftraggeber aber, dass er eine fachkundige Reaktion des Auftragnehmers für eine schnelle Problemabhilfe in diesem Zeitraum benötigen würde; es wurden also die Reaktionszeit und die Wiederherstellzeit verwechselt.
Abbildung: Servicezeit, Reaktionszeit, Wiederherstellzeit, Ausfallzeit
So herum stellt die Verwechslung dieser Begriffe sicherlich eher die Ausnahme dar, aber sehr häufig begegnet man Vergabeunterlagen, in denen ausschließlich ein SLA zur Reaktionszeit, aber nicht zur Wiederherstellzeit vereinbart wird. Im ungünstigsten Fall erfüllt der Auftragnehmer diese Anforderung bereits mit einer ausreichenden telefonischen Erreichbarkeit, denn er reagiert ja mit der Rufannahme auf die Serviceanforderung des Auftraggebers. Geholfen ist letzterem damit aber nicht. Ein SLA zur Wiederherstellzeit wäre für diesen Auftraggeber sicherlich nützlicher als ein SLA zur Reaktionszeit.
Fehler 4: Verwendung falscher Bezeichnungen
Anglizismen und vielbuchstabige Abkürzungen verleihen Texten oft eine Scheinkompetenz, die nicht immer gegeben ist – gerade dann, wenn diese Texte von einem Consultant (Entschuldigung: von einem Berater) erstellt wurden.
So kam dem Verfasser dieses Beitrags vor einiger Zeit eine Vergabeunterlage in die Hände, die ein SLA zur „MTTR“ enthielt. MTTR steht für „mean time to repair“. Dies klingt fast wie die englische Bezeichnung für Wiederherstellzeit. Doch das ist ein großer Irrtum, denn die MTTR ist ein statistisches Maß und bedeutet die durchschnittliche und nicht die maximale Reparaturzeit. Als Service Level ist die MTTR daher völlig ungeeignet. Denn angenommen, der Auftragnehmer würde bereits beim ersten Vorfall die vereinbarte MTTR dramatisch überschreiten und beispielsweise dreißig statt drei Tage für die Fehlerbehebung benötigen. Dann hätte der Auftraggeber trotzdem keine Handhabe, denn der Auftragnehmer könnte sich jederzeit darauf berufen, dass er bei zukünftigen Vorfällen viel schneller sei und über die Vertragslaufzeit trotzdem noch die vereinbarte „mean time“ erreichen könne. Erst zum Vertragsende hin entscheidet sich, ob der Auftragnehmer dieses SLA erfüllen wird oder nicht – doch dann ist es in der Regel schon zu spät, um gegensteuernde Maßnahmen oder Pönalen einzuleiten. Der Auftraggeber erreicht also sein Ziel, dass sämtliche Reparaturvorfälle innerhalb von drei Tagen erledigt sind, nicht.
Der Beitrag wird in Teil 2 fortgesetzt.
Hinweis
Der Beitrag wurde ursprünglich im Supply Magazin, Ausgabe 03/2020, veröffentlicht.
Wolfgang Bartsch
Dipl.-Inform. (univ.) Wolfgang Bartsch ist Managing Consultant im Bereich Beschaffungsberatung bei der IABG mbH. Er berät öffentliche Auftraggeber und Bieter bei Vergabeverfahren, insbesondere bei Ausschreibungen von komplexen und technisch anspruchsvollen IT-Lösungen wie beispielsweise landesweite Behördennetze oder große Outsourcingvorhaben. Seit vielen Jahren untersucht er Zuschlagsformeln auf mathematische Schwächen und hat dazu unter anderem auch die UfAB Arbeitsgruppe beraten.
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