Im Unterschied zu den vereinheitlichten Regelungen in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen im Oberschwellenvergabebereich durch die Sektorenverordnung (nachfolgend: SektVO) zeichnet sich die Regelungslandschaft im Unterschwellenvergabebereich gänzlich anders da. Hier reichen die Regelungen, je nach Bundesland, von keinerlei „Privilegierungen“ in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen – Sektorenaufträge sind wie „gewöhnliche“ öffentliche Aufträge vergeben – über „Vergabeerleichterungen“, bis hin zu „Vergabefreistellungen“.
Der vorliegende Beitrag will einen kurzen Überblick zu den in den einzelnen Bundesländern geltenden vergaberechtlichen Bestimmungen in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen durch Sektorenauftraggeber geben.
Die Mehrheit der Bundesländer sieht hinsichtlich der Vergabe von Sektorenaufträgen durch Sektorenauftraggeber keine Sonderregelungen (Erleichterungen) im Unterschwellenvergabebereich vor. In den meisten Ländern vollzieht sich die Vergabe eines Sektorenauftrags wie ein herkömmlicher Beschaffungsvorgang einer Liefer-/Dienstleistungs- bzw. Bauleistung entweder nach der Unterschwellenvergabeordnung (nachfolgend: UVgO) (Sachsen: noch VOL/A) oder nach Teil A Abschnitt 1 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (nachfolgend: VOB/A). Eine Vergabefreistellung von Sektorentätigkeiten im Unterschwellenvergabebereich ist die Ausnahme und existiert, in unterschiedlichen Ausprägungen, nur in zwei Bundesländern (Bremen und Thüringen).
Nach Ziff. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Ministeriums für Finanzen zur Landeshaushaltsordnung für Baden-Württemberg (nachfolgend: VV-LHO) sind im Unterschwellenvergabebereich für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen die UVgO und für Bauleistungen die VOB/A anzuwenden.
Weder die UVgO noch die VOB/A nehmen die Vergabe von Sektorenaufträgen vom sachlichen Anwendungsbereich aus oder sehen in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen spezifische „Vergabeerleichterungen“ vor. Die SektVO gilt erst ab Überschreiten des EU-Schwellenwertes.
Die Verwaltungsvorschrift der Landesregierung von Baden-Württemberg über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VwV Beschaffung) bestimmt für die entgeltliche Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen im Sinne des § 103 Absatz 1, 2 und 4 GWB in Ziff. 1.1 zwar, dass
„[d]iese Verwaltungsvorschrift […] nicht [Hervor. d. d. Verf.] anzuwenden [ist] auf die Vergabe
Durch diese Regelung werden Sektorentätigkeiten „eigentlich“ nicht vom Anwendungsbereich der UVgO oder der VOB/A, sondern lediglich vom (sachlichen) Anwendungsbereich der VwV Beschaffung ausgenommen. „Eigentlich“ deshalb, da es in Ziff. 1.1 weiter heißt, dass Sektorenauftraggeber „in diesen Fällen“, abgesehen von den sich aus dem EU-Primärrecht ergebenden Anforderungen, (nur) die Haushaltsgrundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten haben.
Der Verweis darauf, dass Sektorenauftraggeber „in diesen Fällen“ (nur) die Haushaltsgrundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten haben, könnte so gelesen werden, dass bei der Vergabe öffentlicher Liefer- oder Dienstleistungsaufträge durch Sektorenauftraggeber zum Zwecke der Ausübung einer Sektorentätigkeit allgemein kein Vergabe- (also zumindest keine UVgO), sondern lediglich Haushaltsrecht zur Anwendung gelangt. Sektorenauftraggeber in Baden-Württemberg müssten dann für den Unterschwellenvergabebereich zumindest in Bezug auf die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge zum Zwecke der Ausübung einer Sektorentätigkeit kein Vergabe-, sondern lediglich die Haushaltsgrundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit beachten.
