Solange Verfahrensfehler im Einzelfall nicht doch eine Auswahlentscheidung begründen, unterliegen Open-House-Modelle nicht der Überprüfung durch die Vergabekammern. Mit diesen (redaktionell bearbeiteten) Entscheidungssätzen nutzte die Vergabekammer die Gelegenheit, für Rabattverträge der Krankenkassen als Regelungsgegenstand der Sozialgesetzgebung und des Kartellvergaberechts den aktuellen Stand der obergerichtlichen Rechtsprechung nachzuzeichnen. Vergabestellen können allein durch ihre Angaben im EU-Bekanntmachungsformular zur zuständigen Stelle für Rechtsbehelfe nicht verbindlich den Rechtsweg zu den Sozialgerichten oder den Vergabekammern bestimmen. Diese Wirkung kommt aber der Wahl eines Open-House-Verfahrens zu, mit welchen der Auftraggeber jedenfalls grundsätzlich im Sinne eines What you see is what you get die Weichen zur Sozialgerichtsbarkeit stellt:
§§ 103, 155, 163 GWB, § 130a SGB V
Krankenkassen können für den Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V entweder entsprechende Rahmenvereinbarungen gemäß § 103 Abs. 5 GWB nach den Vorgaben für öffentliche Aufträge ausschreiben oder im Wege von Open-House-Verfahren abschließen, die ein vergaberechtsfreies Zulassungsverfahren darstellen.
Ob ein Open-House-Verfahren diskriminierungsfrei und in der Sache verhältnismäßig ausgestaltet wurde, mithin den Vorgaben des europäischen Primärrechts entspricht, präjudiziert nicht die Frage danach, ob ein öffentlicher Auftrag vorliegt.
Auch ein rechtswidrig ausgestaltetes Open-House-Verfahren wandelt sich dadurch nicht zum öffentlichen Auftrag und unterliegt damit gemäß § 155 GWB nicht der Nachprüfung durch die Vergabekammern.
Als öffentliche Auftraggeber qualifizierte Krankenkassen veröffentlichten eine EU-weiter Bekanntmachung unter der Überschrift Open House Rabattverträge für einen bestimmten Wirkstoff. Mit den nicht-exklusiven Rabattverträgen sollte der Zeitraum zwischen Patentablauf von Wirkstoffen, Wirkstoffkombinationen bzw. Darreichungsformen, Wirkstärken und dem Inkrafttreten von exklusiven Rabattverträgen nach § 130a Abs 8 SGB V überbrückt werden. In der Bekanntmachung wurde ausdrücklich festgehalten, dass diese nicht der Vergabe eines öffentlichen Auftrags im Sinne der Vergaberechtsrichtlinie 2014/24/EG bzw. des Kartellvergaberechts dient, sondern nur eine möglichst breite Information der interessierten Unternehmen leisten soll. Als zuständige Stelle für Nachprüfungsverfahren konnten der Bekanntmachung die Vergabekammern des Bundes beim Bundeskartellamt entnommen werden, desgleichen aber im Zusammenhang mit den Fristen der Hinweis, dass es sich nach Überzeugung der Auftraggeberin vorliegend nicht um ein Vergabeverfahren handelt, das dem Kartellvergaberecht unterliegt und dass folglich die Sozialgerichte zuständig seien.
Die Antragstellerin rügte das Verfahren und beantragte nach Zurückweisung die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, weil aufgrund der erfolgten Losbildung keine gleichen Zugangsbedingungen für alle geeigneten Bieter vorlägen. Denn als das Unternehmen, das den Patentschutz für sich reklamieren könne, müsse sie hohe Rabatte in der Indikation gewähren, um am Verfahren für die patentfreie Indikation überhaupt teilnehmen zu können. Das stelle eine rechtswidrige De-facto-Vergabe dar.
Die Vergabekammer sah wegen offensichtlicher Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags gemäß § 163 Abs. 2 S. 1, 3 GWB bereits davon ab, den Nachprüfungsantrags nach § 169 Abs. 1 GWB an die Antragsgegnerinnen zu übermitteln. Neben der in der Praxis äußerst selten anzutreffenden Entscheidung, wegen offensichtlicher Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit nach § 163 Abs. 2 GWB bereits kein Nachprüfungsverfahren einzuleiten, erlangte während der Zeit der Covid 19-Pandemie die verwandte Regelung in § 166 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. GWB eine unter dem Aspekt der Gewährung rechtlichen Gehörs teils fragwürdige breitere Bedeutung, wonach bei Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit auch ohne Zustimmung der Beteiligten nach Aktenlage entschieden werden kann. Im vorliegenden Fall gewährte die Vergabekammer des Bundes allerdings rechtliches Gehör durch die Erteilung eines rechtlichen Hinweises vor der Zurückweisung des Antrags, dem die Antragstellerin keine Beachtung schenkte.
