„Klar sei, schnelle Beschaffung habe ab sofort Vorrang vor langwierigen Prozessen.“ – Diese bemerkenswerte Aussage im Rahmen des Runden Tisches mit dem wehrtechnischen Mittelstand im Bundesministerium der Verteidigung (Pistorius: Tempo bei Beschaffung für die Truppe (bmvg.de)) zeigt, dass die Lösungen zur Beschleunigung der Beschaffung abermals in der Organisation und Prozessoptimierung der öffentlichen Beschaffung gesucht wird. Dieser Beitrag aus der Reihe „Speedvergabe“ soll einen vergaberechtlichen Blick auf die Mittel und Wege werfen, die in der Organisation der öffentlichen Beschaffung ergriffen werden könnten, um Vergabeprozesse zu optimieren und zu beschleunigen.
Im ersten Beitrag der Serie „Speedvergabe“ (siehe: Vergabeblog.de vom 01/06/2023, Nr. 53483) hatten wir dargestellt, inwieweit die Erfahrungen aus Krisenzeiten dazu beitragen, auch außerhalb von Krisenzeiten öffentliche Projekte schnell und effektiv voranzutreiben.
Der folgende Beitrag verschiebt den Fokus von Krisenzeiten hin zu einer Betrachtung des Vergabeprozesses als solchen. Mit Schnittstellenvereinbarungen (A.), einer warengruppenspezifischen Ausschreibungsplanung (B.) und der strategischen Ausrichtung der zentralen Beschaffung/Einkaufsabteilung (C.) geben wir Impulse zu drei Instrumenten, die bei richtiger Anwendung den Ablauf des Vergabeprozesses beschleunigen können.
Schnittstellenvereinbarungen sollen insbesondere die Abläufe im Vergabeprozess effizienter gestalten und dem Vergabeprozess einheitenübergreifend einen verbindlicheren Charakter geben. Ziel dieser Vereinbarungen ist es, mehr Verbindlichkeit bei der Einhaltung des Vergabeprozesses zu erzielen und Handlungsanweisungen der einzelnen Leitfäden und Mustervermerke mehr Gewicht zu verleihen. Hierdurch sind Interessen und Positionen klar definiert und das Vergabeverfahren kann ohne Umwege durch Unstimmigkeiten effektiv, rechtssicher und zügig durchgeführt werden.
Der Prozess zur Implementierung von Schnittstellenvereinbarungen beginnt idealerweise direkt in der Zentralen Beschaffung/Einkaufsabteilung. Diese sollte die Aufstellung, Einführung und Etablierung von Schnittstellenvereinbarungen verantwortlich steuern, insbesondere im Hinblick auf die damit verbundenen Ziele, wie die effizientere, rechtssichere und schnellere Durchführung von Vergabeverfahren.
Auch, wenn die Hautverantwortlichkeit für die Schnittstellenvereinbarung die Zentrale Beschaffung tragen sollte, empfiehlt es sich zur Vermeidung späterer Frustration dennoch dringend, die andere Stellen und Beteiligte schon in einem möglichst frühen Stadium mit zu berücksichtigen und einzubeziehen. Gemeinsam sollten Vorüberlegungen getroffen werden, welche Komponenten des Vergabeprozesses in einer Schnittstellenvereinbarung geregelt werden sollen und auf welche Art und Weise die Gestaltung im Detail und das „Wording“ ausgearbeitet werden sollen. Auch in der weiteren Vorabstimmung sollten Führungskräfte wie auch Mitarbeitende beteiligt sein, bei denen primär Praxiserfahrungen vorliegen, die bei der Aufstellung, Einführung und Etablierung von Schnittstellenvereinbarungen Berücksichtigung finden müssen oder sollen.
Die nachfolgenden „Verhandlungen“ zu den Schnittstellenvereinbarungen sollten im Workshop-Format durchgeführt werden. Hierzu könnten gegebenenfalls Arbeitsgruppen gebildet werden, welche sich z.B. auf die Beschaffung von gezielten Warengruppen/Leistungen einerseits und auf den allgemeinen Vergabeprozess andererseits konzentrieren könnten.