Ob dies mit der VwV Beschaffung wirklich bezweckt ist, ist fraglich, zumal dann nach Ziff. 1.1 VwV Beschaffungen öffentliche Sektorenauftraggeber nur von der Anwendung der UVgO befreit wären, nicht aber von der VOB/A; eine Differenzierung, die sachlich nicht nachvollziehbar wäre. Es ist öffentlichen Sektorenauftraggebern in Baden-Württemberg daher zu empfehlen, auch bei der Unterschwellenvergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge zum Zwecke der Ausübung einer Sektorentätigkeit die UVgO anzuwenden und danach zu verfahren.
Im Freistaat Bayern ordnen die Ziff. 2.1 und 2.2 der VV zu § 55 LHO im Unterschwellenvergabebereich für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen die Anwendung der UVgO und der VOB/A an.
Die Verwaltungsvorschrift der Bayerischen Staatsregierung zum öffentlichen Auftragswesen enthält keinerlei Spezialregelungen zu der Vergabe von Sektorenaufträgen. Im Freistaat Bayern hat somit die Vergabe von Sektorenaufträgen im Unterschwellenvergabebereich durch Sektorenauftraggeber in Abhängigkeit von dem konkreten Beschaffungsgegenstand (Dienst-/Lieferleistung oder Bauleistung) entweder nach den allgemeinen Vorgaben der UVgO oder denen der VOB/A zu erfolgen.
Ähnlich wie im Freistaat Bayern stellt sich die Rechtslage in Berlin dar. Auch hier ist die Anwendung der UVgO sowie der VOB/A im Unterschwellenvergabebereich haushaltsrechtlich verbindlich zu beachten (Ziff. 3.1.1, 3.1.2 der Ausführungsvorschriften zu § 55 LHO – nachfolgend: AV zu § 55 LHO). Weder die AV zu § 55 LHO noch das sich in Berlin in Kraft befindliche Berliner Ausschreibung- und Vergabegesetz enthält in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen bestimmte Sonderregelungen. Auch in Berlin hat damit die Vergabe von Sektorenaufträgen durch öffentliche Sektorenauftraggeber in Abhängigkeit von dem konkreten Beschaffungsgegenstand (Dienst-/Lieferleistung oder Bauleistung) entweder nach den Regeln der UVgO oder der VOB/A zu erfolgen.
In Brandenburg ordnen die Ziff. 2.2.1 und 2.2.2 der VV zu § 55 LHO im Unterschwellenvergabebereich für die Vergabe von Bauleistungen die Anwendung der VOB/A), sowie für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen die Anwendung der UVgO an.
Der brandenburgischen VV zu § 55 LHO lassen wie in Bayern und Berlin keine Sonderregelungen (Verfahrenserleichterungen oder dergleichen) zur Vergabe von Sektorenaufträgen durch öffentliche Sektorenauftraggeber entnehmen. Es gilt das oben zu II. und III. gesagte.
§ 6 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 des Bremischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe (Tariftreue- und Vergabegesetz) geben für den Unterschwellenvergabebereich verbindlich die Anwendung der VOB/A und der UVgO vor. Das Tariftreue- und Vergabegesetz gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 für die Vergabe öffentlicher Aufträge über Bau-, Liefer- und Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99und durch Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 GWB (Auftraggeber).
§ 2 Abs. 4 des Tariftreue- und Vergabegesetzes stellt allerdings öffentliche Aufträge, die zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit gemäß § 102 GWBvergeben werden, von Abschnitt 2 des Tariftreue- und Vergabegesetzes (Anwendung von Vergaberegelungen, §§ 5 – 8) und damit von der sachlichen Anwendung der VOB/A und der UVgO frei.
Daraus folgen für Sektorenauftraggeber in Bremen erhebliche Verfahrenserleichterungen, sind sie doch aufgrund der „Freistellung“ von den Vorgaben der UVgO und der VOB/A in der Gestaltung des Vergabeverfahrens (weitestgehend) frei.