Die Vergabekammer hielt zutreffend den Nachprüfungsantrag für offensichtlich unzulässig, da nach § 155 GWB nur die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen der Überprüfung durch die Vergabekammern unterliegt. Die Vergabekammer stützte sich hierbei auf eine ihrerseits aus der Spruchpraxis des EuGHs hergeleitete Abgrenzung durch den Vergabesenat in Düsseldorf. Danach setzt ein öffentlicher Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB eine Auswahlentscheidung voraus, an welchen Bieter ein Auftrag ausschließlich vergeben werden soll. An einer solchen Auswahlentscheidung fehlt es bei Open-House-Rabattverträgen aufgrund des jederzeitigen Beitrittsrechts interessierter Unternehmen (OLG Düsseldorf, Beschl. vom 31.10.2018 VII-Verg 37/18 im Anschluss an EuGH, NZBau 2016, 441 Dr. Falk Pharma). Auch im Verfahren vor dem OLG Düsseldorf hatte der Antragsteller geltend gemacht, die Vergabebedingungen führten zu einer faktischen Auswahlentscheidung zugunsten bestimmter Bieter. Das OLG Düsseldorf befand hierauf, dass es für die Beantwortung der Frage, ob bei einem Open-House-Modell ein öffentlicher Auftrag vorliegt und der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen eröffnet ist, nicht darauf ankomme, ob das Zulassungsverfahren zu dem genannten Vertragssystem mit den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung, der Gleichbehandlung und der Transparenz vereinbar sei. Dem konnte sich die Vergabekammer des Bundes nur anschließen.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergab sich auch aus der späteren Entscheidung des BGH vom 10.12.2019, XIII ZB 119/19, nichts für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags. Danach kommt eine (nur) im Beschwerdeverfahren grundsätzlich mögliche Verweisung durch einen Vergabesenat entsprechend § 17a GVG an die Sozialgerichte dann nicht in Betracht, wenn der Antragsteller seinen unstatthaften Nachprüfungsantrag ausdrücklich auf Gründe stützt, die nur in einem Vergabenachprüfungsverfahren überprüft werden können, während sozialrechtliche Normen überhaupt nicht in Rede stehen. Aus einer solcherart eingeengten Definition des Rechtsschutzziels folgt aber nicht, dass die angerufene Vergabekammer allein aus diesem Grund schon zwingend zuständig sein müsste.
Die Entscheidung verdient Zustimmung, auch wenn unabweisbar ist, dass ein diskriminierender Zuschnitt eines Open-House-Modells zwangsläufig eine Lenkungswirkung entfaltet. Sowohl der Düsseldorfer Vergabesenat wie die Vergabekammer des Bundes wollten daher die Tür zu Nachprüfungsverfahren auch bei Open-House-Verträgen nicht gänzlich verschließen. Denn in Extremfällen kann eine nach den Maßstäben des Primärrechts diskriminierende Ausgestaltung des Verfahrens faktisch eben doch dazu führen, dass eine Auswahlentscheidung getroffen wird und damit tatsächlich gar keine Open-House-Konstellation vorliegt. Das OLG Düsseldorf ließ in der zitierten Entscheidung offen, ob dies der Fall sein könne, wenn der öffentliche Auftraggeber den Vertragspreis bewusst so festsetzt, dass nur ein einziger Anbieter diesen Preis akzeptieren kann, mithin möglicherweise bereits im Vorfeld eine Auswahlentscheidung getroffen wird. Auch die Vergabekammer des Bundes vergewisserte sich darüber, dass die Antragstellerin wenigstens Zugang zum Open-House-Verfahren hatte und schloss damit nicht aus, dass die jeweils zugrundeliegenden Verfahrensregeln im Einzelfall auf eine Auswahlentscheidung hinauslaufen können, die dem Modell den Charakter als Open-House-Verfahren nehmen und damit der Überprüfung durch die Vergabekammern unterliegen kann. Das kommt in Betracht, wenn diskriminierende Verfahrensregeln die freie Zugänglichkeit eines Open-House-Modells einschränken und hierdurch eine nach den Maßstäben des Vergaberechts überprüfbare Auswahl treffen.
Praxistipp
Marktteilnehmer, die sich gegen Open-House-Modelle vor den Vergabekammern zur Wehr setzen wollen, müssen einen sehr schmalen Begründungsweg finden: Die Geltendmachung von Unzulänglichkeiten des Verfahrens genügt hierfür nicht, solange diese Unzulänglichkeiten nicht dazu führen, dass der Begriff „Open House“ ein irreführendes Etikett ist, hinter dem sich tatsächlich eine mit Exklusivität einhergehende Auswahlentscheidung zugunsten eines Bieters oder einer Bietergruppe verbirgt.
Dr. Frank Roth ist Partner und Rechtsanwalt bei DLA Piper UK LLP in Köln. Er ist auf den Gebieten des Vergaberechts, des öffentlichen Preisrechts und der Streitbeilegung tätig. Er hat sich seit Einführung des Kartellvergaberechts im Jahr 1998 auf die Beratung bei der Vorbereitung von und der Teilnahme an Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber spezialisiert und verfügt über branchenspezifische Erfahrungen insbesondere auf den Gebieten Energie, Informationstechnologie und Infrastruktur, Food & Healthcare. Einen wichtigen Bestandteil der vergaberechtlichen Beratung bildet die Vertretung in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Auch über diesen Bereich hinaus weist Dr. Frank Roth eine langjährige Erfahrung bei der Vertretung in streitigen Angelegenheiten vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten auf. Dr. Frank Roth veröffentlicht regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.
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