Damit stellt sich die Implementierung von Schnittstellenvereinbarungen insgesamt als ein sehr integrativer Prozess dar. Durch Kommunikation und gegenseitige Unterstützung wird so eine effiziente uns schnelle Durchführung des Vergabeverfahrens gewährleistet.
Unter Berücksichtigung des Faktors „Zeit“ bei der öffentlichen Beschaffung sind folgende Inhalte einer Schnittstellenvereinbarung denkbar:
Von besonderer Bedeutung für eine schnelle und effiziente Durchführung des Vergabeverfahrens ist eine versierte und ambitionierte, aber zeitlich umsetzbare Ausschreibungsplanung. Diese sollte zum einen Inhalt einer Schnittstellenvereinbarung sein, zum anderen kann die Ausschreibungsplanung selbst, sich aber auch von dem integrativen Gedanken der Schnittstellenvereinbarung tragen lassen und durch Zusammenarbeit profitieren.
Empfehlenswert ist es, eine Ausschreibungsplanung weiterzuentwickeln, insbesondere weiter zu fassen und – soweit noch nichtexistierend – Steuerungsgruppen zur Ausschreibungsplanung, bestehend aus Zentraler Beschaffung und Fachbereichen einzuführen.
Ziel dieser Steuerungsgruppen sollten folgende Themen sein:
Diese und weitere Ziele bzw. Aufgaben sollen Gegenstand regelmäßig durchgeführter Termine der Steuerungsgruppen sein. Dadurch ist ein regelmäßiger warengruppenspezifischer und fachbereichsbezogener Austausch gewährleitet, in dem man aktiv und kurzfristig auf die Abläufe der Beschaffungsvorhaben Einfluss nehmen kann. Im übergeordneten Sinne soll diese Art der Ausschreibungsplanung aber auch gewährleisten, dass strategische Themen behandelt werden, um nicht nur einen Überblick über die Zeitschiene von Vergabeverfahren zu haben, sondern die Vergabeverfahren auch inhaltlich optimieren zu können bzw. auf Marktgegebenheiten schnell reagieren zu können.
Häufig wird mit dem öffentlichen Einkauf lediglich die operative Durchführung von Vergabeverfahren verbunden. Dass die Durchführung von Vergabeverfahren jedoch diverse Schnittmengen darüber hinaus hat, wird zumeist übersehen.
Ein auf die Zukunft eingerichteter öffentlicher, effektiver Einkauf übernimmt daher nicht nur die Durchführung von Vergabeverfahren, sondern darüber hinaus Verantwortung und Aufgaben. Stichworte wie Strategischer Einkauf, Wissensmanagement, Vertrags- und Lieferantenmanagement sowie Spezialisierungen spielen bei der Frage der Entwicklung des öffentlichen Einkaufes in der Praxis eine immer größere Rolle.
In Abschnitt B. haben wir die Implementierung von Steuerungsgruppen zur Ausschreibungsplanung als eine Maßnahme zur Optimierung des Vergabeprozesses vorgeschlagen. Dort haben wir schon einige Punkte aufgegriffen, die ebenfalls dem strategischen Einkauf zugeordnet werden.
So sollte der strategische Einkauf das Marktgeschehen – wie als Aufgabe der Steuerungsgruppen vorgeschlagen – beobachten, um daraus die tatsächlich und rechtlich bestehenden Möglichkeiten für einen öffentlichen Auftraggeber strategisch und auch einzelfallbezogen zu reagieren, ableiten zu können. So kann beispielsweise festgestellt werden, dass Eignungskriterien zu hoch angesetzt wurden und man somit den Wettbewerb zu sehr einschränkt oder ob und inwieweit Zuschlagskriterien tatsächlich incentivierend für Anbieter wirken. Aspekte, die im Rahmen eines strategischen Einkaufes gewonnen werden, nehmen also unmittelbaren Einfluss auf die Qualität und Effizienz der Beschaffungsvorhaben.