Ganz anders verfährt das Hamburger Vergabegesetz (HmbVgG). Nach dem HmbVgG findet im Unterschwellenvergabebereich in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen die Rechtslage im Oberschellenvergabebereich (SektVO) Anwendung. § 2 a Abs. 1 Satz 3 HmbVgG bestimmt, dass
„[a]bweichend von Satz 1 […] Auftraggeber im Sinne von § 99 Nummern 1 bis 4 GWB bei der Vergabe von Aufträgen (ohne Bau- und Dienstleistungskonzessionen), die im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs (Sektorentätigkeiten) vergeben werden, auch unterhalb der Schwellenwerte gemäß § 106 GWB die Regelungen der Sektorenverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624, 657) in der jeweils geltenden Fassung entsprechend anzuwenden haben.“
Die Angleichung der Rechtslage im Unterschwellenvergabebereich in Hamburg an die Rechtslage im Oberschwellenvergabebereich ist begrüßenswert, da sie die Rechtsanwendung im Ober- und Unterschwellenvergabebereich vereinheitlicht und damit erleichtert.
Die Rechtsanwendung für die Vergabe von Sektorenaufträgen durch öffentliche Sektorenauftraggeber gestaltet sich in Hessen etwas anspruchsvoller. Hessen verfügt über ein eigenes Vergabe- und Tariftreuegesetz (HVTG). § 12 Abs. 6 HVTG sieht vor, dass die
„Abs. 1 bis 5 nicht anwendbar sind für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 GWB zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 GWB.“
Fest steht, dass hierdurch Sektorenauftraggeber im Falle der Beschaffung von Leistungen zum Zwecke der Ausübung von Sektorentätigkeiten von der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach Maßgabe des HVTG freigestellt werden sollen. Das zeigt sich sehr deutlich an der in § 12 Abs. 6 HVTG vorgesehenen Nichtanwendung u.a. auch des § 12 Abs. 4 HVTG. § 12 Abs. 4 HVTG bestimmt, dass
„[i]n den Fällen des Abs. 2 [Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb, Anm. d. d. Verf.] und Abs. 3 [Freihändige Vergabe/Verhandlungsverfahren, Anm. d. d. Verf.] fordert der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich mindestens drei Unternehmen zur Angebotsabgabe auf.“
Indem § 12 Abs. 6 HVTG Sektorenauftraggeber bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen zum Zwecke der Ausübung einer Sektorentätigkeit explizit auch von der Verpflichtung des § 12 Abs. 4 HVTG freistellt, grundsätzlich mindestens drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern, kann ein Sektorenauftraggeber nach dem HVTG auch nur ein Unternehmen, ohne Beachtung weiterer förmlicher Verfahrensbestimmungen, zur Angebotsabgabe auffordern und mit diesem über das (gesamte) Angebot verhandeln.
Die gänzliche Freistellung von Sektorentätigkeiten von der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach § 12 Abs. 6 HVTG dürfte aber nicht bedeuten, dass das HVTG im Übrigen überhaupt nicht zu beachten ist. Dafür sprechen zum einen der eindeutige Wortlaut des § 12 Abs. 6 HVTG, sowie eine systematische Überlegung. § 12 Abs. 6 HVTG erklärt ausdrücklich nur die Abs. 1 bis 5 für unanwendbar. Daraus muss folgen, dass das HVTG im Übrigen auf bei der Vergabe von Sektorentätigkeiten zu beachten ist. Das systematische Argument folgt schlicht daraus, dass wenn eine völlige Freistellung der Vergabe von Sektorentätigkeiten vom Landesgesetzgeber gewollt gewesen wäre, dies (eher) in § 1 HVTG (Anwendungsbereich) geregelt worden wäre.
Im Hinblick auf die Anwendung des HVTG im Übrigen dürften aber viele Einzelfragen als zumindest teilweise (noch) ungeklärt gelten. So ist z.B. zwar § 2 HVTG (allgemeine Grundsätze) nach § 12 Abs. 6 HVTG nicht ausdrücklich ausgenommen. Ist es verständlich und auch aus haushaltsrechtlichen Gründen geboten, dass auch bei der Vergabe von Sektorenaufträgen durch öffentliche Sektorenauftraggeber die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind, so lässt sich andererseits § 12 Abs. 6 HVTG (Freistellung der Sektorenauftraggeber von der Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens) nur schwer bis gar nicht mit dem ebenfalls in § 2 HVTG niedergelegten Grundsatz eines (fairen) Wettbewerbs vereinbaren, verlangt dieser doch wenigstens die Angebotsaufforderung einer „Mindestzahl“ von Bietern.
Wegen der unklaren Rechtslage in Bezug auf den Ausschlussumfang des § 12 Abs. 6 HVTG ist Sektorenauftraggebern in Hessen daher zu empfehlen, sich abgesehen von der konkreten Wahl des Vergabeverfahrens im Übrigen (weitestgehend) am HVTG und den einschlägigen Vergaberechtsregimen (UVgO; VOB/A) zu orientieren.
Weder das Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge in Mecklenburg-Vorpommern vom 7. Juli 2011, das in § 2 Abs. 1 für den Unterschwellenvergabebereich die Anwendung der VOB/A (Nr. 2) sowie der UVgO (Nr. 3) bestimmt, noch sonstige ministeriellen Erlasse sehen für die Vergabe von Sektorentätigkeiten irgendwelche Sonderregelungen vor.
Die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern entspricht damit 1:1 der Rechtslage in Bayern, Berlin und Brandenburg.
Nach dem Niedersächsischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue und Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Niedersächsisches Tariftreue- und Vergabegesetz – NTVergG) haben Sektorenauftraggeber in Niedersachsen im Unterschwellenvergabebereich bei der Vergabe von öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträge die UVgO (§ 3 Abs. 1 NTVergG) und bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen neben den Regelungen zu den Ausnahmen in den §§ 108, 109, 116 Abs. 2, §§ 117 und 145 GWB sowie die §§ 118 und 128 GWB, die VOB/A anzuwenden (§ 3 Abs. 2 NTVergG).
Sonderregelungen in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen sieht auch das NTVergG nicht vor.
Nach Ziff. 2 der VV zu § 55 LHO haben im Unterschwellenvergabebereich Auftraggeber, die zur Beachtung der Landeshaushaltsordnung NRW verpflichtet sind, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die UVgO sowie die VOB/A anzuwenden. Ziff. 2.1 der VV zu § 55 LHO bestimmt weiter, dass (öffentliche) Auftraggeber, auch unterhalb der EU-Schwellenwerte die europäischen Grundprinzipien der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz zu beachten haben.
Auch die landesrechtlichen Bestimmungen des Landes NRW zum Unterschwellenvergaberecht sehen für öffentliche Auftraggeber in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen keine Sonderregelungen vor.
Lediglich § 1 Abs. 6 des Gesetzes über die Sicherung von Tariftreue und Mindestlohn bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen – TVgG NRW) nimmt (u.a.) öffentliche Aufträge von Sektorenauftraggebern im Sinne der § 100 GWB vom sachlichen Anwendungsbereich des TVgG aus, das einen fairen Wettbewerb um das wirtschaftlichste Angebot bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sicherzustellen will, bei gleichzeitiger Sicherung von Tariftreue und Einhaltung des Mindestlohns (§ 1 Abs. 1 TVgG NRW).
Ziff. 3 der VV zu § 55 LHO verweist hinsichtlich der bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen unterhalb der EU-Schwellenwerte zu beachtenden Vorschriften auf die Verwaltungsvorschrift über das Öffentliche Auftragswesen in Rheinland-Pfalz (nachfolgend: VV Öffentliches Auftragswesen RlP) in der jeweils geltenden Fassung.
Ziff. 3.2. (Anzuwendende Vergabeverfahrensvorschriften) der VV Öffentliches Auftragswesen RlP ordnet die Anwendung der UVgO (lit. a) sowie der VOB/A (lit. b) an. Die VV Öffentliches Auftragswesen RlP sieht in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen keine Sonderregelungen (Verfahrenserleichterungen) vor.