Die Beziehungen zu Lieferanten werden in öffentlichen Unternehmen häufig direkt von den Fachbereichen gepflegt, ohne dass der öffentliche Einkauf dabei beteiligt ist. Daraus entsteht dann die Konstellation, dass Mitarbeitende des Fachbereiches Kontakt mit Lieferanten aufnehmen und der öffentliche Beschaffer „nur“ das Vergabeverfahren abbilden soll. Dabei besteht zum einen die Gefahr von Compliance-Vorfällen, wenn Mitarbeitende des Fachbereiches keine ausreichende Sensibilität für vergaberechtliche Regularien besitzen. Zum anderen bleibt eine warengruppenspezifische Vergabekompetenz im öffentlichen Einkauf selbst oft unterdimensioniert, obwohl gerade in warengruppenspezifischem Know-how vielfach vergabe- bzw. vergaberechtlich-relevantes Argumentations- und Gestaltungspotential für Beschaffungsvorgänge liegt.
Leider viel zu selten wird in öffentlichen Einkaufsabteilungen ein Lieferantenmanagement implementiert. Dies hat jedoch durchaus einige Vorteile, welche wir durch die folgenden Stichworte aufzeigen wollen:
Im engen Zusammenhang mit Lieferantenmanagement stehen auch Fragen des Vertragsmanagements. Beide Aspekte haben Schnittmengen und können daher ggf. auch im Einkauf kombiniert verfolgt werden.
Häufig kommt die öffentliche Beschaffung aufgrund eines hohen Arbeitsaufkommens nicht dazu, sich ausreichend mit der aktuellen Entwicklung des Vergaberechts vertraut zu machen oder von Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen Nutzen zu ziehen. Solches Wissen kann aber erheblich dazu beitragen rechtssichere Lösungen zur Verfahrensbeschleunigung zu implementieren oder weiterzuentwickeln. Eine hilfreiche Lösung ist die Implementierung eines Wissensmanagements.
Eine der Kernfragen von Wissensmanagement ist demnach: Wie kann Wissen erfasst werden und wie kann es anderen zur Verfügung gestellt werden? Folgende Aspekte gilt es dabei zu klären:
Zusammenfassend gibt es zahlreiche Mittel und Wege, um den Vergabeprozess und die Einkaufsorganisation im Sine einer beschleunigten Beschaffung zu optimieren
Sei es eine effektive und sichere Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen mit der zentralen Beschaffung, sei es im Rahmen von Schnittstellenvereinbarungen oder bei der Ausschreibungsplanung, die strategische Ausrichtung der zentralen Beschaffung in Bezug auf den Einkauf selbst, das Vertrags- und Lieferantenmanagement oder das Wissensmanagement
Zur Erzielung optimaler Ergebnisse müssen diese einzelfallgerecht und bedarfsorientiert angepasst, konkretisiert und weiterentwickelt werden. Hierfür ist jedenfalls Mut zur Innovation und Kreativität erforderlich. Insbesondere in Kombination mit der ganzheitlichen Digitalisierung des Vergabeprozesses kann mit entsprechendem Vorgehen effektiv Zeit und Aufwand eingespart werden. Das Thema Digitalisierung des Vergabeprozesses soll indes ist Inhalt eines weiteren Artikels in unserer Serie zur Speedvergabe sein.
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Maximilian Ketterer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Public Sector, verfasst.
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Der Autor ist Rechtsanwalt bei Lange & Partner, Rechtsanwälte - Fachanwälte für Bau- und Architektenrecht, in Berlin. Als Rechtsanwalt im Public Sector unterstützt er Einkaufsabteilungen nicht nur bei der praxisorientierten Durchführung von Vergabeverfahren, sondern auch bei der strategischen und organisatorischen Ausrichtung. Dabei setzt er seinen Fokus auf die Vereinfachung und Effizienzsteigerung der Beschaffungspraxis, um die Potenziale des öffentlichen Sektors zu fördern und zu wecken.
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