Ziff. 2 der VV zu § 55 LHO ordnet für den Unterschwellenvergabebereich die Anwendung der UVgO und VOB/A an. Auch im Saarland sind im Unterschwellenvergabebereich keine Verfahrenserleichterungen für die Vergabe von Sektorenaufträgen durch Sektorenauftraggeber vorgesehen.
Dem sich noch in Kraft befindliche Sächsischen Vergabegesetz, welches noch Bezug nimmt auf die Rechtslage vor der Vergaberechtsmodernisierung 2016, lässt sich in § 1 Abs. 1 entnehmen, dass die Bestimmungen des Sächsischen Vergabegesetztes für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Sinne des § 99 GWB in der jeweils geltenden Fassung gelten, soweit die Auftragswerte nach § 100 Abs. 1 GWB nicht erreicht werden.
Mit dem „dynamischen Verweis“ auf „§ 99 GWB [a.F., Öffentliche Aufträge, Anm. d. d. Verf.] in der jeweils geltenden Fassung“, erlaubt es das Sächsische Vergabegesetz, hinsichtlich der inhaltlichen Definition des sachlichen Anwendungsbereichs des Sächsischen Vergabegesetzes auf den geänderten § 103 GWB (n.F., Öffentliche Aufträge …) zurückzugreifen, demzufolge öffentliche Aufträge alle entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern (!) und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen sind, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben.
Alle staatlichen und kommunalen Auftraggeber, die nach § 2 Sächsisches Vergabegesetz dem persönlichen Anwendungsbereich unterfallen, habe bei der Vergabe von Leistungen zum Zwecke der Beschaffung von Sektorentätigkeiten entweder die VOB/A oder (noch) die VOL/A (!) anzuwenden. Die UVgO für Liefer- und Dienstleistungen wurde in Sachsen bisher (noch) nicht eingeführt.
Da bereits zum 01. März 2023 in Sachsen-Anhalt mit dem Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Sachsen-Anhalt – TVergG LSA) ein neues Vergabegesetz im Unterschwellenvergabebereich in Kraft tritt, soll hier nur die neue Rechtslage auf der Grundlage des neuen TVergG LSA in Bezug auf die Vergabe von Sektorenaufträgen durch Sektorenauftraggeber betrachtet werden. § 2 Abs. 2 TVergG LSA ordnet die Anwendung der UVgO (Nr. 1) und der VOB/A (Nr. 2) an.
Die Frage, ob an das neue TVergG LSA auch Sektorenauftraggeber gebunden sind, die eine Sektorentätigkeit ausüben, ist alles andere als eindeutig. Die Unsicherheit erwächst daraus, dass nach § 1 Abs. 1 Satz 1 TVergG LSA das Gesetz einschränkend zwar nur für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Sinne der §§ 103 bis 105 GWB gilt; § 102 GWB, der die Sektorentätigkeit inhaltlich definiert, ist zumindest nicht ausdrücklich in die Reihe der öffentlichen Aufträge explizit genannt, auf die das TVergG LSA sachlich anwendbar sein soll. Jedoch definiert der explizit in § 1 Abs. 1 Satz 1 TVergG LSA aufgenommen § 103 Abs. 1 GWB öffentliche Aufträge auch als entgeltliche Verträge zwischen Sektorenauftraggebern (!) und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben.
Ob schon diese indirekte Bezugnahme in § 103 Abs. 1 GWB auf § 102 GWB genügt, um auch öffentliche Aufträge zum Zwecke der Ausübung einer Sektorentätigkeit dem TVergG LSA zu unterwerfen, ist fraglich, aber nicht gänzlich auszuschließen.
Es ist zu hoffen, dass wenn nicht der sachsen-anhaltinische Gesetzgeber nachsteuert, die für die Nachprüfung von Vergabeverstößen auch gegen das TVergG LSA zuständige Vergabekammer von Sachsen-Anhalt hier Klarheit zur Frage der sachlichen Anwendbarkeit des TVergG LSA auch auf die Vergabe von Sektorenaufträgen durch die § 2 TVergG LSA unterfallenden Stellen herbeiführt. Solange eine solche Klärung noch nicht vorliegt, ist in der anwaltlichen Beratung bzw. den in den persönlichen Anwendungsbereich des § 2 TVergG LSA unterfallenden Stellen dringend zu empfehlen, im Unterschwellenvergabebereich ab dem Inkrafttreten des TVergG LSA (01. März 2023) bei der Vergabe von Sektorenaufträgen nach den Bestimmungen des TVergG LSA und damit nach den Regelungen der UVgO bzw. VOB/A zu verfahren.
§ 3 Abs. 1 Vergabegesetz Schleswig-Holstein (VGSH) ordnet für öffentliche Aufträge die Anwendung der UVgO (Nr. 1) und der VOB/A (Nr. 2) an. § 3 Abs. 3 VGSH sieht ausdrücklich eine „Verfahrenserleichterung“ für die Vergabe von Sektorenaufraggebern vor, wenn er bestimmt, dass
„Aufträge von Sektorenauftraggebern im Sinne der §§ 100, 102 GWB […] in einem frei gestalteten Verfahren vergeben [werden], welches sich nach den Grundsätzen des § 2 richtet.“
§ 2 VGSH ist inhaltlich § 97 GWB nachgebildet. Nach § 2 Abs. 1 VGSH müssen öffentliche Aufträge grundsätzlich im Wettbewerb vergeben werden. Auch wenn Sektorenauftraggeber nach § 3 Abs. 3 VGSH in der Verfahrensgestaltung frei sind, ja frei sein sollen, „zwingt“ sie die Vorgabe in § 3 Abs. 3 VGSH, dabei nach den Grundsätzen des § 2 VGSH zu verfahren, wiederum dazu, grundsätzlich – von Ausnahmen abgesehen – ein wettbewerbliches Verfahren unter Einbeziehung mehrerer Bieterunternehmen durchführen zu müssen. Ganz frei sind die Sektorenauftraggeber in Schleswig-Holstein demnach nicht.
Der Freistaat Thüringen ist, soweit ersichtlich, das einzige Bundesland, welches in § 1 Abs. 3 Nr. 2 Thüringer Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Thüringer Vergabegesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2020 bestimmt, dass
„[d]ieses Gesetz […] nicht anzuwenden [ist] auf
2. die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit[.]“
Indem § 1 Abs. 2 Thüringer Vergabegesetz im Unterschwellenvergabebereich die Anwendung der UVgO und der VOB/A (Nr. 2) anordnet, stellt der oben zitierte § 1 Abs. 3 Nr. 2 Thüringer Vergabegesetz eine (vollkommene) „Vergabefreistellung“ dar. Sämtliche Vergaben von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit sind im Unterschwellenvergabebereich in Thüringen demnach weder an die UVgO bzw. VOB/A, noch an das Thüringer Vergabegesetz gebunden.
Die 16 Bundesländer lassen sich grob in folgende Kategorien in Bezug auf die bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit im Unterschwellenvergabebereich zu beachtenden vergaberechtlichen Regelungen (UVgO; VOB/A) einteilen:
Keinerlei „Privilegierungen“ | „Vergabeerleichterungen“ | „Vergabefreistellungen“ |
Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt |
(Hamburg) Hessen (NRW) Schleswig-Holstein |
Bremen Thüringen |
Der Autor ist Rechtsanwalt bei KDU Krist Deller & Partner, einer mittelständischen Kanzlei mit Sitz in Koblenz. Er berät zu allen vergaberechtlichen Angelegenheiten. Schwerpunkte seiner vergaberechtlichen Beratung bilden die Begleitung von Zuwendungsempfängern bei Beschaffungsvorhaben und den damit zusammenhängenden förderrechtlichen Vorgaben, Inhouse-Vergaben, Open-House-Verfahren, IT-Beschaffungen, Sektorenauftragsvergaben und Postdienstleistungen.
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